Wir freuen uns in der fünften Einzelausstellung des Malers Magnus Plessen eine Gruppe von neuen Ölgemälden und Collagen zu präsentieren. Es ist seine erste Ausstellung nach Abschluss des vierjährigen Werkzyklus „1914“, mit dem sich der Künstler von 2014 bis 2018 befasst hat.
Magnus Plessen schafft Werke, die unterschiedliche Malweisen bzw. Realitätsbezüge (Repräsentationssysteme) in einem Bild zusammenführen. So sind die Gliedmaßen der dargestellten Figuren meist unter Verwendung schablonierter Fragmente gearbeitet, die Hände dagegen frei skizziert, wobei sie in der Art, wie sie mit nur drei Fingern auf eine ansonsten nicht ausgearbeitete Fläche gesetzt sind, an Ansichts- bzw. Volumenskizzen eines Bildhauers erinnern. Andere Bildelemente nähern sich der Realität, indem der Künstler das für das Medium Malerei Unmögliche versucht, nämlich einen Abdruck des Realen herzustellen. Und wieder andere Passagen sind frei mit dem Pinsel gesetzt. Den meisten dieser malerischen Verfahrensweisen ist gemeinsam, dass die gesetzte Farbe durch Kratzen mit dem Spachtel, durch Wischen mit einem Lappen, durch Abziehen mit Klebeband oder durch Abrieb mit Druckpapier zum Teil wieder entfernt und zurückgenommen wird.
Die Werke der Ausstellung zeigen aus disparaten Fragmenten zusammengefügte Menschenbilder, die den Blick des Betrachters durch abstrahierend angelegte, kontraststarke und collageartige Flächen, Formen und Linien aktivieren. Die Leinwand oszilliert zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, wobei die Farbkompositionen die Vorder- und Hintergründe der Leinwände verknüpfen. Die Beziehung von Figur und Raum wird durch leuchtende Farben, besonders von lichten Gelbtönen in den Bildern, in einen räumlichen Zusammenhang gesetzt. Schablonierte Bildelemente, Collage und Malerei vereinen sich zu einer eigengesetzlichen und eigenständigen Bildwirklichkeit.
Anders als in früheren Malereien, in denen die Figuren zunehmend isoliert und in einem leeren bzw. weissen Raum erschienen, strahlen die neuen Werke trotz ihrer seltsamen räumlichen Organisation Zuversicht aus. Die Bilder beziehen sich nicht unmittelbar auf Erlebnisse und Beobachtungen. Plessen sucht bildlich die Intensität zu fassen, mit welcher kurz vor dem Einschlafen Eindrücke des Tages auf der Netzhaut nachwirken, noch einmal spontan und ohne die Bedingung der Schwerkraft schimärenhaft erahnbar werden, ohne je in einer festen Form zu erstarren. Wenngleich die Bilder auf den ersten Blick wie Schnittmuster wirken mögen, evozieren sie doch weder tatsächliche noch metaphorische Flachheit – trotz aller Verunklärung bilden sie letztlich ein Ganzes, einen plausiblen momentanen Zusammenhang. Tatsächlich entstehen die Bildmotive durch spontane Eingriffe, durch ein Drehen der Leinwand oder indem Collageelemente aus einem Bild entnommen werden und anschliessend scheinbar zufällig in einen Motivzusammenhang eingehen. Die Federn in Untitled (Wolke), 2019 sind beispielsweise aus dem Bedürfnis des Künstlers entstanden, die Finger seiner Hand in den Raum auszudehnen. Magnus Plessen erläutert: „Beim Drehen dieser Leinwand um 180 Grad habe ich dann zwischen Wolke und Hand eine vertraute Geste empfunden, eine Frau betrachtet ihre Fingernägel nach der Maniküre. Die auslösenden Elemente Wolke und Hand konnte ich dem Werk Untitled (Wolke), 2019 entnehmen, da sie noch collagiert waren. In diesem Kreislauf von Erfahrung meiner Hand mit geschlossenen Augen hin zur gemalten Hand mit Federn - zur Wolke - zur Entnahme der Wolke - zum Motiv der Engelmaniküre - in diesem hineinlegen und herausnehmen berührt die Metaphysik die Schwerkraft. Wird die Fantasie zum Maler.“
Magnus Plessen, *1967 in Hamburg, lebt mit seiner Familie in Berlin. Er ist Professor für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und stellt weltweit in Galerien und Museen aus, wie zuletzt im The Rose Art Museum in Boston, dem Centre Pompidou in Paris und der K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Die Mai 36 Galerie vertritt den Künstler seit 2003.