Der Frankfurter Kunstverein hat Yves Netzhammer, Theo Jansen und Takayuki Todo eingeladen, eine Auswahl ihrer Werke in Einzelpräsentationen zu zeigen, für die der gemeinsame Titel „Empathische Systeme“ eine thematische Überkategorie setzt.
„SEER“ ist ein humanoider Roboterkopf, der als künstlerische Arbeit von Takayuki Todo entwickelt wurde, um die Bedeutung des Blicks und des Gesichtsausdrucks im Umfeld der Mensch-Maschine-Forschung zu untersuchen.
Seit über 4000 Jahren bereits existiert die Kunst der hyperrealistischen Skulptur, bei der Bildhauer in unterschiedlichen Stilepochen immer wieder die Absicht verfolgten, die Wirklichkeit möglichst lebendig wiederzugeben. Einer Figur, ob als archetypisches Symbol oder als Portrait eines Individuums, wollte die klassische Kunst Leben einhauchen, wofür sie Methoden entwickelte und Stilmittel verwendete, um in Abbildungen zu bannen, was das Lebendige in einem Wesen ausmacht: den Blick. Der Blick ist ein zentrales Merkmal individuellen Ausdrucks seelischer Zustände. Der Blickkontakt ist eines der stärksten Kommunikationsformen zwischen zwei Wesen, eine der elementarsten Formen der (visuellen) Verbindung. Er findet jenseits von Sprache statt und stellt einen direkten Austausch zwischen zwei Individuen her, die nicht nur menschliche sein müssen. Der Blickkontakt stellt ein sich gegenseitiges Wahrnehmen von Lebenden dar, die sich in ihrem Lebendigsein erkennen. Die Skulptur, die Malerei, die Fotographie und die Filmkunst versuchen, durch den Blick ihres Sujets die Trennung zwischen dem Hier des Betrachters und dem Dort der fiktiven Figur für einen Moment aufzuheben.
Takayuki Todos Interesse gilt der Frage, wie Menschen eine emotionale Beziehung zu humanoiden Robotern aufbauen. Wie die Disziplin der Robotik bereits seit Jahren zeigt, ist eine realistische Ähnlichkeit mit der menschlichen Gestalt allein nicht in der Lage, die Distanz zur Maschine zu brechen. Mit dem Begriff „Uncanny Valley“ bezeichnet man eben diese sehr schmale, aber doch wesentliche Distanzlücke zwischen dem, was ein Mensch als real und als glaubwürdig, und was er als künstlich und unheimlich empfindet.
Für Todo ist das zentrale Element, mit dem der Weg aus dem „Uncanny Valley“ beschritten werden kann, der Blick. Seit Jahren bereits arbeitet er an anthropomorphen Figuren, die aus gänzlich synthetischen Materialien bestehen, aber durch ihren Blick Lebendigkeit erlangen. Unter dem Titel „SEER“ – was im Englischen an ein sehendes Wesen erinnern soll – bezeichnet Todo seinen „Simulative Emotional Expression Robot“, den er 2018 realisiert hat. Mit einem 3D-Drucker hat der Künstler aus mehreren Teilen einen Kopf produziert, der im verkleinerten Maßstab und frei von geschlechtlichen und ethnischen Merkmalen gestaltet wurde.
Der Roboter besitzt eine Kamera, die das menschliche Gegenüber wahrnimmt, fokussiert und dessen Blick erwidert. Es ist nicht nur der Blickkontakt, sondern „SEER“ interagiert mit dem Betrachter zusätzlich über die Neigung seines Kopfes und die Bewegung der Augen, der Lider und Brauen. Die Intensität der Bewegungen nimmt zu, desto näher der Mensch „SEER“ kommt. Die Figur hat eine kindliche Physiognomie, ihre Mimik und Bewegungen sind durch ihre Zartheit berührend. SEER scheint ein Eigenleben zu führen, mit dem es uns begegnet. Es spiegelt die Mimik seines Gegenübers, es generiert Bewegungen als Reproduktion des Existierenden, erzeugt aber keine autonomen Gesten.
Mund und Lippen sind gänzlich bewegungslos. Am Roboterkopf sieht man die Kabel und Motoren, die Oberfläche ist kahl und nicht, wie in manchen humanoiden Maschinen, durch Haarprothesen kaschiert. Todo macht keinen Hehl aus der technisch-synthetischen Beschaffenheit von „SEER“, dem er bewusst seine artifizielle Anmutung lässt. Die Augenbrauen hingegen sind aus weichem, elastischem Kunststoff gefertigt, wodurch der Ausdruck des Roboters so lebendig wird, als könnte er Emotionen empfinden. Die Weichheit der Bewegungen und hauptsächlich der Blickkontakt stellen im Betrachter eine sofortige empathische Verbindung zur Maschine her.
Das emotionale System des Menschen lässt sich leicht dazu verführen, im maschinellen Verhalten menschenähnliche Züge zu erkennen. Die Frage nach dem Interface und somit nach der Emulation physischer Merkmale ist hier von zentraler Bedeutung. In Science Fiction Filmen wie z.B. „Her“ (Spike Jonze, 2013) oder „Ex Machina“ (Alex Garland, 2014) wurde veranschaulicht, welchen Stellenwert anthropomorphe Züge als Interface einer Künstlichen Intelligenz spielen. Der Klang der Stimme in „Her“ oder der Blick, die Textur von Haut und das Erscheinungsbild eines jungen weiblichen Körpers in „Ex-Machina“ erzeugen im Menschen die Sehnsucht nach Verbundenheit mit dem maschinellen Wesen. Der Mensch lässt sich anhand nur weniger Methoden dazu verführen die intellektuell bewusste Differenz zur Maschine emotional fallenzulassen. Was in der Computerwissenschaft als ELIZA-Effekt bezeichnet wird, ist die Empfänglichkeit des Menschen in Zeichenanordnungen von Computern erheblich mehr Geist zu erkennen, als tatsächlich vorhanden ist.
„Das Ziel meiner Forschung und Entwicklung ist nicht die Beantwortung des philosophischen Themas „Wird ein Roboter (oder Computer) einen Geist oder Emotionen wie die Menschheit erlangen“, sondern die Darstellung bewusster Emotionen, die ein Mensch erzeugen kann.“ (Takayuki Todo)