In Basel und Bern wohnhaft, interessiert sich Rebecca Kunz (*1986, Bern), die 2018 ihren Master abgeschlossen hat, in ihrem Werk eingehend für das Manipulative. Statt den Betrachter respektive die Betrachterin auf Kunstobjekte zuzuführen, kehren ihre radikalen Raumeingriffe und Interventionen dieses Verhältnis um. Das Gegenüber ist auf sich selbst zurückgeworfen und erfährt sich in unterschiedlichen (Raum-)Situationen.
Das Werk von Rebecca Kunz kennt keine Passivität. Ihre Arbeiten fordern ein aktives Wahrnehmen ein, ein Offensein und sich Einlassen — und im besten Sinne ein aktives Handeln als Folge der neuen Erfahrung. Kein Schlendern durch vertraut wirkende Räumlichkeiten. Die Räume von Rebecca Kunz sind unausweichlich, irritierend, nahezu leer geräumt, radikal. Basel 2018: Für ihre Masterarbeit mietet sich die in Bern geborene Künstlerin an der Hardtstrasse ein mehrstöckiges, für kurze Zeit leer stehendes Haus und nimmt teils subtile, teils offenkundige Eingriffe vor. Flure und Durchgangsräume enden in Sackgassen. Lichtverhältnisse sind verändert. Ein Blick nach draussen, der eine räumliche und vor allem zeitliche Orientierung geben könnte, ist nicht möglich. ‹Als ich mich bei meinem letzten Projekt Haus Hardtstrasse 43 mehrere Monate in den von mir abgedunkelten Innenräumen befand›, so die Künstlerin, ‹habe ich gemerkt, wie das Haus langsam in mich übergegangen ist. Das Haus und ich sind mehr und mehr miteinander verschmolzen. Die Stimmung der Räume hat sich auf meine Stimmung abgefärbt. Es ist der Raum, der Ausgangspunkt meiner Arbeit geworden ist. Halte ich mich dort lange genug auf — und wenn möglich allein —, so diktiert mir der Raum, auf welche Spuren, architektonischen und baulichen Details ich mich konzentrieren soll und welche weniger wichtig sind.›
Zu Beginn in Kunz’ Schaffen steht daher nicht ein Konzept, sondern ein Sich-Einlassen auf das Vorgefundene, auf die Geschichte und spezifischen Merkmale, die vom jeweiligen Raum ausgehen. In ihrem noch jungen Werk diskutiert die Künstlerin nicht den einen Raum, sondern verschiedene Möglichkeiten, wie man Raum und Ort neu denken und letztendlich auch erfahren kann.
Im Kunsthaus Baseland sind es die Kabinetträume, die dieser künstlerischen Untersuchung unterzogen werden. Jeder Raum hat zwei Öffnungen. Das gesamte Raumgefüge entspricht daher eher einem Durchgangsort, der zur Durchwegung anhält. Der grundlegende Eingriff, den Rebecca Kunz nunmehr vollzogen hat, verändert nicht nur die Bewegung der BesucherInnen, sondern auch die Zeit, die das Durchschreiten der Räume in Anspruch nimmt, sowie die neuen Fragen an den Raum, etwa seine mögliche neue Funktion, die sich neu auf das Gegenüber übertragen können. Während gemeinhin einem Raum Qualitäten wie Verlässlichkeit, Schutz, Stabilität, Erwartbarkeit und auch eine Funktion anhaften sollten, herrscht eine Verunsicherung gegenüber dem, was sich im nächsten Schritt offenbart, und vor allem, wie es auf mich als BesucherIn wirken mag. Auch eine eindeutige Funktion ist nicht (mehr) klar auszumachen. Meine Wahrnehmung verlangt höchste Aufmerksamkeit — wo sind eingebaute Tricks, wo ist der doppelte Boden, wie reagiere ich auf die Farben, das zum Teil grelle Licht, die Raumakustik, die Türe, die hinter mir ins Schloss fällt? Ob der- oder diejenige, die zuvor durch die Räume gegangen ist, ähnliche Erfahrungen gemacht hat? Welche neue Funktion könnten diese Räume im Kontext einer Institution neu zugewiesen bekommen, welche könnte man sich selbst dafür denken?
‹Ich glaube nicht‹, so Kunz, ‹dass Räume wirklich komplett unterschiedlich auf uns wirken. Es gibt natürlich Leute, die emphatischer und sensibler sind als andere. Es gibt sicher aber allgemeine Parameter, die einen Raum angenehm bzw. unangenehm machen. Es gibt Licht, das uns wach, anderes, das uns schläfrig macht. Licht, das gegen Depressionen eingesetzt werden kann, Licht, das uns quält, weil es so stark auf uns gerichtet wird. Auch die Raumakustik (Geräusche, Lärm, Ruhe), die Orientierung, der Geruch, Temperatur und Luftqualität sind wichtig dafür, ob wir uns wohlfühlen oder nicht. Überdies beeinflussen die Beschaffenheit der Böden (weich/hart) und die Dinge, die wir anfassen (Türgriffe, Wände), unser Wohlbefinden und die Raumwahrnehmung. Gibt es in einem Gebäude keine Fenster und viele Räume, haben wir automatisch Mühe, uns zu orientieren, und fühlen uns latent etwas unwohl, weil wir keine Möglichkeit haben, ein Fenster zu öffnen, frische Luft zu atmen oder gar zu flüchten. Gibt es keine Möglichkeit, einen Blick nach aussen zu werfen, kann das verunsichern. Es interessiert mich, mit den Leuten über ihre individuellen Raumerfahrungen zu sprechen. Es geht mir um ihr persönliches Erlebnis. Da gibt es auch kein richtig oder falsch. Das entspricht mir sehr. Ich mag es, wenn Menschen einen direkten Zugang zur Kunst finden und vielleicht sogar kurzzeitig vergessen, dass es sich um Kunst handelt.‹
Die Interventionen von Rebecca Kunz gehen daher sehr viel weiter als in bestehende Raumstrukturen und deren Qualitäten einzugreifen, diese zu steigern oder gar umzudeuten. Ihre Untersuchungen hinterfragen die Wirkung räumlicher Gegebenheiten auf soziale Handlungen und die Kommunikation. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass man durch diese Räume mit Blick auf das Mobiltelefon läuft, wie es heute in Innen- und Aussenräumen gang und gäbe geworden ist. Die Durchwegung verlangt Konzentration. In einem zeitlichen Moment, in welchem sich die Gesellschaft vermehrt in virtuellen Welten zurückzieht, Räume vornehmlich dazu da zu sein scheinen, um überwunden zu werden, und Mobilität und Technik kaum dazu einladen, innezuhalten und wahrzunehmen, sollten wir uns die Frage stellen, wo wir individuell erfahren und prüfen können, wie Räume und deren Qualitäten auf uns wirken, uns beeinflussen und manipulieren können. Es sind aber eben auch wir selbst, die Räume durch unsere Aktivitäten konstituieren und ihnen soziale und gesellschaftliche Bedeutung geben können.