Anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Gründung des Bauhauses 1919 präsentiert die Galerie Kornfeld die zweite Einzelausstellung des in Chicago lebenden Künstlers und Dozenten Jan Tichy. Parallel zur Einzelausstellung in der Galerie hat Jan Tichy eine Gruppenausstellung für 68projects, den Projektraum der Galerie Kornfeld auf der gegenüberliegenden Straßenseite, kuratiert. Die beiden Ausstellungen ergänzen sich und setzen seine Auseinandersetzung mit den Ideen des Bauhauses fort.
In seinem Text Social Formalism (2017) erläutert Jan Tichy, dass seine Werke den Ort besetzen, an dem Formen mit ihren äußeren Gegebenheiten kollidieren. Mit dem Begriff „Social Formalism“ (Sozialer Formalismus) lässt sich eine sozial bewusste, künstlerische Praxis beschreiben, die auf eine formalistische Bildsprache zurückgreift. Der Künstler arbeitet vielfach mit archivbasierten Inhalten, um Verbindungen zwischen historischen Ebenen und Werten mit zeitgenössischen Themen herzustellen. Basierend auf diesen Methoden realisierte er 2016 die Ausstellung Weight of Glass in der Galerie Kornfeld. Darin reflektiert er die Flucht der Fotografin Lucia Moholy aus Berlin im Jahr 1933 und den daraus resultierenden Verlust ihres Werks mit dem Schicksal heutiger Flüchtlinge. Installation no.30 (Lucia) wird im Januar im Rahmen des Eröffnungsfestivals Bauhaus 100 in der Berliner Akademie der Künste zu sehen sein.
Thin Lines vereint jahrhundertealte spirituelle und wissenschaftliche Materialien und Ideen mit zeitgenössischen Werken in verschiedenen lichtbasierten Medien und lässt diese mit unserer aktuellen sozialen und politischen Realität kollidieren. Die Ausstellung ist damit ein Nachdenken über einen zeitgenössischen sozialen Raum, in dem lokale jahrhundertealte Ideen und Meinungen ihren Nachhall finden. Unsere Welten sind, genau wie unsere Handflächen, von dünnen Linien durchzogen. Eine Linie impliziert einen Sinn. Eine dünne Linie hinterfragt die Möglichkeit von Balance. Eine Linie teilt einen Raum oder eine Fläche.
Eine der entscheidenden Erkenntnisse bei der Aufgliederung einer Fläche verdankt sich der Theorie über die Zerlegung einer Ebene des deutschen Mathematikers Karl Reinhardt, der vor exakt einhundert Jahren untersuchte, wie identische geometrische Formen sich lückenlos zu einer zweidimensionalen Fläche zusammenfügen. Reinhardt entdeckte fünf Typen von Fünfecken, die, aneinandergelegt, eine lückenlose und gleichzeitig überlappungsfreie Fläche bilden. Man spricht hier von Parkettierung. Jan Tichys Werk "On Decomposition of a Plane" besteht aus einer Folge von Siebdrucken, welche die Parkettierung mit Fünfecken nutzt, um über das soziale Miteinander von Gesellschaft zu reflektieren. Fünfzehn Drucke werden dabei von zwei Einkanal-Videos begleitet, um die Migration des Menschen in diese Ordnung einzugliedern.
Ebenfalls Teil der der Ausstellung ist ein originaler Abdruck der Handfläche von László Moholy-Nagy, der im Frühjahr 1926 als Teil einer größeren Anzahl von Handabdrücken der ProfessorInnen und StudentInnen des Bauhauses zu Zwecken des spirituellen Handlesens entstand. Die übrigen Handabdrücke sowie weitere Objekte, die sich auf die Spiritualität am Bauhaus beziehen, werden Mitte des Jahres in der Ausstellung Bauhaus Fingerprints in der Kunsthalle Osnabrück zu sehen sein.
Jan Tichys künstlerische Praxis wurde durch die Lehrmethoden von László Moholy-Nagy geprägt, die dieser am New Bauhaus in Chicago entwickelte. Ausbildung als kreativer Dialog zwischen Schüler und Lehrer war ein entscheidendes Element dieser Methoden. Jan Tichy hat diese Praxis des Bauhaus-Meisters in den letzten zehn Jahren an der School of the Art Institute of Chicago weiterentwickelt.
Chicago Grid, die von Jan Tichy kuratierte Gruppenausstellung im Projektraum 68projects, bringt KünstlerInnen und Lehrende zusammen, die zuvor mit Tichy zusammengearbeitet haben und von beiden Seiten dieses Bildungsaustauschs kommen. Diese Ausstellung hinterfragt das Konzept des Netzwerks in seinen vielfältigen Formen und Bedeutungen, eine Anspielung auf die Berliner Bauhäusler, die vom Chicagoer Straßennetz fasziniert waren.
Die in der Ausstellung gezeigten Künstler sind: Faheem Majeed, Alfonso und Gillion Carrara, Kate Conlon und Boyang Hou, Shawn Decker, Frances Lightbound, David Rueter und Marissa Lee Benedict sowie Helen Maria Nugent.
Als zeitgenössischer Künstler arbeitet Jan Tichy an der Schnittstelle von Video, Skulptur, Architektur und Fotografie. Seine konzeptuellen Werke sind sozial und politisch engagiert. Geboren 1974 in Prag, studierte er zunächst Kunst in Israel und erhielt dann seinen Master of Fine Arts an der School of the Art Institute of Chicago, wo er heute als Assistenzprofessor im Department of Photography und dem Department of Art & Technology Studies tätig ist. Das MCA Chicago, das Santa Barbara Museum of Art, das Wadsworth Atheneum Museum of Art, das Museum of Contemporary Photography in Chicago, das Chicago Cultural Center, das Tel Aviv Museum of Art und das CCA Tel Aviv zeigten Einzelausstellungen des Künstlers.
Werke von Jan Tichy finden sich in so bedeutenden Sammlungen wie dem Museum of Modern Art in New York oder dem Israel Museum in Jerusalem. 2011 gründete er das „Project Cabrini Green“, ein kommunales Kunstprojekt, welches das letzte Hochhaus des Cabrini Green Housing Projects während seines einmonatigen Abrisses mit gesprochenen Worten illuminiert. 2014 begann Tichy die Arbeit an einem von der NEA geförderten kommunalen Langzeitprojekt in Gary (Illinois) – der kulturellen Plattform Heat Light Water. 2017 brachte das Projekt Beyond Streaming: a sound mural for Flint im Broad Museum in Michigan Teenager aus Flint und Lansing zusammen, die über ihre Erfahrungen mit der anhaltenden Wasserkrise berichteten.
2018 war Jan Tichy einer der vier Künstler, die Art on theMART, die größte künstlerische Videoprojektion der Welt in Chicago, eröffnete. In seiner dort gezeigten Arbeit Artes in Horto: Seven Gardens in Chicago wurden unter anderem Moholy-Nagys Fotogramme mit Blumen auf die Fassade des Gebäudes theMART projiziert.