Lois Weinberger zeigt in der Galerie Krinzinger unter dem Titel „Die Rückseite der Landschaft“ Arbeiten aus über 40 Jahren. Eine Wiederbegegnung - von Natur aus.
Die Natur ist schwer zu fassen, wo auch immer man ihre Grenzen ziehen mag. Lois Weinberger bedeutet dieses FASSEN seit Jahrzehnten Neugiersland, Forschungsgebiet und künstlerisches Feld. Ab 20. November lässt sich diesem Fassen in der Galerie Krinzinger nachspüren, dort wo Weinberger im Jahre 1983 zum ersten Mal seine Arbeit präsentierte. Nach zahlreichen Ausstellungen, die den Künstler allein in den vergangenen beiden Jahren unter anderem nach Athen, Kassel, Besancon, Paris, Berlin, Kathmandu oder Tokio führten, ist er mit seiner Arbeit wieder in Wien gelandet und gestaltet die Galerie Krinzinger zu einem Ort der Wieder- und Neubegegnung. 35 Jahre nach seiner ersten Schau in der Galerie zeigen die ausgestellten Zeichnungen, Skulpturen, Notizen und Fotografien unter dem Titel „Die Rückseite der Landschaft“ einen beeindruckenden Rückblick auf einen langen Weg, der viele künstlerische Erinnerungen und neue Entdeckungen sehen lässt. Ein Ende dieses Weges kommt dabei nicht in Sicht. Und das ist gut so.
Immer wieder wird dem vielfach ausgezeichneten Lois Weinberger die Natur als Motto seiner Kunst zur Seite gestellt, was angesichts der Gebiete, die der Künstler be- und verarbeitet, zu kurz greift. Weinberger ist Reflektor, Beobachter, Übersetzer, Forscher, Festhalter, Entdecker, ein Alltagsarchäologe, Neugieriger, Überraschungstäter, Analytiker und Erzähler. Sein politischpoetisches Vorgehen legt sich wie ein Netz über Randzonen aller Art. Die gilt es für ihn zu untersuchen und dabei Hierarchien in Frage zu stellen. Zur Erinnerung: Auf der Documenta X bepflanzte Weinberger ein stillgelegtes Eisenbahngeleis auf einer Länge von 100 Metern mit allerlei Neophyten, also „eingewanderten“ Pflanzen aus Süd- und Südosteuropa. Damit schuf er eine Installation, die zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ethnopoetischen Bezügen weit darüber hinaus führt.
„Das über Pflanzen ist eins mit ihnen“, schrieb Lois Weinberger im Rahmen einer Installation vor der Kunsthalle Wien im Jahre 1997. Weinbergers Pflanzen stehen jedoch nur für eines seiner vielen Werkzeuge. Die Beschäftigung mit den Dingen, die Weinberger findet (oder verhält es sich umgekehrt?) versteht er als ein „Sich-auseinandersetzen mit uns und unserem Handeln". Seine Gärten sind Orte des „Beobachtens" und des „Geschehen-Lassens". Er untersucht die Bedeutung von Veränderungen, die weder mit Profanem wie dem „Garten Eden" zusammenhängen, noch auf ästhetische oder örtliche Kriterien festzulegen sind.
Zu den Buchstaben Weinbergers konsequenter wie überraschender Formensprache zählt die nickende Bisamdistel ebenso wie Tiermumien, Geäst, Stahl, Plastiktaschen, Stein, Gehörn, Textilien, Produkte aus dem Baumarkt, wilder Mauerpfeffer oder Fundstücke vom Wegesrand, die zu Darstellern von Weinbergers Inszenierungen werden. Kein Medium erscheint ihm fremd, wenn es dazu taugt, seinen Wissensschatz in Form zu bringen. Diesen schiebt der Künstler wie ein Schild vor sich her. Dahinter brütet er so manches aus, stellt Bezüge her und breitet sich in diesen aus. Sie heißen Bildende Kunst ebenso wie Literatur, Politik, Philosophie, Ethnologie, Geschichte und anders.
Die Ausstellung in der Galerie Krinzinger ist wie jede Schau des Künstlers retrospektiv angelegt. Sie erlaubt es, in Weinbergers wuchernde und oft visionäre Welt, die seit den frühen 1990er Jahren essenzielles zur Debatte zu Kunst und Natur beiträgt, einzutauchen, zu sehen, zu erfahren, zu lernen, manchmal auch zu schmunzeln. Weinbergers Welt ist eine Wunderkammer und ein Gedankenlabor. Der Künstler blickt zurück um nach vorn schauen zu können, dabei entdeckt er Dinge, die er für sein Publikum übersetzt, um eine Geschichte offenzulegen. Die Interpretationshoheit des Betrachters bekommt zu tun. Weinberger, zweifacher Teilnehmer an der documenta sowie der Biennale Venedig ist Empfänger, Sender und Wanderer auf neuen Wegen, die neue Maßstäbe und Blickwinkel ins Bewusstsein der Betrachter seiner Arbeit pflanzt.