Dieses Jahr widmet sich die Fondation Pierre Gianadda der Abstraktion mit dem Künstler Pierre Soulages, dessen raffinierte, klare und strenge Abstraktion mit vielsagender Stille und Eleganz die Wände der Fondation bereichern. Die Ausstellung wurde mit dem Centre Pompidou in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler Pierre Soulages und der Fondation Pierre Gianadda konzipiert Zum ersten Mal werden Werke des Malers der Jahre 1948 bis 2017 gezeigt, die im Centre Pompidou konserviert sind: 16 Gemälde, 5 Zeichnungen, 6 Bilder mit Nussbeize gemalt, davon drei sehr seltene aus dem Museum Soulages in Rodez. Ebenfalls sieht man zwei außergewöhnliche Teerglasbilder aus dem Jahre 1948. Teer ist eine neue originelle Materie, die auf dem Glas eine überraschende mysteriöse Spur hinterlässt und an ein chinesisches Kunstwerk erinnert.
Die Retrospektive zeigt das Werk eines Künstlers, der seit seiner Kindheit unaufhörlich das Licht beobachtet hatte. Der am 24. Dezember 1919 in Rodez geborene Maler interessierte sich sehr früh für die prähistorische und romanische Kunst. Als der dreizehnjährige Pierre die Abtei Sainte-Foy de Conques besucht, fühlt er sich zum Maler berufen. Er taucht als Kind den Pinsel in schwarze Tusche, um den Schnee auf das weiße Blatt zu malen. Beginnende Wahrnehmung des Kontrastes zwischen Schwarz und Weiß? Erste Emotionen erlebt er vor der hohen Mauer der Kathedrale oder vor den Menhir-Statuen im Museum Fenaille in Rodez. Ein schwarzer Teerfleck auf der gegenüberstehenden Mauer des Krankenhauses, den der zwölfjährige Knabe von seinem Zimmer aus beobachtete, konnte in seiner Fantasie verschiedenste Bedeutungen annehmen. Eine frühzeitige Fähigkeit, den Gegenstand zu verneinen und Schwarz als Farbe wahrzunehmen.
Seine ersten Gemälde 1934 evozieren dunkle Silhouetten von kahlen Bäumen. 1938 verlässt er Rodez und reist nach Paris, wo er sich im Atelier von René Jaudon anmeldet. Überzeugt vom außergewöhnlichen Talent des jungen Künstlers veranlasst Jaudon ihn, eine Ausbildung in der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts zu beginnen. Soulages findet den Unterricht uninteressant und zu akademisch und kehrt 1939 nach Rodez zurück. Bevor er Paris verlässt besucht er zwei Ausstellungen von Cézanne und Picasso - eine Offenbarung. Er empfindet die Stillleben von Cézanne als „ein Schock lebendiger Kunst…. die den Eindruck von unübertroffener Fülle und Vollkommenheit vermittelt“.
Fasziniert von der Steinzeit nimmt er 1940 in Rodez an archäologischen Ausgrabungen und Erforschung von Höhlenmalerei teil. Im Juni 1940 wird er als Soldat nach Bordeaux und dann nach Nyons mobilisiert.
Anfang 1941 wird er vom Militärdienst entlassen und begibt sich nach Montpellier, wo er sich um den Wettbewerb als Zeichenlehrer bewirbt. In der Ecole des Beaux-Arts trifft er seine spätere Frau Colette Llaurens. Er liest viel Poesie und entdeckt zufällig beim Lesen der deutschen Zeitschrift Signal Reproduktionen von Mondrian, Ernst, Masson, u.a. Der mit ihm befreundete Schriftsteller Joseph Delteil ermutigt ihn während des Zweiten Weltkrieges zum Malen. “Delteil war so stark von meiner Malerei überzeugt, dass ich begann, selbst daran zu glauben“ sagt später Pierre Soulages.
In den ersten abstrakten Bildern von Soulages dominieren dunkle Töne. In der Pariser Kunstszene der Nachkriegszeit unterscheiden seine Werke sich von der farbreichen halbfigürlichen Malerei der Ecole de Paris. Er stellt 1947 im Salon der Surindépendants aus, wo Hartung und Picabia auf den jungen Künstler aufmerksam werden. Ein Jahr später nimmt er zum ersten Mal in Deutschland an der Ausstellung „Französische abstrakte Malerei“ teil, die bis 1949 in mehreren Großstädten gezeigt wird. In der Ausstellung sind unter anderem auch Werke von Hartung, Kupka oder Doméla zu sehen, unter denen Soulages bei weitem der Jüngste ist. Für das Plakat wurde ein Nussbeizenbild von Soulages gewählt. Die deutsche Presse ist beeindruckt. Der junge französische Künstler gelangt schnell zu internationaler Anerkennung.
Seit seinen Anfängen befreit Soulages sich von Model und Gegenstand. Er wählt eine Abstraktion, die keine farbenfrohen geometrischen Formen benutzt, wie die der meisten seiner Zeitgenossen. Im Gegenteil, er wählt dunkle Farben, die eine besondere Spannung, Energie und Freiheit ausstrahlen und auf den Betrachter große Wirkung ausüben. Er benutzt neu erfundene Materien und Techniken wie dunkle Nussbeize, die sogenannte „brou de noix“, der braune Saft aus der Schale der Walnuss, der vor allem von Schreinern und Tischlern für das Einfärben von Holz benutzt wird. Er braucht keinen Pinsel sondern streicht die Beize mit ungewöhnlichen Werkzeugen wie Bürsten, Besen, Spachteln, wie sie von Anstreichern auf Haus-oder Zimmerwände benutzt werden, auf das Papier. Was den Maler fasziniert, ist die unerwartete und überraschende Reaktion dieser Substanz auf dem Papier. Das Ergebnis ist ein kräftiger und dynamischer Duktus und eine schwindelnde Vertikalität, wie man im Werk „Brou de noix sur papier 65 x 50, 1948-1“ sehen kann.