Die Galerie Guido W. Baudach freut sich, unter dem Titel Manifestations eine Gruppenausstellung zu präsentieren, die anhand ausgewähl- ter Arbeiten von verschiedenen Künstlern der Galerie vielschichtige Aspekte der zeitgenössischen Skulptur aufzeigt und zur Diskussion stellt.
Skulpturen sind – zunächst einmal - von Menschenhand in ideeler Absicht hergestellte dreidimensionale Objekte. Entsprechende Artefakte aus dem Neolithikum sind die ältesten uns bekannten Kunstwerke überhaupt. Durch alle Epochen hindurch stellt die Bildhauerei eine der zentralen künstlerischen Disziplinen dar. Im frühen 20. Jahrhundert wurde diese durch das Readymade, welches nicht vom Künstler selbst geformt oder hergestellt ist, sondern als Fundstück in die Kunst eingeführt wird, um eine völlig neue Sparte erweitert. Seither verwenden Künstler vorgefundene Gegenstände, sogenannte Objets trouvés, ganz selbstverständlich als Material der plastischen Gestaltung.
Dies ist zum Beispiel bei den Arbeiten des Malers und Bildhauers Thomas Helbig der Fall. Quattrocento nennt sich seine, 2011 entstande- ne Assemblage, deren Titel eine Brücke zur europäischen Renaissance schlägt – einer Epoche, die sich explizit der Beschäftigung mit dem menschlichen Körper widmete. Helbigs Skulptur offenbart deutlich weibliche Züge. Der kopflose Torso einer Schaufensterpuppe ist mit einem Holzstamm zu einer hybriden Figur verklebt, die erst aufgrund ihrer durchgängigen Bemalung mit tiefbraunem Lack vereinheitlicht wirkt.
Eine Synthese unterschiedlicher Bestandteile kennzeichnet auch den Beitrag des im Bereich der digitalen Kunst bekannten Multime- dialisten Markus Selg. Wo Helbigs Plastik dunkel und dystopisch erscheint, tritt Selgs Dream Stele (Thutmose IV) dem Betrachter in leuchtenden CMYK-Farben entgegen. Konkret erkennt man Elemente der antiken Vergangenheit (das Antlitz der Mumie eines ägyptischen Königs) sowie Bildmuster des Computer-Zeitalters. Figur und Sockel zeigen Motive, die entweder Fundstücke oder grafische Strukturen sind; letztere entstanden unter Anwendung eines fraktalen Algorithmus. Anschließend wurden die miteinander verbundenen Muster und Bildzitate thermoplastisch auf Kunststoffflächen gedruckt und in einem weiteren Arbeitsschritt vom Künstler per Hand von der zweiten in die dritte Dimension überführt.
Auch der Maler, Bildhauer und Installationskünstler Thomas Zipp verklammert unterschiedlich konnotierbare Materialien. Seine Skulptur Force Table veranschaulicht Elemente aus basalen stereometrischen Grundformen sowie hölzerne Extremitäten von Gliederpuppen. Asso- ziationen zum Russischen Konstruktivismus verbinden sich mit den Puppen-Metamorphosen der Surrealisten. Darüber hinaus erhält die Skulptur durch Verkabelung, Elektrizität und Glühbirnen Aspekte eines Lichtbringers bzw. einer kinetischen Mensch-Maschine. Im Kontrast zu den collagierten Figurationen von Zipp, Selg und Helbig präsentiert der Schweizer Künstler Yves Scherer eine geradezu klassisch erscheinende Bildhauerarbeit. Dabei ist Vincent, ein mit rosafarbenem Lack überzogener, lebensgroßer männlicher Akt aus gegossenem Aluminium, die 3D-Realisation eines Standbildes des Schauspielers Vincent Cassel aus dem Film Irréversible (2002). Die lässig dem Bad entstiegene, an einen modernen David erinnernde Erscheinung verweist nur mehr im Subtext auf die Gewaltexzesse, in welche die Figur im Film verwickelt ist.
Unterschwellig beunruhigend und verstörend sind auch die Videos der US-amerikanischen Künstlerin Aïda Ruilova, in denen emotionale und psychische Zustände transportiert werden. In ihrem nur knapp einminütigem Video 7 Things of Mollino aus dem Jahr 2006 präsentiert eine in die Kamera gehaltene Hand in abgedunkeltem Interieur scheinbar zusammenhangslos obskure Gegenstände. Die Arbeit entstand in der verwunschenen Villa des italienischen Universaltalents und Exzentrikers Carlo Mollino (1905-1973) in Turin. Die filmische Vorführung meist skulpturaler Objekte – von Abgüssen antiker Spolien über Kuriositäten aus der Wunderkammer – zeichnet gleichsam ein Psycho- gramm ihres einstigen Besitzers.
Transparent erscheint die Superstruktur (Melancholia) betitelte Skulptur des Bildhauers Björn Dahlem, ein auf dem Boden stehendes waberndes Geflecht aus dünnen Holzleisten, in das neben anderen Materialien ein LED-Kabel eingearbeitet ist. Das durchleuchtete kos- mische Netz lehnt oder balanciert auf einem weißen Polyeder, einer platonischen Idealform, die schon in Albrecht Dürers Kupferstich Me- lencolia I symbolische Verwendung fand. Der Polyeder wirkt als rätselhafter Baustein bzw. als Sockel eines kaum fassbaren Weltentwurfs. Ein etwas abseits stehender, aber ebenso zur Arbeit gehörender, aus Fundstücken hergestellter Glaskelch verweist mit seinem Inhalt, einem dunklen Elixier, offenbar auf die schwarze Galle – eine Flüssigkeit, die im Kontext der antiken Lehre von den vier Temperamenten der Melancholie zugewiesen ist, jener Gemütslage, in der nicht zuletzt die Dichter der Romantik den Urgrund allen schöpferischen Tuns, aller künstlerischen Praxis sahen.
Angedeutete Zukunftsszenarien im Verbund mit historischem Material finden sich auch auf DEAD MAD DEAD (1997-2007) von Andy Hope 1930, einem mit Goldfolie beklebten Karton, auf dessen sichtbaren Seitenflächen der Künstler collagierte Kompositionen aus unterschied- lichen Elementen aufgebracht hat: verrätselte Embleme, Zahlen und Slogans, Comic-Superheldinnen und -helden sowie die mittelalterlich anmutende Illustration einer Falkenjagd. Das schillernde Objekt mit dem eigentümlich niedrigen Sockel und der auratisierenden Plexiglas- haube wirkt wie ein Schrein, ein Schrein des Trash, zu dessen genauerer Betrachtung man buchstäblich in die Knie gehen muss.
Von einer ganz anderen Materialität zeugt Baubi3 von Philipp Modersohn, eine sich dreistufig verjüngende Skulptur, die aus Sedimenten wie Kieselsteinen und Sand gefertigt ist, aber gleichwohl nicht die zu erwartende ephemere, zerbrechliche Anmutung besitzt. Formal könn- te man sich an eine abstrakte Plastik des frühen 20. Jahrhundert erinnert fühlen, doch diese historische Perspektive sollte nicht den Blick darauf verstellen, was dieses mit Rollen ausgestattete zeitgenössische Kunstwerk auch ist: ein in Form gebrachter, mobiler Sandhaufen im Zeitalter des Anthropozän.
Im Kontrast zu diesen Natur- und Landschaftsbezügen veranschaulicht die Skulptur Sony HD des Niederländers Erik van Lieshout aus dem Jahr 2009 ein technisches Gerät, eine Video-Kamera, die allerdings aus Karton und Selbstklebefolie gefertigt ist. Der Künstler porträtiert auf diese Weise sein primäres Arbeitsutensil, denn die mit seiner Videokamera aufgenommenen Filme fungieren bei van Lieshout stets als Ausgangspunkt für die weiterführende Ausarbeitung des jeweiligen Themas in Form von Zeichnungen, Malereien und/oder Installa- tionen. Farbige Klebefolie kommt dabei immer wieder als Gestaltungsmittel zum Einsatz. Somit erinnert Lieshouts Kamera-Skulptur als dreidimensionales Bild nicht nur an Stilformen der Moderne, wie etwa die Minimal Art, sondern berührt mit Aspekten wie Abbild(ung), Perspektive, Bildtiefe und Illusionismus grundsätzliche Topoi, die weit in die Kunstgeschichte zurückreichen.