Die Galerie Guido W. Baudach freut sich, ihre achte Einzelausstellung von Erwin Kneihsl zu präsentieren. Der aus Wien stammende Künstler ist bekannt für seine mit analogen Kameras erstellten und per Handabzug auf Barytpapier übertragenen Schwarzweiß- fotografien ausgewählter Sujets, sowie für deren innovative, oft raumbezogene Präsentation.
Für die mit einem entschiedenen that’s it betitelte Show hat Kneihsl die Ausstellungsfläche der Galerie mittels verschiedener Einbauten in eine abge schlossene, doch zugleich transparente Raumsphäre verwandelt. Die Fotografien sind nicht in klassischer Manier an den Wänden befestigt, sondern wie Herbstlaub im japanischen Garten gezielt auf dem Boden verteilt. Außen und Innen konvergieren; der Garten ist gleichsam in ein Interieur verpflanzt, welches über ebenso zurückgenommene wie klare Koordinaten verfügt. Zu der objektivierten Atmosphäre trägt insbesondere das gleichmäßige, abge dämpfte Streulicht im Inneren bei. Eingang und Abschluss des Ausstellungsbereiches, sowie ein seitlich in die Wand eingebrachtes Fenster sind mit milchig-weißem Shoji-Papier versehen, eine Intervention, welche die abgeschattete Stimmung in den Fotografien auf die Raumwahrnehmung überträgt. Die Präsentation der fotografischen Arbeiten auf dem Galeriefußboden mag den Eindruck von bewusster Entwertung hervorrufen. Tatsächlich findet je doch eine Aktivierung des in seinen Sehgewohnheiten herausgeforderten Publikums statt.
Überhaupt folgt die Ausstellung einer ganz eigenen Vorstellung von ästhetischer Perfektion, indem sie das Nicht-Symmetrische, das noch nicht ganz Fertige, das Irritierende betont. Kneihsl setzt diese Grundidee auch bei der Auswahl seiner Bildmotive um. Während vorwiegend Fotografien der Sonne, dem prototypischem Ursprung allen Lichts, sowie unterschiedlich aus geleuchtete Porträtaufnahmen einer androgyn wirkenden Schaufensterpuppe zu sehen sind, finden sich hier und da auch einige von dieser Ikonographie abweichende Sujets – etwa ein Foto, auf dem Kneihsl selbst hinter der Kamera zu sehen ist.
Das Einbeziehen des Urhebers, aber auch die Darstellung der Lichtquelle erinnert an Bildschöpfungen, wie sie in der flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts in Erscheinung getreten sind. Insbesondere in den Interieurs von Jan Vermeer tauchen Fenster als konkrete Leuchtmittel auf, deren Ausstrahlung die Figuren in den Bildern auf komplexe Weise modelliert – ähnlich setzt auch Kneihsl das Antlitz der Puppe mittels Seiten und Rücklicht in Szene. Gleichzeitig kommen hier fototheoretische Überlegungen ins Spiel, weist die Oberfläche der Puppe doch den exakt gleichen Reflexionsgrad wie die Gray Card auf, ein dem Fotografen unentbehrliches Hilfsmittel zur Lichtmessung.
Puppe und Sonne sind beliebte Topoi der Klassischen Moderne. Erstere ist im Kontext der Neuen Sachlichkeit und des Surrealismus verortet; letztere hat unter anderem in der russischen Avantgarde, namentlich im Konstruktivismus ihren Platz. In Kneihsls Bildkosmos sind beide bereits seit geraumer Zeit als zentrale Motive anzutreffen. Mit der kontinuierlichen Einübung und Wiederholung folgt der Künstler einer Programmatik, die sich in immer weiter ausgearbeiteten Varianten ein und desselben Themas ausdrückt. Diese stete Durchdringung führt dazu, dass die eigentlich stereotype plastische Figur der Puppe durch immer neue Licht-Schatten-Inszenierungen in vielfältiger Art und Weise auftritt und dabei seltsam verlebendigt erscheint. Gleichzeitig verleiht das Spannungsfeld zwischen individualisierter Körperlichkeit und objektivierter Künstlichkeit den Aufnahmen ein futuristisches Moment, das an menschliche Cyborgs denken lässt. Ein größeres, gerahmtes Puppen-Bild ragt aus dem Blättermeer heraus. Ihm ist ein auf magentarotem Papier gedrucktes Foto eines Gorillas gegenübergestellt. Beide wurden mit einer Digitalkamera erstellt und als computergenerierte Prints ausgeführt, was sie als bewusste Erweiterung der bei Kneihsl sonst üblichen analogen Arbeitsweise erscheinen lässt. Die Fotografie des Affen zeigt ein Präparat aus einem Naturkundemuseum und ist ebenso wie das Bildnis der Puppe als anthropologische Metapher zu verstehen. Allerdings verweist diese nicht auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit, auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen. Gemeinsam bilden die beiden Fotografien eine imaginäre Zeitachse. Erwin Kneihsl verbindet in that’s it ausgewählte Aspekte der westlichen Kunstgeschichte mit ästhetischen Konzepten der japanischen Kultur und schafft dabei auf Grundlage seiner eigenen jahrzehntelangen Praxis im angestammten Medium eine neue, andere Erscheinungsform von Fotografie.
Erwin Kneihsl hat an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland teilgenommen. Eine Auswahl der letzten fünfzehn Jahre umfasst: In media res, Hiromi Yoshii Gallery, Tokio (2018) / nightsun, Kōya-san, Japan (2017) / Der rote Affe, The View, Budapest (2017) / Universe, Warsaw Gallery Weekend, Warschau (2014) / Prague Bien- nale 6 (2013) / US, Fabrik K, St. Gallen (2012) / Es gibt ... / There is ..., b-05 Kunst- und Kulturzentrum Association e.V, Montabaur (2012) / Die Andere Seite, KAI 10 | Arthena Foundation, Düsseldorf (2009) / BERLIN2000, PaceWildenstein, New York (2009) / Mare Humorum 1, Hiromi Yoshii Gallery, Tokio (2008) / La Petite Histoire, Kunstraum Nieder- österreich, Wien (2008) / Kommando Calvin Cohn, Salon 94, New York (2007) / Constructing New Berlin, Phoenix Art Museum and Bass Museum of Art, Miami (2006) / Ketzer & Co. – Montage auf der Achse Brünn – Berlin, Haus der Kunst, Brünn (2006) / Schwarz, Brot, Gold, Oldenburger Kunstverein (2005) / Licht 4 - Der Heilige Berg, allerArt, Bludenz (2004) / Sex, Essen und Gewalt – Teil 1-3 (Ausschnitt), Werkblock 1984-93, Le Bar du Paris Bar, Berlin (2004) / Montana Sacra (Circles 5), ZKM, Karlsruhe (2001). Erwin Kneihsl ist Herausgeber der Zeitschrift Schönheit und Vernunft – Zeitschrift für Fototheorie, die im Verlag Ich & Du erscheint. Erwin Kneihsl (*1952) lebt und arbeitet in Wien.