Galerie Kornfeld freut sich sehr, erstmals Werke des syrischen Künstlers Tammam Azzam zu präsentieren. Ausgestellt werden neue Collagen aus bis zu 50.000 Papierschnipseln und Gemälde.
Tammam Azzam machte erstmals 2013 auf sich aufmerksam, als er sein Atelier in Syrien aufgeben musste und in seiner neuen Heimat Dubai begann, digitale Fotomontagen anzufertigen. Diese setzten sich direkt mit dem Krieg in seinem Heimatland auseinander. Eine dieser Arbeiten zeigt ein bombardiertes syrisches Gebäude, das mit einer Abbildung von Gustav Klimts „Der Kuss“ überlagert ist. Das Werk verbreitete sich kurz nach seiner Veröffentlichung viral in den sozialen Medien und zählt zu den bekannteste Motiven des Künstlers.
Ausgehend von diesen Werken fand Tammam Azzam auf einer neuen Ebene zurück zur Malerei. Mit „Storeys“ (= Stockwerke), einer Reihe monumentaler Acrylgemälde, die das Ausmaß der Verwüstung in Syrien anhand expressionistischer Kompositionen zerstörter Stadtlandschaften zeigen, hielt der Künstler den gegenwärtigen Zustand des Landes mittels einer kathartischen Rekonstruktionsübung fest, Stockwerk um Stockwerk.
In der Folge entwickelte sich sein malerisches Schaffen in Richtung dreidimensionales Objekt: neben die Acrylgemälde sind Objekte aus Eisen getreten, die ebenso als Bild wie als Skulptur gelesen werden können, sowie großformatige Papiercollagen in einer von Tammam Azzam entwickelten Technik, die Malerei und Collage auf eine neue Weise verbindet: bis zu 50.000 kleine und kleinste Schnipsel von Hand bemalter Papiere werden in mehreren Lagen zu visuell beeindruckenden, großformatigen Kompositionen angeordnet. Aus der Ferne wirken diese Werke wie Gemälde. Von Nahem aber zeigt sich einerseits eine Verwandtschaft mit dem Mosaik – eine Vielzahl kleiner, farbiger Teilchen verbindet sich zu einem großen Bild. Vor allem aber wird die Dreidimensionalität und damit die Objekthaftigkeit dieser Werke deutlich: die taktilen Wechselwirkungen von Oberfläche und Form verleihen dem Medium Malerei tatsächlich eine neue Dimension. Die meisten dieser Papiercollagen werden auf Leinwand aufgezogen. Bei den Werken, die nicht auf Leinwand aufgezogen, sondern als dreidimensionales Objekt im Raum präsentiert werden, erscheinen die Zerbrechlichkeit des collagierten Papiers ebenso wie die Zartheit der Rückseite, die ein ganz anderes Bild zeigt als die Vorderseite, noch einmal gesteigert und intensiviert.
Die Spannung, die sich aus der Gegenüberstellung der zugleich malerischen wie objekthaft-körperlichen Papiercollagen, dem physischen Umgang mit der Acrylfarbe und der dichten architektonischen Abstraktion ergibt, erweckt den Eindruck, als würde man einen Ort des beklemmenden Chaos betrachten. Der Kunstkritiker Ralf Hanselle bemerkt: „Letztlich ist es diese Technik der Neuaneignung und der Dekontextualisierung, der Zertrümmerung und der Neuverfugung, die sich ... durch nahezu das gesamte Werk Tammam Azzams hindurchzieht. In immer neuen Medien erprobt der 38-jährige Syrer heute eine Wirklichkeit, die aus dem Lot geraten ist.“ Der Vergleich mit den Dadaisten, die vor gut 100 Jahren das Mittel der Collage intensiv für ihre Auseinandersetzung mit den Schrecken des Ersten Weltkriegs nutzten, liegt auf der Hand, auch wenn Tammam Azzams Werke eher „durch den Gegensatz von ästhetischer Attraktion und unmittelbarem Schrecken“ bestechen, so der Schweizer Kurator Heinz Stahlhut, denn „die Schichtungen seiner Collagen geben realistisch die aufgebrochenen Oberflächen der zerbombten Architekturen wieder, sind aber zugleich sensibelste Malerei.“
Tammam Azzams Werke gehen auf Fotografien zumeist zerstörter Architekturen und Städte zurück, die frei in bildhafte und doch abstrakt wirkende Kompositionen überführt werden. Dabei geht es dem Künstler nicht ausschließlich um Syrien. Die visuellen Hinweise, anhand derer man die Orte erkennen könnte, die dem Künstler als Vorbild dienten, werden so weit abstrahiert, dass sie ihre Individualität zugunsten einer Allgemeingültigkeit verlieren, die über das Objekt und damit auch über das Ereignis hinausweist, das dem Bild zugrunde liegt. Die Werke von Tammam Azzam erzählen so immer auch von den Wunden und den Zerstörungen jeder kriegerischen Auseinandersetzung, zeitgenössischer ebenso wie historischer.
Dank der visuellen Kraft seiner Abstraktionen entsteht ein Identifikationsraum für jene, die die Katastrophe eines Krieges nicht am eigenen Leib erfahren haben: eine Art singuläre Allgemeinheit, die einerseits direkt mit Syrien verbunden ist, andererseits aber auch eine Erfahrung des geteilten globalen Schreckens zum Ausdruck bringt. Azzam selbst beschreibt den Entstehungsprozess seiner Arbeit als körperlich und emotional. Trotz seiner Überzeugung, dass „Kugeln zur Zeit mächtiger sind als Kunst“, glaubt er, dass Kunst dabei helfen kann, die Zukunft aufzubauen: „Es entspricht Tammam Azzams Hoffnung auf die aufbauende Kraft der Kunst, dass er sich nicht auf die kritischen Ausprägungen der Collage bezieht, sondern auf die konstruktiven der Synthese“, bemerkt auch Heinz Stahlhut.
Tammam Azzam hat einen Abschluss in Malerei der Universität von Damaskus. Nach einem ersten Kennenlernen 2001 war er dem aus Syrien stammenden Berliner Künstler Marwan Kassab-Bashi bis zu dessen Tod im Jahr 2016 eng verbunden. Tammam Azzam ist seit 2016 Fellow des Hanse- Wissenschaftskollegs, Institute for Advanced Study, in Delmenhorst, seit 2018 lebt er in Berlin. Seine Werke sind auf Ausstellungen sowohl im Arabischen Raum als auch international zu sehen, u.a. in der Ayyam Gallery in Dubai, auf der Art Dubai, auf der Untitled in Miami und in der Haines Gallery in San Francisco, die ihn auch sehr erfolgreich der Armory Show 2018 präsentierten. Namhafte Institutionen wie beispielsweise die Barjeel Art Foundation in Sharjah, die Atassi Foundation oder die For Site Foundation in San Francisco, für die er eigene Projekte erarbeitet hat, zeigen und sind im Besitz seiner Werke.