Zu ihrer Einzelausstellung im Kunsthaus Baselland führt Rossella Biscotti erstmals ihre Fünf-Kanal-Videoinstallation The City (2018) vor, die uns einen Einblick in ihre umfassenden Recherche- und Filmarbeiten über die archäologische Ausgrabungsstätte Çatalhöyük im türkischen Konya gewährt. Es ist ihre erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz.
Rossella Biscotti untersucht in ihrer Arbeit The City die Beziehung zwischen der neolithischen Bevölkerung, die das früheste bis dato bekannte Stadtzentrum der Welt errichtete, und der archäologischen Gemeinschaft, die es im Lauf der vergangenen 25 Jahre zu Tage gefördert hat. Für die Künstlerin ist dies die erste Einzelausstellung in der Schweiz.
Bietet uns das Studium antiker Objekte und Kulturen einen Spiegel, in dem wir die subjektiven Werte der Forscher in ihrer eigenen Gesellschaft betrachten können? Biscotti arbeitete eng mit Ian Hodder, Professor für Sozialanthropologie an der Stanford Universität und Leiter des Forschungsprojekts Çatalhöyük, und seinem internationalen Team zusammen. Sie filmte während der Ausgrabungskampagnen in den Jahren 2015 und 2016. Hodder, einer der Vordenker der postprozessualen Archäologie, hatte seine Ideen schon seit 1993 in Çatalhöyük ausgetestet. Dazu zählten dezentralisierte Projektmanagementteams, selbstreflexives und tagebuchartiges Berichten, gemeinsame Autorschaft, das Teilen von Daten und das Betrachten der Ausgrabungsstätte als lebendige Gemeinschaft, die Fachleute und Ortansässige zusammenbringt. Vor Ort hielt Biscotti fest, wie diese Methoden zur Erforschung eines antiken Volkes um- und eingesetzt wurden, dessen eigene Gemeinschaft diverse radikale sozioökonomische Veränderungen erfahren hatte.
Das über einen Zeitraum von annähernd 2.000 Jahren (ca. 7.500—5.700 v. Chr.) bewohnte Çatalhöyük lässt 18 verschiedene Schichten der Besetzung erkennen und beherbergte einst eine ‹Proto-Stadt› mit fast 10.000 Einwohnern. Angelegt war diese in einem wabenförmigen, labyrinthartigen Gefüge mit gemeinsam genutzten Gebäuden, die sowohl aus- als auch aufeinander gewachsen waren. Der Film beschäftigt sich insbesondere mit diesen urbanen Formen, in denen das Öffentliche und Private relativ fliessend ineinander übergingen, aber auch mit den komplexen Bestattungsritualen, bei denen die Toten inmitten der Lebenden begraben wurden. Darüber hinaus beleuchtet die Künstlerin Indizien der Arbeitsteilung: Was wo und von wem an diesem Ort produziert wurde, legt eine Gesellschaft mit einer geringen bis inexistenten Schichtung nach gesellschaftlichem Status und Geschlecht nahe. Diese organisatorischen Grundsätze, die zeigen, wie eine andere, womöglich freiere Form von Gesellschaft funktioniert haben könnte, werden dem modernen Kontext der Ausgrabungsstätte gegenübergestellt und regen uns zum Nachdenken über die Entwicklung unserer eigenen sozialen Konstrukte an.
Die Ausgrabungskampagne 2016 fand mit dem Putschversuch in der Türkei ein abruptes Ende und sollte die letzte in Ian Hodders 25 Jahre währendem Projekt sein. Rossella Biscotti hatte zu jenem Zeitpunkt gerade den ersten Tag ihrer Filmarbeiten im zweiten Jahr aufgenommen und stellte ihr Skript nun um. Im Zentrum standen nachfolgend die Bürokratie, die mit der Schliessung der Ausgrabungsstätte einherging, die Meetings, die Abreise des Forscherteams und die leere Landschaft, die schlussendlich zurückblieb.
Rossella Biscotti nutzt eine medienübergreifende Montagetechnik aus Film, Performance und Skulptur, um obskure Momente aus jüngerer Zeit zu erforschen und zu rekonstruieren — häufig vor der Kulisse staatlicher Institutionen. Während sie ihre persönlichen Begegnungen und mündlichen Befragungen zu neuen Geschichten verwebt, hinterlässt auch der Ort ihrer Untersuchungen mitunter seine Spuren an ihren Skulpturen und Installationen. Biscotti hinterfragt die Bedeutung des wiederverwerteten Materials aus einer zeitgenössischen Perspektive und stellt somit eine wahrnehmbare Verbindung zum Jetzt her.