Die Galerie Guido W. Baudach freut sich, zum Gallery Weekend Berlin 2018 ihre achte Einzelausstellung von Thomas Zipp zu präsentieren.
Unter dem Titel Moon Gas zeigt der in Berlin lebende Künstler (*1966) eine raumgreifende Inszenierung, in der sich medial unterschiedliche Komponenten mul- tisensorisch ergänzen. Neben mehreren Malereien verschiedener Materialität und einer ebenso umfang- wie variantenreichen Serie von Papierarbeiten erwartet den Besucher ein zur mobilen Skulptur mutiertes Nutzfahrzeug - alles eingebettet in eine teils interaktive Klang-Installation.
Das kontextuelle Kernstück der Ausstellung bildet eine siebzigteilige Zeichnungsserie, in der Thomas Zipp die für sein Werk so charakteristische Untersuchung der Herausforderung des Schöpferischen durch destruktive Momente in Natur und Technik lustvoll durchdekliniert. Grundlage der Serie ist ein vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe herausgegebener Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen. Ausgezeichnet von einer enorm vielfältigen zeichnerischen und malerischen Bearbeitung der in Einzelblättern auf unterschiedlichen Papiersorten reproduzierten Broschüre präsentiert Zipp hier ein Schlüsselwerk der eigenen künstlerischen Praxis.
Das dominante skulpturale Element ist ein reales und zugleich metaphorisch zu verstehendes Transportmittel, ein Traktor, der in seinem Anhänger kein land- wirtschaftliches Gerät, sondern medizinische Lachgas-Flaschen mit sich führt. Dieses Ready Made Remade erinnert mit seinen weiß und schwarz lackierten Bauteilen nicht nur an die konsequente, basale Abstraktion der russischen Avantgarde, sondern lehnt sich zugleich an die Dazzle-Tarnbemalung der britischen Marine des Ersten Weltkriegs an, die in den 1960er Jahren auch Eingang in die aufkommende Op-Art und von dort in die Pop Kultur fand.
Zu der in Moon Gas auftauchenden Kultur- und Technikgeschichte gehört auch ein nachgebauter Moog, ein modulares Synthesizer-System, das die Popmusik in den 1960er Jahren bereicherte. Die Besucher der Ausstellung sind eingeladen, Klänge auf diesem Synthesizer zu erzeugen, der dafür mit einem Theremin, einem um 1920 erfundenen Ätherwellen-Instrument angesteuert wird. Die dabei entstehenden Sounds verbinden sich mit der Geräuschkulisse einer permanenten Klang-Installation. Dazu hat Thomas Zipp mehrere Druckkammerlautsprecher im Raum installiert, wie sie in Fußballstadien oder bei öffentlichen Kundgebungen gebräuchlich sind und unwillkürlich an Massensuggestion denken lassen. Zu hören ist ein Loop aus einem im Jahr 1963 von Dick Hyman veröffentlichten Track mit dem Titel Moon Gas, den man als Space Age Pop bezeichnen kann – eine an Sun Ra erinnernde, aber doch weiße Cocktail-Jazz-Electric-Weltraum-Phantasie, die klanglich sowohl die Inbesitznahme des Erdtrabanten antizipiert, als auch den psychedelischen Eskapismus der Woodstock-Generation. Nicht umsonst zeigt die Einladungskarte zur Ausstellung ein Foto von einer der damals populären Lachgas-Parties.
Die gezeigten Leinwandarbeiten wiederum veranschaulichen in neuer Form Elemente und Motive, wie sie für das bildnerische Vokabular des Künstlers charak- teristisch sind. So treffen Malerei-Zitate aus der Kunst des 20. Jahrhunderts auf Themen der Wissenschaftsgeschichte, während geometrische Formstrukturen und Patterns von gürlichen, teilweise vegetabilen Elementen überlagert werden. Bezeichnend dabei ist, dass Zipps neue Malereien mehr denn je als Combine Paintings funktionieren, d.h. als Gemälde, in denen die Bild äche mit skulpturalen Bestandteilen angereichert ist und die so die gängige Zweidimensionalität überwinden. Von solcher Mehrdimensionalität bei gleichzeitiger Doppeldeutigkeit gekennzeichnet ist auch das Bild Symmetry (2018). Auf einer geometrisch strengen, von schwarzweißen Dreiecks-Formen scharfkantig rhythmisierten Fläche ist als übermalter Siebdruck das Motiv einer Topfp anze appliziert. Deren eischfarbige Stengel und Blätter besitzen die Anmutung eines menschlichen Wesens, welches sich in einer anorganischen Umgebung behaupten muss. Auch das Bild God (2018), auf dem sich Kopf und Arme einer weiblichen Figur mit einem mächtigen Pinselstrich verbinden, zeigt eine menschliche Gestalt. Die Farbspuren an dem Besen, den die Bild-Figur hält, identi zieren die Frau als eine ́neue Eva ́, die sich, anders als ihre biblische Vorläuferin, selbst erschaffen hat.
Mit Moon Gas führt Thomas Zipp seine Auseinandersetzung mit der Korrespondenz zwischen der technologischen Entwicklung und der einstigen Vitalität der zunächst als fortschrittlich wahrgenommenen Kunstströmungen des 20. Jahrhundert konsequent weiter fort. So, wie sich der zugleich künstlerische wie indust- rielle Aufbruch der Moderne, der als ein positives Moment der Weltverbesserung prognostiziert wurde, mittlerweile ver üchtigt hat, treten seit dem Ausklang der Epoche nicht nur die Überbleibsel und Phantasmen des Uneingelösten, sondern auch die Anzeichen einer permanenten Gefährdung hervor. In der künstlerischen Praxis von Thomas Zipp offenbart sich diese dunkle, hauntologische Dimension in einer teils entfesselten, teils gezügelten Dynamik, die ein ganz eigenes, stabil- fragiles Kraftfeld erzeugt.
Thomas Zipp wurde 1966 in Heppenheim geboren. Er hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen im In- und Ausland teilgenommen, u.a.: Deutschland ist keine Insel, Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland Ankäufe von 2012 bis 2016, Bundeskunsthalle, Bonn (2018) / The Threshold Problem and Some Possible Ways to Solve It, Cc Foundation & Art Space, Shanghai (2016) / Manifesta 11, Zürich (2016) / Picasso in der Kunst der Gegenwart, Deichtorhallen Hamburg (2015) / Avatar & Atavismus, Kunsthalle Düsseldorf (2015) / 11ème Biennale de l’Art Africain Contemporain, DAK’ART 2014, Dakar (2014) / 55th International Art Exhibition, Comparative Investigation about the Disposition of the Width of a Circle, La Biennale di Venezia (2013) / I knOw yoU, Irish Museum of Modern Art (2013) / Paintings from the Rubell Family Collection, Fundación Banco Santander, Madrid (2012) / If Not In This Period Of Time: Contemporary German Painting 1989- 2010, Museu de Arte de São Paulo (2010) / Sympathy for the Devil: Art and Rock and Roll Since 1967, Museum of Contemporary Art Chicago (2008) / Vertrautes Terrain – Aktuelle Kunst in & über Deutschland, ZKM, Karlsruhe (2008) / 4th Berlin Biennial (2006) / Defamation of Character, P.S.1, New York (2006) / Rings of Saturn, Tate Modern, London (2006) / Actionbutton, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart – Berlin (2003). Die nächste institutionelle Einzelausstellung von Thomas Zipp wird in der Kunsthalle Giessen im Herbst 2018 stattfinden.