Zum Jahresbeginn eröffnet die Galerie Anna Wenger die Ausstellung ‚the chemigram’ mit Arbeiten von Pierre Cordier und Gundi Falk.
Es ist bereits mehr als 60 Jahre her, als der belgische Künstler Pierre Cordier (*1933 Brüssel) am 10. November 1956 das physico-chemische Verfahren des Chemigramms erfunden und damit die Geschichte der Fotografie um ein interessantes Kapitel bereichert hat. Das Chemigramm ist das Ergebnis einer kameralosen Arbeit auf Silbergelatinepapier. Es handelt sich um eine Kombination von Bestandteilen der Malerei (Öl, Lack und Wachs) sowie der Fotografie (Lichtempfindliche Emulsion, Entwickler, Fixierer). Im Gegensatz zu der herkömmlichen Fotografie, die von einem Negativ vervielfältigbar sind, handelt es sich bei Chemigrammen stets um Unikate. Mit viel Erfahrung steuert der Künstler wie ein Alchemist den Arbeitsprozess und befindet sich so auf einer Gradwanderung zwischen Kontrolle und Zufall. Es ist eine einzigartige Vorgehensweise, die sich von bekannten Techniken wie Malerei, Fotografie oder Computermalerei heraushebt.
Mit dieser bahnbrechenden Erfindung reiht sich der Künstler in die Tradition der experimentellen Fotografen wie Laszlo Moholy-Nagy und Man Ray ein, die in den 1920er Jahren neue Verfahren wie das Fotogramm und die Solarisation erfunden hatten.
In den Nachkriegsjahren begann man in Europa, insbesondere im Rahmen der Subjektiven Fotografie (Otto Steinert) und der Generativen Fotografie (Gottfried Jäger), sich vermehrt mit der konkreten Fotografie auseinander zu setzen. Es handelt sich dabei um ein fotografisches Verfahren, das nicht die Realität abbilden soll, sondern vielmehr ein auf sich bezogenes Bild darstellt. Pierre Cordier hat zu Beginn seiner künstlerischen Karriere ein Semester bei Otto Steinert in Saarbrücken studiert und an dessen dritten und letzten Ausstellung ‚Subjektive Fotografie 3’ (1958) teilgenommen. Zehn Jahre darauf wurde er zusammen mit Gottfried Jäger, Hein Gravenhorst und Kilian Breier Mitbegründer der Generativen Fotografie und stellte in der gleichnamigen Ausstellung - die zugleich das Manifest war - in der Kunsthalle Bielefeld aus. Diese aussergewöhnliche Kunstrichtung schöpft aus den Theorien des Stuttgarter Philosophen Max Bense, wonach Kunst auch durch Maschinen und algorithmischen Handlungsanweisungen entstehen kann. Das Programm ist auch in Chimigramme 21/11/59 VI, 47 x 54 cm den Werken von Pierre Cordier von entscheidender Bedeutung, zumal die Vorgehensweise zur Bildentstehung von vornherein bestimmt wird.
Die jüngsten Jahre des gemeinsamen künstlerischen Schaffens, sind entscheidend geprägt von den malerischen Einflüssen der österreichischen Künstlerin Gundi Falk (*1966 Salzburg). Die Begegnung mit Gundi Falk und ihrer speziellen Arbeitsweise, hat Pierre Cordier dazu bewogen die kreative Arbeit wieder aufzunehmen. Dank dieser Kooperation mit der Künstlerin, eröffnete sich eine neue Dimension und das Chemigramm wurde seither massgeblich weiterentwickelt, sichtbar in den neuesten noch nie gezeigten Arbeiten in der Ausstellung. Es sind Werkserien entstanden, in denen Zitate von Nietzsche sowie Musiknotenblätter spielerisch in einer kryptografischen Bildsprache ihre Vollendung finden. Bildtitel wie "Boustrophédon" laden den Betrachter ein, die Leserichtung zeilenweise zu wechseln. Bilder erscheinen zunächst als labyrinthische Ornamente und entpuppen sich überraschend als verschlüsselte Texte.
Die Kollaborationswerke der beiden Künstler bilden den Hauptteil dieser Ausstellung, zusätzlich sind einzelne historische Arbeiten von Pierre Cordier sowie jüngste Einzelwerke von Gundi Falk zu sehen. Ihre Arbeiten sind in verschiedenen Sammlungen wie auch Museen national und international vertreten.