Yves Tanguy (1900–1955) gehört zu der ersten Generation von Malern, die sich kurz nach Erscheinen des ersten Manifests des Surrealismus (1924) der Literaten-Gruppe um André Breton anschlossen. Im Kreis der Surrealisten „Reiseleiter aus der Zeit der Misteldruiden“ genannt, gehörte Tanguys Atelier in der Rue du Château zu den wichtigen Treffpunkten des Surrealismus. Hier traf sich eine ganze Generation von Künstlern und Literaten, die später das kulturelle Leben Frankreichs prägten.
Im Zentrum der Sonderausstellung „Im Reich der Misteldruiden. Das grafische Werk von Yves Tanguy“ in der Sammlung Scharf-Gerstenberg steht erstmals das bislang nur wenig bekannte druckgraphische Werk des Künstlers. Der nur ca. 35 Nummern umfassende Werkkomplex gibt einen Einblick in die reichhaltigen Möglichkeiten des Mediums, die Tanguy mit Raffinesse nutzt. Die meisten Grafiken sind feine Linienradierungen ohne Vorzeichnung, denen Tanguy zum Teil durch Aufreiben einer Gaze einen atmosphärischen Hintergrund verlieh. Tanguy schuf auch mit farbigen Monotypien und Prägedruck kombinierte Radierungen und kolorierte manche Blätter von Hand mit Wasserfarben. Neben dem druckgrafischen Werk im engeren Sinne umfasst die Ausstellung Bücher, Zeitschriften, Kataloge, Fotografien sowie Drucksachen und Objekte aus der Kölner Sammlung von Heinz Joachim Kummer. Die Exponate führen den Surrealismus als Bewegung unter André Breton vor Augen, deren literarische Ursprünge bis zuletzt von Bedeutung sind. So zeigt die Ausstellung etwa mit dem 1927 erschienen Gedichtband „Dormir dormir dans les pierres“ (Schlafen, schlafen in den Steinen) das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Dichter Benjamin Péret (1899-1959) und dem literaturbegeisterten Tanguy.
„Im Reich der Misteldruiden. Das grafische Werk von Yves Tanguy“ bietet einen abwechslungsreichen Parcours durch den Surrealismus. Die Formensprache der Bilder des Autodidakten Tanguy – organische gewölbte, gestraffte oder weich ausdehnende abstrakte Körper in einer endlos erscheinenden Welt – nimmt die weichen Gestalten Salvador Dalís vorweg, sie erinnern an die abstrakten Reliefs von Hans Arp oder weisen voraus auf die amorphen Figurationen von WOLS. Ausgehend von den Lebensstationen Tanguys – von der Pariser Rue du Château bis zur Emigration nach New York im Jahr 1939 – wird sein Schaffen anhand einzelner Werke nachgezeichnet sowie einzelne Aspekte des Surrealismus beleuchtet, die Tanguys künstlerisches Werk mit dem seiner Zeitgenossen verbindet.
Eine Publikation zum druckgrafischen Werk von Yves Tanguy erscheint voraussichtlich 2018 im Walther König Verlag.