Die Malereien, Objekte und Skulpturen für die Schau L’infinité de la mélancholie : autant en emporte le vent sind zu einer Elementarerfahrung zusammengefasst installiert. In monochromem Schwarz-Weiß-Grau sind es Zitate von Weltmaterie. Im Angesicht der Werke entsteht ein erhabenes Bewusstsein vom ewigen Fortgang der Wellenbewegung von Vergänglichkeit und Neuformierung, von Übergängen und Metamorphosen.
Die natürliche Stofflichkeit alles Gegenständlichen und dessen Zähmung durch elementare Gewalten – oder von Menschenhand zeigt Simon Bilodeau in singulärer Vollkommenheit und als Bruchstück. Er schafft damit einen ungewöhnlich weiten Blick auf den Stoff, aus dem die Welt ist: Stein und Metall, Licht und Bewegung und zeigt deren fast unschuldige Existenzformen in nahezu außer-irdisch distanzierter Perspektive.
Es herrscht fühlbares Schweigen um die einzelnen Werke und im Raum. Urteil und Bewertung finden nicht statt. Der Künstler bedient keine Diskurse und vermeidet Bezüge zum multiplen Zeitgeist, seiner geschwätzigen Besserwisserei und Rekurse auf Gegenwartskunst und konkrete Geschichte.
Er konzentriert sich auf eine fundamentale, neutrale Kraft, die er in den Installationen aufruft, und als martialische oder sinnliche Ästhetik gestaltet; vom leisen Eindringen des Lichts bis zur gewaltsamen Zerstörung.
Diese indirekt abgebildete, absolute Kraft ist das Gen der ständigen Wandlung. Sie ist abstrakter Werkbestandteil und verbindet die Arbeiten thematisch.
Bei Bilodeau sind Geographie, Industrie, Architektur- und Kunstobjekte gleichgeschaltet, indem sie alle den elementaren Phänomenen wie Schwingung, Stabilität, Balance, Druck, Erosion, Formung und Deformation ausgesetzt sind. Dabei sind seine
Kunstobjekte in der Entstehung nicht dem experimentellen Zufall überlassen, sondern genau kalkuliert in Auswahl und Präsentation einer hochgradig ästhetischen Wirkung unterworfen. Damit lässt Bilodeau auf überzeugend einfache Weise erkennen, dass Pathos und Schrecken, das Empfinden von Schönheit, Ergriffen- oder Betroffenheit, Ehrfurcht oder Verstörung nur im Blick des Betrachters existieren. Die Objekte selbst – ohne die menschliche Perspektive und ihre Deutungsimpulse – sind unschuldig.
Die Nachbauten zerstörter architektonischer Gebilde, räumlicher Rudimente oder Trümmeransammlungen, wirken im betonten Bühnenlicht wie cuts aus einer endlos-Schleife von fortgesetztem Aufbau und Zerfall. Bearbeiteter Stein als skulpturaler Torso, verwitternde Holzgerüste, kleine Spiegelpolyeder, die sich wie in einem Wall aus überdimensionalen Schneekristallen in den Raum ergießen, und die Büste mit verhängtem Gesicht, ähnlich zurückgelassenen Interieurs in aufgegebenen Wohnstätten, versteinert für die nächste Ewigkeit – sie alle sind ohne Vorurteile zu sehen.
In den Malereien sind Details aufgeworfener Oberflächen zu erkennen; leere Landschaften, bezuglose Perspektiven und Strukturen, auf denen sich Licht abbildet. Sie sind kaum zu verorten, kaum zu definieren, ob mikroskopisch klein oder kosmisch groß aufgefasst.
Der Mensch ist in den Werken abwesend, temporär oder endgültig getilgt. Der schauerschöne Zauber der Endzeitstimmung, wenn sich alles beruhigt und die Dinge nur noch bezuglos da sind, gelingt Bilodeau ohne Urteil, Appell oder Prophetie.
Ausgestellt sind in der Schau Kunstwerke. Dezidiert gezeigt aber ist ein reduzierter und zugleich extrem erweiterter Blick, dem sich wertfrei eine Atmosphäre der Erhabenheit offenbart.
Text von Dr. Tina Simon