Jeder neuzeitliche Kunstbegriff unterstellt die Einzigartigkeit der individuellen schöpferischen Leistung. Bereits im Mittelalter galt der »artifex« als herausgehobene Künstlerpersönlichkeit, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten zur Innovation befähigt war. Was liegt daher näher, als mit dem Medium Kunst über den Begriff des Individuums zu reflektieren? Mit der spätmittelalterlichen Werkgruppe der »Vier Gekrönten« liefert die Museumssammlung den Anlass dazu.
Denn das spektakuläre Ergebnis einer siebenjährigen Restaurierung zeigt deren erhaltene Originalfassung als brillanten Beleg einer detailreichen Individuation. | Die Frage nach dem Individuum (lat. Unteilbares/ Einzelding) besitzt höchste Aktualität. Wir erleben in einer erschreckenden Weise, wie die Identifikation des Subjekts mit Geld und Macht immer stärkere soziale Missstände produziert, wie Gewalt und Korruption den Zusammenhalt der Gesellschaften zerstören, wie grundlegende Werte – Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz – in Frage gestellt und eingeschränkt werden. Terroristische Gewalttaten richten sich gezielt gegen die Freiheit des Individuums und machen die Massen empfänglich für populistische Strategien, für politische Demagogie und religiösen Fanatismus. | Was also prägt das Individuum, was bestimmt sein Handeln? Ist die äußere Erscheinung maßgeblich, etwa in Kleidung und Schmuck, sind es die Dinge, das Auto, der Klingelton des Handys? Welche Bedeutung haben Kultur und Sprache, Heimat und Behausung, reale Existenzbedingungen und soziale Kontexte? Ist das Subjekt überhaupt als autonom und einheitlich zu denken, oder sollte man viel eher von einer Instanz sprechen, die von jedem Einzelnen immer wieder konstruiert und revidiert werden muss? Wie wesentlich ist dabei der Anteil von Vernunft und Wille, Bildung und Glaube, von Erfahrungen und Erinnerungen? Was bedingt eine Haltung, die den Freiraum des Einzelnen in einer solidarischen Gemeinschaft vertritt und erst damit der Fortschreibung Europas eine Perspektive verleiht? | Die am eigenen Bestand orientierte Ausstellung wird um eine große Leihgabe der Hohen Domkirche und um zwei Künstlerräume erweitert, die von Chris Newman und Martin Assig realisiert wurden. Kurt Bennings »opus magnum«, der über die Dauer von vierzig Jahren entstandenen Arbeit »Burgtreswitzmensch«, widmen wir eine eigene Ausstellung.
Ausgestellte Werke des 5. bis 21. Jahrhunderts: Andachtsbildchen, Ars moriendi, Ex Votos, Fotografien, Geduldflaschen, Gemälde, Goldschmiedkunst, Installationen, Kinderzeichnungen, Koptische Textilien, Mappenwerke, Möbel, Roboter, Rosenkränze, Schmuck, Skulpturen, Videos, Volkskunst, Wachsbossierungen, Zeichnungen
Ausgestellte Künstler: Anonymus, Martin Assig, Stephan Baumkötter, Krimhild Becker, Kurt Benning, Anna und Bernhard Blume, Ramón Puig Cuyàs, Beate Eismann, Jeremias Geisselbrunn, Caspar Bernhard Hardy, Bethan Huws, Svenja John, Mirjam Hiller, Franz Ittenbach, Hilde Janich, Hans Josephsohn, Michael Kalmbach, Jannis Kounellis, Konrad Kuyn, Eugène Leroy, Stefan Lochner, Carla Mess¬mann, Chris Newman, Heinrich Parler, Francesco Pavan, Sano di Pietro, Gerd Rothmann, Norbert Schwontkowski, Michael von Savoyen, Richard Serra, Stefan Wewerka, Josef Wolf, Annamaria Zanella.