"Alec, Du bist berühmt. Dir werden die Leute zuhören“, sagt Alec Baldwin über sich selbst und erzählt von seiner Verhaftung in Kairo, von dem völlig überfüllten Boot in Richtung Italien und der Ankunft im unbekannten Berlin an einem regnerischen Tag im September 2015. Schnitt. Julianne Moore ordnet sich das Haar, ehe sie berichtet, mit welcher Rohheit ihre Familie angegriffen wurde. Wie ihr altes Leben zusammenbrach und ihr keine andere Wahl blieb, als mit den Kindern überhastet in einem fensterlosen Lastwagen tagelang ins Ungewisse zu fahren. Auf großer Leinwand sprechen Moore und Baldwin im ersten Teil dieser Ausstellung von vergangener Angst und bleibender Hoffnung, von Vertreibung und Verlust, aber auch von Geborgenheit, Freundschaft und Liebe. Gänsehaut kommt auf. Wir fühlen mit ihnen, obgleich sie Erlebnisse schildern, die offenkundig nicht die ihren sind und in der Regel auch nicht die unseren. So ist das eben im Film. Wer wollte klagen, dass er Illusionen schafft?
Doch die Darstellung von Flucht und Neuanfang geht nicht bruchlos über die Leinwand. Candice Breitz hat zwei vertrauten Gesichtern, die wir als Familienmitglieder unseres globalisierten Medienhaushalts gerne auch ins Wohnzimmer lassen, Geschichten derer in den Mund gelegt, die oft als Gesichts- und Stimmlos betrachten werden und draußen vor der Tür bleiben, in den Flüchtlingslagern und Asylgerichtssälen, den Kellergeschossen des sozialen (Un-)Bewusstseins. 73 Minuten lang ist dieses Filmereignis mal großes Kino, das zu Tränen rührt und amüsiert, mal sehen wir den beiden Vertretern einer hochprivilegierten Schaustellerklasse dabei zu, wie sie redlich bemüht ihr Handwerk verrichten, um aufzuführen, was sie nicht verkörpern können. Ein anderes mal erscheint der ganze Vorgang ärgerlich. Denn was haben Großstars der hegemonialen US-Erzählindustrie mit ihrem ikonischen Auftreten und der durchtrainierten Rhetorik überhaupt in diesen Rollen zu suchen?
Alec Baldwin als ehemaliger Kindersoldat aus Angola? Julianne Moore eine dem Krieg entkommene Syrerin? Das Kinoerlebnis reißt nicht nur an der Kluft zwischen diesen Welten, auch formal folgt Schnitt auf Schnitt: Candice Breitz’ Montagetechnik wirft uns in schnellem Rhythmus von Baldwin zu Moore, von einem Schicksal ins nächste, weckt Gutglauben und Misstrauen, Empathie und Kritik. Aufgenommen vor der ortlosen Kulisse eines Greenscreen-Sets werden die beiden Mimen als weiße Hochglanzkörper inszeniert, während sie ohne jede Rahmenhandlung die unsichtbaren Leben Dritter animieren. Dabei exponieren sie sich selbst als Vorzeigemodelle einer Subjektwirtschaft, die das universelle Gold unserer Aufmerksamkeit einsammelt und einige wenige so hell beleuchtet, dass viele andere im Schatten bleiben, wo ihre unklaren Konturen als anonyme Masse herumgeschoben werden. Doch wir kennen erst die halbe Love Story.
Im zweiten Teil der Ausstellung treffen wir im Untergeschoss von KOW auf die sechs geflüchteten Frauen und Männer, die Breitz 2015 in Berlin, New York und Kapstadt interviewte und aus deren Berichten sie ihr Skript für Moore und Baldwin zusammensetzte. Auf sechs Großmonitoren begegnen wir den Gesichtern hinter den Gesichtern aus Hollywood, den Informanten des Werkes und den Leben, um die es darin geht. Was Kino und Geste war, wird jetzt Ernst, Neugier und Einsicht. Gefilmt vor dem gleichen grünen Screen sprechen sie nun selbst: „Wer interessiert sich schon für uns, verstehst Du?“, sagt Mamy Maloba Langa, die den gewaltsamen Übergriffen in der Demokratischen Republik Kongo entkam. José Maria João führt aus, wie er als Kindersoldat in Angola zu morden hatte, ehe er endlich davonlief. Er hat auch eine Nachricht für Alec Baldwin: „Er soll glücklich sein, wenn Candice ihm die Gelegenheit gibt, meine Geschichte zu erzählen. Er soll sie gut erzählen. Er muss es richtig machen!“ Es ist ein Auftrag an den Schauspieler und zunehmend wird klar: Hier wird kooperiert.
Tatsächlich hat Candice Breitz eine Brücke gebaut, über die sechs Geflüchtete stellvertretend für Millionen in die Öffentlichkeit gehen. „Einige der dringlichen sozialen Themen in unserer Gesellschaft kamen erst ins Rampenlicht, nachdem Hollywooddarstellerinnen und -darsteller diese Rollen aufführten“, erklärt Shabeena Saveri, die als Transgender-Aktivistin Indien verlassen musste. Jetzt nutzt sie selbst den Kunst- und Kinostarbetrieb wie eine Bauchrednerin, die ihre Handpuppe sprechen lässt. Ihre Worte wird Julianne Moore später getreu wiedergeben: „Ich dachte – und stellte mir vor, in der Haut dieser Hollywoodschauspielerin zu stecken – und dachte, dass wenn ich sie wäre, dann würde diese Geschichte eine größere Wirkung haben, denn dann würde sie ein viel größeres Publikum erreichen.“ Ähnliches sagen Luis Nava, einst angesehener Professor, der als politischer Dissident aus Venezuela floh, Farah Mohamed, der seine atheistische Einstellung in Somalia nicht länger verbergen konnte, und Sarah Mardini; sie entkam 2015 dem Syrienkrieg gemeinsam mit ihrer Schwester Yusra, die 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio antrat – und dann selbst Angebote aus Hollywood erhielt, ihre Vergangenheit in Kinostoff zu verwandeln.
Jede der sechs Geschichten ist singulär und jede will sich mitteilen. Und jede trifft auf Tausende vergleichbarer Geschichten, die Welt ist voll davon. Wer kann sie alle hören? Schon hier in der Ausstellung ist das sechsfache Zeugnis nicht zu bewältigen, das sich über 22 Stunden lang ungekürzt darbietet. So gehen wir irgendwann zurück zu Moore und Baldwin und ihrer schnittigen Kurzfassung. Oder nach Hause. Oder ins Kino. Die große Show wiegt mehr als die ganze Wahrheit. Wo Katzenvideos mit Trump-Tweets und Katastrophenmeldungen um die kurze Spanne unseres Gewahrseins konkurrieren und Comedy-Shows für viele Menschen die Tagesschau sind, wirken die Unterscheidungen zwischen Fake News und Real News, zwischen Gewissheit und Story, zwischen Ereignis und Repräsentation hilflos. Also hat sich Candice Breitz in das Betriebssystem der neoliberalen Aufmerksamkeitsökonomie gehackt, um dort Umbuchungen im Verteilungssystem unserer Solidaritätsbereitschaft vorzunehmen.
Breitz lässt uns am eigenen Leibe erfahren, wie gut sich affektive Reflexe medial ansprechen lassen. Sie zeigt, wie effektiv die Kombination von Technologie, Ästhetik und Rhetorik, Starkult und narrativen Kurzbotschaften einen manipulativen Apparat hervorbringt, der sich Einlass in unsere Einfühlungsbereitschaft und unser Wir-Empfinden verschafft. Man könnte es eine Kulturtechnik nennen, die heute augenscheinlich vor allem rechte Mentalitäten als Propagandawerkzeug so zu nutzen verstehen, dass sie sich nicht ohne weiteres kritisieren oder demontieren lassen, eben weil sie auf Gefühle, nicht auf Rationalität setzen. Love Story ist eine deutliche Reaktion auf den Populismus unserer Tage. Das Werk bedient die gleichen affektiven Mechanismen, offenbart sie jedoch durch gezielte Dekonstruktion und nutzt sie zugleich selbst, um sich dem Rechtspopulismus inhaltlich frontal entgegenzustellen.
Gelingt Love Story also eine solidarische Form, die Sinn und Leidenschaft für die Belange anderer in einer Sprache entfachen kann, die für Viele funktioniert? Die Arbeit kann und will das zeitgenössische moralische Dilemma nicht auflösen, dass den meisten von uns nicht die Zeit, nicht die Aufmerksamkeit, nicht die Geduld gegeben ist, die Stimmen ausreden zu lassen, die allein den eigentlichen Klang der humanitären und politischen Grausamkeiten der Gegenwart wiedergeben können. So nehmen wir den Wahrnehmungsverlust hin, der diesen Grausamkeiten weiter Raum gibt. Wenn Breitz’ Werk der letzten 25 Jahre die Verschränkungen von Populärkultur und neoliberaler Subjektökonomie untersuchte und dabei dem Gerechtigkeitsempfinden Schneisen schlug, dann bietet Love Story – als Archiv der marginalisierten O-Töne im Kontrapunkt mit deren unterhaltsam verkürzter Mediatisierung – Gelegenheit, die Wertmaßstäbe unseres eigenen Empathievermögens zu problematisieren.
Candice Breitz zeigt, dass das Ende der großen, universalen Erzählungen nicht das Ende weitreichender Instrumente der Verständigung bedeutet, und dass wir etwas zu gewinnen haben, wenn wir unsere Sehnsucht nach Wahrheit und Authentizität gegen die Hoffnung eintauschen, Erzählungen zu finden und zu verbreiten, die uns Menschen, die wir nicht so ohne weiteres in unser Wohnzimmer bitten, so vertraut erscheinen lassen, dass wir unsere Meinung vielleicht ändern. Sie zeigt aber zugleich, wie schnell solche Erzählungen Regime errichten, die auf den Lücken unserer Wahrnehmung erst Illusionen und dann Ignoranz etablieren. Die Ausstellung bei KOW ist ein emanzipativer, klug leuchtender Genuss, dem der bittere Zweitgeschmack der Einsicht beiwohnt, dass wir vielleicht von dem getrennt bleiben, was uns moralisch richtig scheint, sich praktisch als schwierig erweist und in Konsequenz unseren Beitrag zur Verknappung der Lebensperspektiven Dritter bedeutet.
"Alec, Du bist berühmt. Dir werden die Leute zuhören“, sagt Alec Baldwin über sich selbst und erzählt von seiner Verhaftung in Kairo, von dem völlig überfüllten Boot in Richtung Italien und der Ankunft im unbekannten Berlin an einem regnerischen Tag im September 2015. Schnitt. Julianne Moore ordnet sich das Haar, ehe sie berichtet, mit welcher Rohheit ihre Familie angegriffen wurde. Wie ihr altes Leben zusammenbrach und ihr keine andere Wahl blieb, als mit den Kindern überhastet in einem fensterlosen Lastwagen tagelang ins Ungewisse zu fahren. Auf großer Leinwand sprechen Moore und Baldwin im ersten Teil dieser Ausstellung von vergangener Angst und bleibender Hoffnung, von Vertreibung und Verlust, aber auch von Geborgenheit, Freundschaft und Liebe. Gänsehaut kommt auf. Wir fühlen mit ihnen, obgleich sie Erlebnisse schildern, die offenkundig nicht die ihren sind und in der Regel auch nicht die unseren. So ist das eben im Film. Wer wollte klagen, dass er Illusionen schafft? Doch die Darstellung von Flucht und Neuanfang geht nicht bruchlos über die Leinwand. Candice Breitz hat zwei vertrauten Gesichtern, die wir als Familienmitglieder unseres globalisierten Medienhaushalts gerne auch ins Wohnzimmer lassen, Geschichten derer in den Mund gelegt, die oft als Gesichts- und Stimmlos betrachten werden und draußen vor der Tür bleiben, in den Flüchtlingslagern und Asylgerichtssälen, den Kellergeschossen des sozialen (Un-)Bewusstseins.
73 Minuten lang ist dieses Filmereignis mal großes Kino, das zu Tränen rührt und amüsiert, mal sehen wir den beiden Vertretern einer hochprivilegierten Schaustellerklasse dabei zu, wie sie redlich bemüht ihr Handwerk verrichten, um aufzuführen, was sie nicht verkörpern können. Ein anderes mal erscheint der ganze Vorgang ärgerlich. Denn was haben Großstars der hegemonialen US-Erzählindustrie mit ihrem ikonischen Auftreten und der durchtrainierten Rhetorik überhaupt in diesen Rollen zu suchen? Alec Baldwin als ehemaliger Kindersoldat aus Angola? Julianne Moore eine dem Krieg entkommene Syrerin? Das Kinoerlebnis reißt nicht nur an der Kluft zwischen diesen Welten, auch formal folgt Schnitt auf Schnitt: Candice Breitz’ Montagetechnik wirft uns in schnellem Rhythmus von Baldwin zu Moore, von einem Schicksal ins nächste, weckt Gutglauben und Misstrauen, Empathie und Kritik. Aufgenommen vor der ortlosen Kulisse eines Greenscreen-Sets werden die beiden Mimen als weiße Hochglanzkörper inszeniert, während sie ohne jede Rahmenhandlung die unsichtbaren Leben Dritter animieren. Dabei exponieren sie sich selbst als Vorzeigemodelle einer Subjektwirtschaft, die das universelle Gold unserer Aufmerksamkeit einsammelt und einige wenige so hell beleuchtet, dass viele andere im Schatten bleiben, wo ihre unklaren Konturen als anonyme Masse herumgeschoben werden.
Doch wir kennen erst die halbe Love Story. Im zweiten Teil der Ausstellung treffen wir im Untergeschoss von KOW auf die sechs geflüchteten Frauen und Männer, die Breitz 2015 in Berlin, New York und Kapstadt interviewte und aus deren Berichten sie ihr Skript für Moore und Baldwin zusammensetzte. Auf sechs Großmonitoren begegnen wir den Gesichtern hinter den Gesichtern aus Hollywood, den Informanten des Werkes und den Leben, um die es darin geht. Was Kino und Geste war, wird jetzt Ernst, Neugier und Einsicht. Gefilmt vor dem gleichen grünen Screen sprechen sie nun selbst: „Wer interessiert sich schon für uns, verstehst Du?“, sagt Mamy Maloba Langa, die den gewaltsamen Übergriffen in der Demokratischen Republik Kongo entkam. José Maria João führt aus, wie er als Kindersoldat in Angola zu morden hatte, ehe er endlich davonlief. Er hat auch eine Nachricht für Alec Baldwin: „Er soll glücklich sein, wenn Candice ihm die Gelegenheit gibt, meine Geschichte zu erzählen. Er soll sie gut erzählen. Er muss es richtig machen!“ Es ist ein Auftrag an den Schauspieler und zunehmend wird klar: Hier wird kooperiert. Tatsächlich hat Candice Breitz eine Brücke gebaut, über die sechs Geflüchtete stellvertretend für Millionen in die Öffentlichkeit gehen. „Einige der dringlichen sozialen Themen in unserer Gesellschaft kamen erst ins Rampenlicht, nachdem Hollywooddarstellerinnen und -darsteller diese Rollen aufführten“, erklärt Shabeena Saveri, die als Transgender-Aktivistin Indien verlassen musste.
Jetzt nutzt sie selbst den Kunst- und Kinostarbetrieb wie eine Bauchrednerin, die ihre Handpuppe sprechen lässt. Ihre Worte wird Julianne Moore später getreu wiedergeben: „Ich dachte – und stellte mir vor, in der Haut dieser Hollywoodschauspielerin zu stecken – und dachte, dass wenn ich sie wäre, dann würde diese Geschichte eine größere Wirkung haben, denn dann würde sie ein viel größeres Publikum erreichen.“ Ähnliches sagen Luis Nava, einst angesehener Professor, der als politischer Dissident aus Venezuela floh, Farah Mohamed, der seine atheistische Einstellung in Somalia nicht länger verbergen konnte, und Sarah Mardini; sie entkam 2015 dem Syrienkrieg gemeinsam mit ihrer Schwester Yusra, die 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio antrat – und dann selbst Angebote aus Hollywood erhielt, ihre Vergangenheit in Kinostoff zu verwandeln. Jede der sechs Geschichten ist singulär und jede will sich mitteilen. Und jede trifft auf Tausende vergleichbarer Geschichten, die Welt ist voll davon. Wer kann sie alle hören? Schon hier in der Ausstellung ist das sechsfache Zeugnis nicht zu bewältigen, das sich über 22 Stunden lang ungekürzt darbietet. So gehen wir irgendwann zurück zu Moore und Baldwin und ihrer schnittigen Kurzfassung. Oder nach Hause. Oder ins Kino. Die große Show wiegt mehr als die ganze Wahrheit. Wo Katzenvideos mit Trump-Tweets und Katastrophenmeldungen um die kurze Spanne unseres Gewahrseins konkurrieren und Comedy-Shows für viele Menschen die Tagesschau sind, wirken die Unterscheidungen zwischen Fake News und Real News, zwischen Gewissheit und Story, zwischen Ereignis und Repräsentation hilflos. Also hat sich Candice Breitz in das Betriebssystem der neoliberalen Aufmerksamkeitsökonomie gehackt, um dort Umbuchungen im Verteilungssystem unserer Solidaritätsbereitschaft vorzunehmen. Breitz lässt uns am eigenen Leibe erfahren, wie gut sich affektive Reflexe medial ansprechen lassen.
Sie zeigt, wie effektiv die Kombination von Technologie, Ästhetik und Rhetorik, Starkult und narrativen Kurzbotschaften einen manipulativen Apparat hervorbringt, der sich Einlass in unsere Einfühlungsbereitschaft und unser Wir-Empfinden verschafft. Man könnte es eine Kulturtechnik nennen, die heute augenscheinlich vor allem rechte Mentalitäten als Propagandawerkzeug so zu nutzen verstehen, dass sie sich nicht ohne weiteres kritisieren oder demontieren lassen, eben weil sie auf Gefühle, nicht auf Rationalität setzen. Love Story ist eine deutliche Reaktion auf den Populismus unserer Tage. Das Werk bedient die gleichen affektiven Mechanismen, offenbart sie jedoch durch gezielte Dekonstruktion und nutzt sie zugleich selbst, um sich dem Rechtspopulismus inhaltlich frontal entgegenzustellen. Gelingt Love Story also eine solidarische Form, die Sinn und Leidenschaft für die Belange anderer in einer Sprache entfachen kann, die für Viele funktioniert? Die Arbeit kann und will das zeitgenössische moralische Dilemma nicht auflösen, dass den meisten von uns nicht die Zeit, nicht die Aufmerksamkeit, nicht die Geduld gegeben ist, die Stimmen ausreden zu lassen, die allein den eigentlichen Klang der humanitären und politischen Grausamkeiten der Gegenwart wiedergeben können.
So nehmen wir den Wahrnehmungsverlust hin, der diesen Grausamkeiten weiter Raum gibt. Wenn Breitz’ Werk der letzten 25 Jahre die Verschränkungen von Populärkultur und neoliberaler Subjektökonomie untersuchte und dabei dem Gerechtigkeitsempfinden Schneisen schlug, dann bietet Love Story – als Archiv der marginalisierten O-Töne im Kontrapunkt mit deren unterhaltsam verkürzter Mediatisierung – Gelegenheit, die Wertmaßstäbe unseres eigenen Empathievermögens zu problematisieren. Candice Breitz zeigt, dass das Ende der großen, universalen Erzählungen nicht das Ende weitreichender Instrumente der Verständigung bedeutet, und dass wir etwas zu gewinnen haben, wenn wir unsere Sehnsucht nach Wahrheit und Authentizität gegen die Hoffnung eintauschen, Erzählungen zu finden und zu verbreiten, die uns Menschen, die wir nicht so ohne weiteres in unser Wohnzimmer bitten, so vertraut erscheinen lassen, dass wir unsere Meinung vielleicht ändern. Sie zeigt aber zugleich, wie schnell solche Erzählungen Regime errichten, die auf den Lücken unserer Wahrnehmung erst Illusionen und dann Ignoranz etablieren. Die Ausstellung bei KOW ist ein emanzipativer, klug leuchtender Genuss, dem der bittere Zweitgeschmack der Einsicht beiwohnt, dass wir vielleicht von dem getrennt bleiben, was uns moralisch richtig scheint, sich praktisch als schwierig erweist und in Konsequenz unseren Beitrag zur Verknappung der Lebensperspektiven Dritter bedeutet.