Der Eindringling ist nicht irgendein Fremdkörper in einer Welt, die sonst nahtlos wäre; der Eindringling ist das Prinzip der Naht selbst.
Nachdem Jean-Luc Nancy vor zehn Jahren eine Herztransplantation erhalten hatte, verarbeitete er innerhalb dieses Textes, wie das Eindringen eines fremden Organs in seinen Körper ihn für die Fremdheit des scheinbar Eigenen sensibilisierte.
Die Eröffnungsausstellung des Projekts „Am Schwarzenbergplatz“ von KOW (Berlin), LambdaLambdaLambda (Prishtina) und Simone Subal Gallery (New York) und präsentiert Werke von acht internationalen Künstler:innen, deren Praktiken von der Malerei, Skulptur, Installation bis hin zu Film reichen. Sie beschäftigen sich individuell mit Fragen zur menschlichen Identität, die für sie keine starre oder isolierte Entität ist, sondern durch verschiedene Einflüsse geformt und verändert werden kann.
Für Nancy ist der Fremdkörper mit einem fortwährenden Balanceakt verbunden, da sein Organismus ihn zum Überleben braucht, doch gleichzeitig besteht die Gefahr, dass er ihn jederzeit abstößt und folglich stirbt. Dieser empfindliche Zustand seines Kreislaufs, der durch das Wirken von unzähligen nicht fassbaren Prozessen, Kräften und Mechanismen zum Funktionieren gebracht wird, ist eine Gratwanderung zwischen Bedürftigkeit und Abhängigkeit. Man könnte die Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, als das Sichtbarmachen solcher herausfordernden Prozesse beschreiben, die sich für die einzelnen Künstler:innen ganz individuell gestalten.
In den Arbeiten von Candice Breitz, Brilant Milazimi, Sharona Franklin, Baseera Khan und Mie Yim erscheinen verschiedene Körper als menschliche Physiognomien, die als Dissidenten einer kontrollierten und von Normen durchdrungenen Realität verstanden werden können. Die Werke von Marco A. Castillo, Dierk Schmidt und Hana Miletić hingegen weisen durch Abstraktion und das Fehlen dezidierter beschreibbarer Körper auf schwierige historisch-politische Zusammenhänge in Bezug auf Identitätsbildung und Zugehörigkeit hin. Poetisch-introspektive Arbeiten treffen in der Ausstellung auf Werke, die von einem historischen und gesellschaftlichen Weitblick geprägt sind. Die Grenze zwischen Körper und Herz ist ebenso schwer zu bestimmen wie die untrennbare Verbindung von kritischer Selbstbeobachtung und sozialem Bewusstsein innerhalb der präsentierten Werke.
Candice Breitz, (*1972, Johannesburg) ist vor allem für ihre bewegten Bildinstallationen bekannt. Ihre Werke erforschen die komplexen Wechselwirkungen, wie sich das Individuum zu verschiedenen Gemeinschaften verhält – sei es die unmittelbare familiäre Gemeinschaft oder die vielfältigen sozialen Strukturen, die von nationaler Zugehörigkeit über Rasse, Geschlecht bis hin zu Religion reichen. Dabei reflektiert sie auch den wachsenden Einfluss der Mainstream-Medien wie Fernsehen, Kino und Populärkultur auf diese Gemeinschaftsdynamiken. KOW präsentiert in der Ausstellung eine Gruppe an Arbeiten mit dem Titel Extra (2011), die eine einkanalige Video installation und eine Serie von inszenierten Fotografien, die während der Dreharbeiten zur Seifenoper Generations entstanden sind, umfasst.
Generations, seit 1994 auf SABC 1 ausgestrahlt, zeigt die aufstrebende schwarze Mittelschicht in Südafrika innerhalb der Medienindustrie und schließt bewusst weiße Hauptdarsteller:innen aus, da die Dialoge hauptsächlich in Nguni-Sprachen geführt werden. Die Bilder regen zum Nachdenken über die Implikationen des Weißseins im neuen Südafrika an, ohne einfache Lösungen anzubieten. Extra setzt sich damit aus post-apartheidischer Perspektive mit dem Weißsein auseinander.
Die Serie von Rattan-Skulpturen von Marco A. Castillo (*1971, Havana) ist inspiriert von einer Generation von Innenarchitekten und Designern, die an der Konstruktion von Utopien arbeiteten. Diese Bewegung war zu Beginn der kubanischen Revolution aktiv und könnte als der „ästhetische Muskel“ der Revolution betrachtet werden, der im Sinne gesellschaftlicher Umwälzungen funktionierte. Ihre Mission war es, neue Räume zu konzipieren und zu gestalten, die das Leben des “neuen Menschen” prägen sollten.
Dabei entstanden Möbel und Objekte von strikter Art und praktischem Nutzen, jedoch mit einem avantgardistischen Design, das gelegentlich an skandinavische Möbel und die frühen Entwürfe von Ikea erinnerte. Ende der 1970er Jahre wurde dieser Prozess aufgrund von fehlendem Kapital, einem mangelnden Markt und dem Unverständnis der Institutionen, die solche Produktionen wegen ihres „bürgerlichen Geschmacks“ stigmatisierten, eingestellt. Castillos suggeriert die Kontinuität dieser Tradition und experimentiert mit der Möglichkeit einer Avantgarde, die nie konkret wurde.
Die Werkgruppe Lam (2021-fortlaufend) bezieht sich auf den kubanischen Maler, Wifredo Lam, der chinesische, kongolesische und kubanische Wurzeln hatte, der zwar nicht Teil dieser ästhetischen Revolution war, aber dessen Werk eine wichtige Referenz innerhalb der kubanischen Moderne ist. Die Arbeit Lam (Combinada 1) (2021), die nun in der Ausstellung zu sehen ist, ist ein Objekt als Wandrelief, das aus runden, quadratischen Rahmen aus verschiedenen Holzarten, in die Rattangeflechte gespannt sind, besteht.
Lam erinnert an die indigen-afrikanischen Formensprache, als einen wichtigen Aspekt im modernistischen Design auf der Insel. Die ästhetische Revolution fand zeitgleich mit der größten Welle der Migration auf der Insel statt, so dass u.a. der Zusammenbruch der traditionellen Familie und Mittelschicht begann.Die Reliefs erinnern an Grundrisse von Häusern und wirken beinahe wie „Behälter“, die das Bild der kubanischen Familie im kollektiven Gedächtnis bewahren.
Die Arbeit Broken Windows 3.1 (Modelle), (2014/2015) und vier Malereien, die alle den Titel Untitled tragen, sind beispielhafte Werke für die Praxis von Dierk Schmidt (*1965, Deutschland), der sich mit der Vergangenheit Europas und im Besonderen mit der Rolle Deutschlands in Bezug auf den Kolonialismus auseinandersetzt. Zwei Ereignisse haben für den Künstler eine besondere Relevanz gewonnen: die sogenannte Afrika-Konferenz, die 1884-85 in Berlin stattfand, als auch eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, die von den Hereros und Nama, zwei ethnische Gruppen aus Namibia, 2001 eingereicht wurde.
In der Auseinandersetzung mit diesen wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen fand der Künstler eine Sprache, die die deutsche Kolonialpolitik durch den Gegenstand eines Restitutionsobjektes bespricht. Broken Windows 3.1 (Modelle), (2014/2015) sind die kleinformatigen Modelle von tatsächlich existierenden Vitrinen, die leer und deren Glas zerberstet ist. Diese Spuren einer gewalttätigen Beschädigung oder Befreiung, je nach Blickwinkel, repräsentieren den Fortbestand einer deutschen Sammlungspolitik, die ihrer eigenen historischen Ungerechtigkeit bis heute nicht zur Genüge ins Auge blickt.
Auf den Oberflächen der Gläser finden sich u.a. geometrische Zeichnungen, die auf das Vermessen und Kartografieren, als einen Akt rationaler und messbarer Aneignung, vermeintlich herrenloser Gebiete hindeuten. Das Glas als Träger dieser Informationen verstärkt den Eindruck von transparenter bzw. souveräner Darstellung der Wirklichkeit. Eine der Vitrinen trägt den Titel Untitled (spontaneous fracturing due to internal stress) und verleiht dem abgebrochenen Objekt eine Stimme, die die eigene Zwangslage kommentiert. Die Gemälde bestehen aus Acrylglas und Ölfarbe und ähneln formal den Vitrinen. Gleichzeitig stellen sie jedoch etwas dar, das nicht direkt sichtbar ist: die explosive Kraft, die das Glas zum Zerspringen bringt.
Brilant Milazimi (*1994, Kosovo) setzt seine Wahrnehmung der Welt, die ihn umgibt, in Bilder um, die gleichzeitig bitter, zärtlich und seltsam sind. Die großformatigen Malereien, die in Fremdkörper zu sehen sind, zeigen jeweils eine Figur, die von ihrer Umgebung isoliert zu sein scheint. Diese Arbeiten sind von einer stark psychologisierenden Dimension geprägt, die durch die Verzerrung der dargestellten Körper in leeren, abstrakten oder undefinierten Umgebungen, die keine klaren Anhaltspunkte für Orientierung liefern, gekennzeichnet werden. Obwohl seine Malereien von einer emotionalen Intensität geprägt sind, erscheinen die Figuren nicht fassbar und in sich gekehrt.
Diese Undurchdringlichkeit beruht auf einer poetisch- melancholischen Sprache, die stark durch die Impulse seiner Imagination und des Unterbewusstseins geprägt ist. Seine Figuren, die von jeglichem sozialen Milieu abgespalten sind, zeugen von der Verarbeitung unangenehmer oder konfliktreicher Gedanken, die man als Spiegel seiner Lebensrealität im Kosovo sehen könnte: erst dieses Jahr wurde das visafreie Reisen für die kosovarische Bevölkerung umgesetzt. Sie erlebte ihre Verbindung zur Außenwelt, oft geprägt von Interpretationen und Vorstellungen einer vernetzten und globalisierten Welt, an der sie jedoch nicht aktiv teilnehmen konnten.
Die Malereien spiegeln einen mentalen Zustand wider, der von einem Gefühl der Fremdheit in sowohl der vertrauten als auch der unbekannten Welt durchdrungen ist. Ausgehend von einem Hintergrund in Dokumentarfotografie und inspiriert von der langen Tradition der Handarbeit in ihrer Familie hat Hana MiletiÓ (*1982, Zagreb) eine künstlerische Sprache entwickelt, die hauptsächlich auf der Produktion von gewebten Textilarbeiten beruht.
Miletić nutzt den Prozess des Webens, um über die sozialen und kulturellen Gegebenheiten zu reflektieren, innerhalb derer die Künstlerin selbst arbeitet. Das Weben, das Übung, Zeit, Sorgfalt und Aufmerksamkeit erfordert, ermöglicht es ihr, neue Beziehungen zwischen Arbeit, Denken und der emotionalen Sphäre zu formulieren und bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz, wie Beschleunigung, Standardisierung und Transparenz, entgegenzuwirken. Zu Beginn des Arbeitsprozesses erkundet die Künstlerin öffentliche Orte in ihrerer Umgebung und sucht nach Folienverkleidungen, die entweder als Schutz oder als vorübergehende Lösung an den verschiedensten Objekten angebracht wurden, sowie nach geklebten Reparaturen, die Bruchstellen notdürftig ausbessern.
Durch den Einsatz von Webtechniken reproduziert Miletić öffentliche Gesten der Pflege und Reparatur, während sie sich bewusst mit den angetroffenen Zuständen des Übergangs von Objekten auseinandersetzt. Die Künstlerin zeigt die unvollkommenen und unerwünschten Oberflächen unserer Alltagswelt, indem sie Markierungen, die auf Schaden und Fehlern beruhen, einen ästhetischen Wert verleiht. Dabei verdeutlicht sie gleichzeitig die Zerbrechlichkeit und die Anerkennung unserer eigenen Begrenztheit. Miletićs Kunst verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, ein Medium zu entwickeln, das die sozialen Veränderungen und Auswirkungen der kapitalistischen Welt auf Millionen von Menschen zum Ausdruck bringt.
Sharona Franklin (*1987, Vancouver) arbeitet mit einer Vielzahl traditioneller und unkonventioneller Medien, darunter Skulptur, Textil, Social-Media-Plattformen und Publikationen. Ihr Schaffen umfasst Themen der Bioethik und der körperlichen Beeinträchtigung. Franklin erforscht die psychologischen, sozialen und bio-medizinischen Facetten des Lebens mit chronischen degenerativen Krankheiten, die sowohl von genetischen als auch Umweltfaktoren beeinflusst werden. Ohne Medikamente und deren Antikörper als auch verschiedene Heilhilfen wäre es ihr unmöglich, ihren Alltag zu bewältigen. In der Ausstellung sind mehrere Objekte der Künstlerin aus Gelatine zu sehen, einem Material, das sie häufig verwendet und das die Transparenz von Glas aufweist. Durch die Verwendung von Gelatine, die auch in menschlichen Knochen vorkommt, kehrt sie das Innere des Körpers nach außen.
Gleichzeitig berührt das Material Fragen der Bioethik und der Verwendung von tierischen und menschlichen Zellen in der pharmazeutischen Industrie. Ähnlich einem Beipackzettel listet die Künstlerin ihre künstlerischen Materialien als Inhaltsstoffe auf. In ihren Skulpturen integriert Franklin oft Blumen, Kräuter, Spritzen, Lebensmittel und abgelaufene Arzneimittel. Die Gelatine fungiert dabei als Metapher für Transparenz und Verletzlichkeit sowie für die ethische und ökologische Komplexität der zahlreichen Arzneimittel, die sie täglich einnehmen und injizieren muss, um sich am Laufen zu halten. Ihre Arbeiten sind durch Reminiszenzen an die Ästhetik der 1970er Jahre geprägt, eine bewusste Aneignung, die die psychedelische bzw. bewusstseinsverändernde Dimension der Pharmazeutika sichtbar werden lässt.
Baseera Khans (*1980, Texas) umfangreiche konzeptionelle Praxis erstreckt sich über verschiedene Medien wie Malerei, großformatige Installationen, Video, Performance und mehr. Dabei thematisieren sie eine Vielzahl von gesellschaftspolitischer Themen wie Überwachung und unsichtbare Arbeit, ebenso wie sehr persönliche Anliegen, darunter ihre Identität als muslimische und nicht-binäre Person aus Texas. Die Arbeiten in der Ausstellung bieten eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Körper und ihrer Identität und vermögen dabei die Erfahrungen vieler anderer Personen wider zuspiegeln, die die oft an den rigiden Grenzen gesellschaftlicher Normen, politischer Strukturen und kultureller Erwartungen scheitern.
Die beiden Fotografien Tent Square, Pink, from Law of Antiquities, (2023) und Made in India, Found in Egypt, Black, from Law of Antiquities, (2023) gehören zu einer fortlaufenden Serie, die zum ersten Mal in deren Ausstellung I Am An Archive im Brooklyn Museum, New York gezeigt worden sind. Ausgangspunkt ist die Sammlung islamischer Artefakte und Kunstobjekte aus verschiedenen Epochen. Die Fotos sind inszenierte Collagen, die Khan in verschiedenen Interaktionen mit den Sammlungsobjekten zeigen und den performativen Zugang der/des Künstler/in unterstreichen. Sie verschmelzen nahtlos Historisches mit Zeitgenössischem und manipulieren das Archiv des Museums, um neue Kontrolle über dessen Erzählung zu erlangen. Acoustic Sound Blanket 8 (2022) ist Teil einer Serie, in der Khan schalldämpfende Decken verwendet, die an übergroße, orthodoxe muslimische Frauenkleidung erinnern.
Jede Decke hat ein Loch in der Mitte das mit einem komplexen Stickmuster verziert ist. Die Inspiration für dieses Muster kommt von kleinen Stickereien, die innerhalb Khans Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Auch hier unterstreicht Khan den performativen Charakter dieser Arbeiten, indem sie zum Beispiel eines dieser Objekte während des Woman Marches in 2017 sowohl als Schutzschild als auch als Protest Deklaration am eigenen Körper trägt.
Mie Yims (*1963, Südkorea) Kunst ist ein faszinierendes Spiel zwischen zuckersüßen Farben und stacheligen Formen, die voller Widersprüche stecken. Sie selbst beschreibt ihren künstlerischen Prozess wie folgt: „Wenn ich arbeite, gehe ich von einem emotionalen Raum in der Vergangenheit aus meiner Kindheit.“ Die Migration von Korea nach Hawaii, als sie ein junges Mädchen war, hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck von Abgeschiedenheit und Sehnsucht. Kunst zu machen, wird für sie zu einem Weg, die Bedeutung und den Zweck ihrer fragmentierten Identität zu rekonstruieren und auszudrücken. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch biomorphe Formen aus, die an hybride, manchmal sogar mutierte Mensch-Tier-Pflanzen erinnern.
Gleichzeitig verleiht die Künstlerin jenen Gestalten groteske Züge, in denen sie wie verzerrte Zeichentrickfiguren aussehen lässt, die mit ihren kugeligen Augen den Betrachter:innen entgegen starren. Ihre Arbeiten offenbaren eine große Kenntnis über den westlichen Kanon der Malerei, St. Bacon (2024) ist beispielsweise ein subversiv ironischer Kommentar zu Francis Bacon, in dem sie seine ikonische schreiende Papstfigur aneignet bis sich die männliche Figur vollkommen in ihrer Malerei auflöst.
In Fremdkörper sind auch einige von Yims Zeichnungen zu sehen, die während des Lockdowns auf handgeschöpftem Papier entstanden sind. Die sogenannten Quarantine Drawings zeigen satte, staubige verschwommene und leicht unscharfe Oberflächen, die sie harten und kantigen Elementen gegenüberstellt. Yim schafft eine einzigartige künstlerische Ausdrucksweise, die durch pulsierende Oberflächen und fließende Formen gekennzeichnet ist. Diese Elemente oszillieren zwischen Abstraktion, Figuration und Surrealismus und erzeugen eine Art metaphysischer Porträts, die voller Pathos, Humor und Horror wirken.