Cranachs Werke zeugen von einem künstlerischen Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, das den kreativen Wettstreit mit anderen Künstlern nicht scheut, sondern ihn vielmehr sogar zu suchen scheint. Seine innovativen Bildlösungen sind nur durch eine Einbettung und Kontextualisierung in das Netzwerk des künstlerischen Austauschs im Alten Reich erfassbar. Die Ausstellung verfolgt daher das Ziel, Cranachs Wechselbeziehung mit anderen Künstlern seiner Zeit aufzuzeigen und sein pointenreiches und kreatives Spiel von Rezeption, Aneignung und Überbieten an konkreten Beispielen nachzuzeichnen. Dabei soll etwa der Wettstreit mit anderen prominenten Künstlern im Fokus stehen, darunter Namen wie Albrecht Dürer oder Hans Holbein der Jüngere. Ziel ist es einerseits diesen wechselvollen Beziehungen deutlichere Konturen zu verschaffen, andererseits aber auch die Anknüpfungspunkte seines Œuvres zur italienischen Kunst zu schärfen. Cranach antworte auf die Bildfindungen von Künstlern wie Jacopo de' Barbari oder Lorenzo Costa d. Ä. mit einem eigenen Formenrepertoire und Schönheitsideal, wie etwa an seinen Adam und Eva-Tafeln sichtbar wird.
Cranach verstand es, innerhalb dieses künstlerischen Wettstreits auf bemerkenswerte Weise bestimmte künstlerische Themen aufzugreifen und so stark zu prägen, dass sie heute untrennbar mit ihm verknüpft sind.
Zwei Generationen von Kurfürsten vertrauten Cranach mit seiner Anstellung als Hofkünstler über nahezu 50 Jahre die Verantwortung über die gesamte Kunstproduktion ihrer Höfe an. Doch Cranachs Tätigkeit für den kursächsischen Hof bestimmte keineswegs die Grenzen seiner Produktivität und Schaffenskraft. Er lieferte Kunstwerke für Herrscher und (Kirchen-) Fürsten in ganz Europa, angefangen beim habsburgischen Kaiser Maximilian und dessen Tochter Margarethe von Österreich, Statthalterin der Niederlande, über König Christian II. von Dänemark bis zu führenden Vertretern der Fürstenhäuser des Alten Reichs.
Darüber hinaus porträtierte Cranach die bürgerlichen und geistigen Eliten seiner Zeit. Indem die Ausstellung Cranach innerhalb dieses Gefüges von Auftraggebern verschiedenster politischer und konfessioneller Prägung präsentiert, erschließt sie einerseits die besonderen Produktionsbedingungen von Cranachs Kunst, dem als zunftfreier Hofkünstler eine Sonderstellung zukam, und verdeutlicht andererseits Cranachs geschicktes Agieren auf einem europäischen Kunstmarkt.
Neue kunsttechnologische Forschungen und Archivrecherchen offerieren faszinierende Einblicke in die tägliche Praxis in einer der innovativsten und produktivsten Künstlerwerkstätten des 16. Jahrhunderts. Die Ausstellung lässt die Besucher an den Forschungen des Cranach Digital Archive teilhaben und analysiert die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Aufträgen, Materialien, Techniken, Werkstattorganisation und künstlerischen Ausdrucksformen. Veranschaulicht werden verschiedene Stadien des Werkprozesses, u.a. die serielle Bildproduktion unter Nutzung von Standardformaten und die gegenseitige Beeinflussung von Malerei, Holzschnitt und Buchdruck.
Die Ausstellung zeigt unter der Malschicht verborgene und mit infrarotreflektografischen Techniken visualisierte Unterzeichnungen und sie veranschaulicht neben einem enormen Reichtum an Malmaterialien und höchst effizienten künstlerischen Techniken auch den Einfluss von Handel und ökonomischen Bedingungen auf die Gestalt der Gemälde. Die Untersuchungsergebnisse liefern neue Antworten zu Fragen der Authentizität, der Arbeitsteilung, der Datierung sowie den ursprünglichen Funktionen und Zusammenhängen in der Ausstellung präsentierter Werke.
Nicht zuletzt werden Veränderungen der Gemälde in 500 Jahren thematisiert und heute getrennte Werke in der Ausstellung wieder zusammengeführt.
Was Lucas schafft, es erglänzt herrlich in strahlender Pracht.
(Theologe Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt, 1509 über Lucas Cranach d. Ä.)
Lucas Cranach der Ältere war nicht nur ein enger Vertrauter Martin Luthers und Trauzeuge bei dessen Hochzeit mit Katharina von Bora, sondern auch der entscheidende Motor bei der Verbreitung der reformatorischen Inhalte. Innerhalb der Ausstellung soll der These nachgegangen werden, dass es allein Cranachs effektiver Werkstattproduktion und seiner bestechenden Bildsprache zu verdanken ist, dass die Reformation innerhalb so kurzer Zeit zu einem europäischen Phänomen wurde. Auch dabei stellte Cranach seine Innovationskraft unter Beweis, indem er vollkommen neuartige – genuin reformatorische – Bildthemen wie etwa „Gesetz und Gnade“ maßgeblich prägte, welche sich innerhalb kürzester Zeit über den halben europäischen Kontinent verbreiteten. Cranach wurde im Spannungsfeld unterschiedlicher Glaubensvorstellungen zu dem Maler der Reformation. Als Grafiker und Porträtist prägte Cranach bis in die heutige Zeit das Bild der führenden Köpfe der Reformation, an erster Stelle natürlich jenes Martin Luthers. Cranachs maßgebliche Bedeutung für die Reformation und ihre Verbreitung kann nicht hoch genug geschätzt werden und wird innerhalb einer Ausstellung im Reformationsjahr 2017 eine entsprechende Würdigung erhalten.
Ich liebe diese Cranachs, ich liebe sie. Der alte Cranach. Diese hochgewachsenen Akte.
(Marcel Duchamp, 1949)
Es waren die Werke Lucas Cranachs, die erstmals Martin Luthers Positionen zum Gebrauch der Bilder Rechnungen trugen und sich von der althergebrachten Last befreiten, Gegenstand der Anbetung sein zu müssen. Die lutherische Reformation und mit ihr die Werke Cranachs machten den Weg frei für eine Kunst, die um ihrer selbst Willen, losgelöst von einem kultischen Zweck, agieren konnte, kurzum Luther und Cranach bereiteten einer modernen Auffassung von Kunst den Weg. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich, dass führende Wegbereiter und Vertreter der Moderne in den gleichen Wettstreit mit Cranach eingetreten sind, wie dieser mit seinen Zeitgenossen. Künstler wie Pablo Picasso, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Marcel Duchamp oder Andy Warhol adaptierten und interpretierten die Bildsprache und Motive Cranachs und kamen zu kongenialen Lösungen. Dieser Strang lässt sich bis in die Gegenwart zu Yasumasa Morimura oder Leila Pazooki weiter verfolgen.