Der berühmte Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner bemerkte 1920: „Man muss Handzeichnungen ansehen, wie man den Brief eines vertrauten Freundes liest und auch das beachten, was zwischen den Zeilen steht.“ Die Graphische Sammlung ist ein guter Ort, der Aufforderung Kirchners zu folgen und sich intensiv mit Arbeiten „auf Papier“ auseinander zu setzen. Gegenstand unserer Sammlung sind Handzeichnungen und druckgrafische Blätter, aber auch frühe Handschriften auf Pergament, künstlerische Fotografien und in jüngster Zeit auch Animationen, in denen Hunderte von Zeichnungen „in Bewegung“ geraten. Zeitlich gesehen reichen die Bestände vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Ähnlich wie Kirchner war im 18. Jahrhundert auch der Düsseldorfer Maler Lambert Krahe von der Notwendigkeit des Studiums grafischer Blätter überzeugt. Krahe hatte während eines Italienaufenthaltes eine große Sammlung italienischer Zeichnungen – besonders von in Rom tätigen Barockkünstlern – angelegt, die er zusammen mit später erworbenen Blättern anderer Schulen 1778 unter der Bedingung verkaufte, sie der Düsseldorfer Akademie, deren erster Direktor er nach seiner Rückkehr aus Rom wurde, als Lehr- und Vorbildersammlung weiterhin zur Verfügung zu überlassen. Diese abgeschlossene Sammlung wird heute als Dauerleihgabe der Kunstakademie in der Graphischen Sammlung bewahrt und erforscht. Unter ihren etwa 14.000 Zeichnungen und doppelt so vielen Druckgrafiken befinden sich viele Blätter bedeutender Künstler wie Raffael oder Bernini. Krahe sammelte als Künstler für Künstler und erwarb häufig große Werkkomplexe direkt aus den Ateliers von Zeitgenossen. Im Jahr 1780 gab er ein Stichwerk über seine Sammlung heraus, das diese schon damals über die Grenzen Düsseldorfs hinaus bekannt machte.
Als 1819 in Düsseldorf die Königlich-Preußische Kunstakademie gegründet wurde, übernahm sie die Krahe’sche Sammlung und erweiterte sie um aktuelle Positionen. Die damals Lehrenden, zu denen u.a. Peter von Cornelius oder Wilhelm von Schadow gehörten, wurden aufgefordert, mindestens ein Blatt pro Jahr der Akademie zu überlassen. Vereinzelt gelangten auch größere Konvolute regionaler Künstler, wie beispielsweise von Theodor Mintrop, in die Akademiesammlung und befinden sich heute in der Stiftung Museum Kunstpalast.
Von Anfang an wurde für die Graphische Sammlung auch behutsam Kunst der Gegenwart erworben, um die Bestände lebendig zu halten. Eine empfindliche Lücke in diesem Bereich hinterließ 1937 die Aktion „entartete Kunst“, bei der die Abteilung 500 Arbeiten verlor. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, durch die Schenkung hochkarätiger Werke des Expressionismus diesen Sammlungszweig wieder zu einer Stärke zu machen. Den größten „Werkblock“ moderner Kunst bilden etwa 3000 Zeichnungen aus dem Nachlass Walter Opheys, der der Künstlergruppierung „Junges Rheinland“ angehörte und eine besondere Art der Farbkreidezeichnung entwickelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind einzelne Positionen wie die von Joseph Beuys, Karl Otto Götz, Gerhard Hoehme, Gotthard Graubner oder Gerhard Richter eng mit Düsseldorf verbunden und mit größeren Werkgruppen vertreten. Die komplette Druckgrafik von Antonio Calderara und Camille Graeser verleiht der Konkreten Kunst innerhalb der Sammlung Gewicht, während die kürzlich erfolgte großzügige Schenkung von Wolfgang Hanck den Bereich der Gegenwartskunst mit markanten Beispielen, darunter kleinere Zeichnungsgruppen von Miriam Cahn, Silvia Bächli oder Susan Turcot, ergänzt. Lag bei den Erwerbungen des 19. Jahrhunderts der Schwerpunkt eindeutig auf der deutschen Kunst, rückten ab 1950 auch wieder internationale Positionen in das Blickfeld der Sammlung. Außerdem rundet ein erlesener Bestand an japanischen Farbholzschnitten seit den 1980er-Jahren die Bestände des 19. Jahrhunderts ab.
Noch verhältnismäßig jung ist das Bekenntnis des Hauses zur Fotografie. Die seit 2002 im Aufbau befindliche Sammlung setzt zwar auch auf internationale Fotografen wie beispielsweise David Goldblatt, hat aber ihren Schwerpunkt bei der Fotografie in Düsseldorf. Bedeutende Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, die die Künstler dem Museum schenkten, bilden das Zentrum, um das mittlerweile Werkgruppen von Andreas Gursky, Candida Höfer, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Ursula Schulz Dornburg (Abb.) und Thomas Struth kreisen.
Mit Hilfe des Museumsvereins konnten immer wieder hervorragende Einzelblätter erworben werden. Obwohl die Bestände der Graphischen Sammlung fest in der Vergangenheit wurzeln, stellt sich die Abteilung bewusst der Gegenwart und folgt mit Interesse neuen Entwicklungen „auf Papier“. (GL)