Durch die Schließung der Neuen Nationalgalerie für eine längere Grundsanierung ergibt sich die einmalige Gelegenheit, den erweiterten Surrealismus-Begriff der Sammlung Scharf-Gerstenberg auch auf Werke aus dem Bestand der Nationalgalerie auszudehnen. Zugleich bietet sich die Möglichkeit, mit den rund 30 neu hinzugekommenen Werken aus der Nationalgalerie die Werke der Sammlung Scharf-Gerstenberg mit anderen Augen zu betrachten: Statt des bisherigen chronologischen Ausstellungsparcours stehen erstmals thematische Kriterien im Vordergrund.
Ausgangspunkt ist ein von Julietta Scharf, der Tochter des Sammlers, unlängst erworbener Wandschirm, den die Surrealisten auf einem Flohmarkt entdeckt und 1926 ihrer Zeitschrift La révolution surréaliste abgebildet hatten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, erscheint das spektakuläre Fundstück als surreale Anspielung auf eine abgeschirmte Welt intimer Sehnsüchte und Verlockungen. Zugleich blitzt mit den Schattenrissen winziger Teufel, die durch die Bilderflut springen, auch der Gedanke unbewusster oder unterdrückter Ängste auf − welch wundervolle Trouvaille für die Surrealisten, die sich für die Doppelbödigkeit der gesellschaftlichen Konventionen in besonderem Maße interessierten!
Unter dem Titel "Surreale Welten" werden mehr als 250 hochkarätige Werke der Surrealisten und ihrer Vorläufer gezeigt. Das Spektrum der Künstler reicht von Piranesi und Goya über Klinger und Redon bis zu Dalí, Magritte, Max Ernst und Dubuffet.
Die Sammlung Scharf-Gerstenberg besitzt ein klares inhaltliches Profil und zeichnet mit über 250 Gemälden, Skulpturen und Arbeiten auf Papier die Geschichte der phantastischen Kunst nach. Im Zentrum der Kollektion steht der Surrealismus, eine Bewegung zur Erneuerung der Kunst, deren Grundsätze 1924 in Paris durch André Breton in einem Manifest verkündet wurden.
Fast alle Mitglieder der Surrealistengruppe sind mit ausgewählten Arbeiten in der Sammlung vertreten. Größere Werkgruppen gibt es insbesondere von René Magritte, Max Ernst und Hans Bellmer, jedoch auch von Wols und Paul Klee. Die zentralen Bildstrategien des Surrealismus wie beispielsweise Kombinatorik, Metamorphose und reiner psychischer Automatismus werden durch zahlreiche meisterhafte Beispiele vor Augen geführt. Der Surrealismus steht in einer bedeutenden Traditionslinie der abendländischen Kunst. Zu den frühesten Werken der Sammlung zählen Piranesis Darstellungen phantastischer Kerkerarchitekturen sowie die albtraumhaften Spukgestalten in Goyas Radierungen.
Der französische Symbolismus des späten 19. Jahrhunderts ist mit Bildern von Odilon Redon oder Gustave Moreau ebenso vertreten wie sein deutsches Pendant in Gestalt graphischer Zyklen Max Klingers. Erweitert wird das Spektrum der gezeigten Kunst durch ein Filmprogramm, das klassische surrealistische Filme von Luis Buñuel und Salvador Dalí ebenso umfasst wie Filme zeitgenössischer Künstler, die auf den Surrealismus Bezug nehmen oder dessen formale Mittel verwenden.