„So Far So Close“, so fern und doch so nah sind die Themen und Motive, die in der aktuellen Ausstellung von Stéphane Couturier in der Galerie Kornfeld anklingen. Seit mehr als fünf Jahren reist der französische Fotograf regelmäßig nach Algier, um in der Siedlung „Climat de France“ zu fotografieren. In den späten 1950er Jahren nach Plänen des französischen Architekten Fernand Pouillon im Stil der Internationalen Moderne errichtet, sollte dieses monumentale Bauprojekt den Ärmsten der Armen ein Leben außerhalb der Slums ermöglichen und damit gleichzeitig den Anspruch der damaligen Kolonialmacht Frankreich über die muslimische Einwohnerschaft Algeriens untermauern.
Die Siedlung im Stadtviertel Bab-El-Oued grenzt zwar unmittelbar an die Kasbah von Algier, sie war aber schon immer eine Art Stadt in der Stadt. In den 5.000 von Pouillon errichteten Wohnungen leben heute etwa 30.000 Menschen. Die Politik kümmert sich nicht um „Climat de France“, und auch die Polizei lässt sich hier nicht mehr blicken. Eigene, auch bauliche Strukturen sind entstanden. Das Herz der Siedlung ist ein monumentales Gebäude, das einen Hof mit 200 Säulen umschließt. Als zentraler Ort der Begegnung, der Kommunikation und des Handels ist er heute auch zu einem der Hauptumschlagpläze für Drogen geworden.
Schon bei seinem ersten Besuch in „Climat de France“ stellte Stéphane Couturier fest, dass er die Menschen, die heute die idealen Architekturen Pouillons bewohnen und nach ihren Wünschen und Bedürfnissen umgestalten, in seine Arbeit einbeziehen muss. Das Repertoire seiner Themen und Motive erweiterte sich, und neben die großformatigen, bestechend komponierten und beinahe malerisch wirkenden Fotografien von Gebäuden oder meist architektonischen Strukturen sind Aufnahmen getreten, welche die Personen und ihren Alltag zugleich dokumentieren und zu ikonischen Bildern verdichten. Videoportraits, die formal einen Grenzbereich zwischen Bild und Film besetzen, und raumgreifende Installationen mit Fotografie führen an die Grenzen des Mediums „Fotografie“ und erweitern das Spektrum.
All diese unterschiedlichen Aspekte finden sich in den Werken unserer Ausstellung: neben großformatige Aufnahmen, die abstrakten Gemälden gleichen, treten kleinere Werke. Farbenfrohe Bilder, die in ihrer Leichtigkeit und Anmut an die Gemälde von Henri Matisse erinnern, dokumentarisch wirkende, dem Alltag entnommene Szenen, Portraitfotografien und Videoportraits der Bewohner von Bab-El-Oued und „Climat de France“ sowie etwa 30 schmale, stelenartige Foto-Ojekte verbinden sich zu einer vielgestaltigen Gesamtinstallation.
Stéphane Couturier (*1957) zählt zu den renommierten Fotografen Frankreichs. Die Werke des Autodidakten finden sich in bedeutenden Sammlungen auf der ganzen Welt, so beispielsweise im Centre Pompidou, im Musée du Petit Palais und im Cabinet des Estampes in der Bibliothèque Nationale de France (alle in Paris), in der National Gallery in Washington, dem Art Institute of Chicago und dem LACMA in den USA, im Gemeentemuseum in Den Haag, der Stiftung Weserburg in Bremen oder im Museu Nacional da República in Brasilia sowie dem Israel Museum in Jerusalem. Seine Werke werden weltweit in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, so beispielsweise 2015 anlässlich der Biennale in Venedig und im Winter 2016/17 in der Soloausstellung „Alger, Climat de France“ im Musée Nicéphore Niépce in Chalon-sur-Saône in Frankreich.