Ausgehend von der englischen Arts & Crafts-Bewegung setzten sich auch die Wiener Künstler um 1900 für die Neugestaltung des Bucheinbandes ein. Große Impulse gingen dabei von der Wiener Werkstätte (1903–1932) unter den Entwerfern Koloman Moser (1868–1918) und Josef Hoffmann (1870–1956) aus. Unterstützt wurden die beiden Künstler von Carl (Karl) Beitel (1866–1917), der in Wien als hervorragender Buchbinder bekannt war und ab Mai 1904 als Meister das Buchbinder-Atelier in der Wiener Werkstätte leitete.
Die ersten Bücher wurden in Marmorpapier (Tunkpapier), das selbst hergestellt wurde, gebunden. Gleichzeitig entwarfen sowohl Moser als auch Hoffmann Bucheinbände in Leder. Zumeist wurde dafür Ziegenleder (Maroquin) mit stärkerer, körniger Narbung oder solches mit glatter Oberfläche verwendet. Gelegentlich griff man aber auch auf Krokodil-, Schlangen-, Frosch-, Eidechsen- und Perlrochenhaut oder Stoff zurück.
Die Geometrisierung war das vorherrschende Gestaltungsprinzip bei den reich dekorierten oder schlicht gestalteten Bänden. Mit den in der Werkstätte vorhandenen Lederstempeln konnten die vielfältigsten Lösungen erzielt werden. Parallele Linien, Quadrate, Rauten, Ellipsen, Kreise, Ovale, Spiralen, Ranken sowie stilisierte Blätter, Blüten und Früchte waren die bevorzugten Motive, die die Einbände überzogen oder darauf nur als Einzeldekor eingesetzt waren. Gelegentlich wurde mit der Konzeption des Einbandes dem Inhalt des Buches Rechnung getragen und die Gestaltung des Äußeren mit dem „Inneren“ in Beziehung gesetzt.
Mit Ende der 1910er Jahre wurden die für die Einbandgestaltung verwendeten Motive verspielter und üppiger – speziell die Künstlerinnen schufen handbemalte, bisweilen getriebene oder pressreliefierte Bucheinbände. Ab 1924 setzte Hoffmann Wellenprofile für die Buchdeckel ein, etwas später wurden profilierte, geometrische Holzraster aufgebracht, die wiederum mit Leder überzogen wurden.
Mag es uns heutzutage verwundern, dass dem kostbaren Buch zugeneigte Personen damals nicht mit der Verlags ausgabe zufrieden waren, sondern KünstlerInnen beauftragten, Einbände für ihre Ankäufe zu entwerfen, so war dies im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine durchaus übliche Praxis. In der Wiener Werkstätte wurden zwischen 1904 und 1929 über 300 Bucheinbände entworfen.
Anhand der in der Ausstellung Bucheinbande Der Wiener Werkstatte präsentierten Objekte aus Privatbesitz – hervorzuheben sind die Sammlungen Ernst Ploil und Richard Grubman – und aus der MAK-Sammlung kann die ungeheure Fülle an Ideen und die Vielfalt in der handwerklichen Umsetzung, die die Bucheinbände der Wiener Werkstätte kennzeichnen, aufgezeigt werden.
Gastkurator: Ernst Ploil Kuratorinnen: Elisabeth Schmuttermeier, Kustodin MAK-Sammlung Metall und Wiener-Werkstätte-Archiv; Maria-Luise Jesch, Assistenz, MAK-Sammlung Metall und Wiener-Werkstätte-Archiv