An einem wunderschönen Herbsttag tauchte ich für einen Tag in die faszinierende Welt des prestigeträchtigen Champagners ein. Die sympathische Französin Solène, Besitzerin der Reiseagentur „Au Bel Air Champenois“, organisiert Tagestouren, welche Touristen die Region der Champagne näher bringt.
Die Region der Champagne eignet sich perfekt für einen Tagesausflug von Paris aus, die zur französischen Hauptstadt nächsten Weinreben sind nur 70 km von der Notre Dame entfernt. Für einen Tag werden die weiten Boulevards zu schmalen Rebenlinien und die unterirdische Metro zu Weinkellern. Dank dem Treffen von Feldarbeitern und kleinen, unabhängigen Winzern lernte ich das Produkt vom Feld bis zum Glas kennen. Die Region der Champagne war 1927 die erste Region, die Grenzen der Appellationszonen festlegte. Champagner darf heute nur Wein genannt werden, dessen Trauben auf den 34 300 ha, die sich vorwiegend über die vier Gebiete Montagne de Reims, Vallée de la Marne, Côte des Blancs und Côte des Bar erstrecken, kultiviert wurden. Insgesamt 15 628 Winzer pflegen Reben auf über 280 000 Parzellen mit einer Durchschnittsgrösse von 12 Aren (120 ha). Im Anbaugebiet des Champagners befinden sich 316 Dörfer. Die Trauben jedes der Dörfer stellt einen Cru dar. Je nach Bodenbeschaffenheit, Lage und Klima unterscheiden sich die Merkmale dieser Crus: das Produkt von 17 Dörfern wird als Grand Cru definiert, was die höchste Qualitätsstufe darstellt.
Die restlichen Dörfer tragen das Merkmal Premier Cru, Cru oder échelles des crus. Die Bodenbeschaffenheit ist das wichtigste Charakteristikum, welches das Weinanbaugebiet der Champagne definiert. Die Belemnit-Kreide und die Mikroelemente dieser Region sind einmalig. Der Kreidegrund ist mit einer dicken Humus/Lehmmischung bedeckt, welche von den Wurzeln der Reben bis tief (10-20m) in die Kreide durchdrungen wird. So entnehmen die Reben der Kreide überlebenswichtige Mineralstoffe. Was diesen Boden so einzigartig macht ist, dass neben dem Nährwert des Humus die Kreide die ideale Feuchtigkeit hält und die Wärme des Tages speichert und sie während der Nacht langsam an die Reben abgibt. Zudem ist Kreide das ideale Material, in das die zu Lagerungszwecken erstellten Caves gebaut werden. Kreide hält die Temperatur konstant um die idealen 10°Celsius.
Die klimatischen Bedingungen in der Champagne können sehr hart werden. Heisse Sommer und kalte Winter charakterisieren das Kontinentalklima in der Champagne. Hohe Wälder schützen vor Winden und zusammen mit Flüssen gleichen sie die variierenden Temperaturen aus. Heute werden hauptsächlich drei Rebensorten in diesem einzigartigen Gebiet kultiviert: weisse Chardonnay Trauben, rote Pinot Noir und Pinot Meunier Trauben. Pinot Noir macht 38,4 % der Rebfläche der Champagne aus, Pinot Meunier 33,3 % und Chardonnay 28,3 %. Das war jedoch nicht immer so. In der Vergangenheit wurden vier weiter weisse Traubensorten kultiviert: Arbane, Petit Meslier, Pinot Blanc und Pinot Gris. Diese gerieten nach und nach in Vergessenheit, wurden liquidiert und kehrten erst vor wenigen Jahren langsam wieder zurück. Heute stellen sie mit ihren 90 ha noch immer weniger als 0,5% des gesamten Weinanbaugebietes dar. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte jedes Champagner Dorf seine autochtone Reben, was ein enormer ampelographischer Schatz darstellte. (Die Maison Mumm hat eine Sammlung dieser antiken Rebsorten.) Kältesensibilität, Pressschwierigkeiten, Anfälligkeit auf Botrytis oder Ernteunregelmässigkeiten liessen sie langsam aussterben. Leider, denn sie geben dem Wein einen unvergleichlichen organoleptischen Reichtum.
Jedes Jahr wird kurz vor der Traubenernte gesetzlich festgelegt, wie viele Kilogramm Trauben pro Hektar zur Herstellung von Champagner geerntet werden dürfen. 2014 waren das zum Beispiel 10 500 kg/ha. Nach der manuellen Ernte werden die Trauben gepresst. Die Trauben der roten Grundweinsorten Pinot Noir und Pinot Meunier werden danach schnell abgefiltert, damit möglichst wenig rote Farbstoffe aus der Haut in den Grundwein gelangen. Nur für die Gewinnung von Rosé-Champagnern ist eine Maischegärung erwünscht. In der Regel wird in diesem Falle dem weißen Grundwein 10–20 % roter zugesetzt. Um 102 Liter Most zu gewinnen, braucht es 160 kg Trauben. Die ersten 82 Liter sind am hochwertigsten und werden Cuvée genannt. Der Rest ist qualitativ weniger gut, da durch zusätzliches zweimaliges Pressen mehr Bitterstoffe in den Most gelangen. Er wird als Première Taille oder Deuxième Taille deklariert.
Während der alkoholischen Gärung wird der Zucker des Mosts durch den Kontakt mit den natürliche Hefepilzen der Traubenschale und Zuchthefen in Alkohol und Kohlendioxid umgewandelt. Das Kohlendioxid entweicht an der Luft und übrig bleibt der alkoholhaltige Wein. Nach einer eventuellen malolaktischen Gärung ist der Grundwein zur Zusammenstellung und der anschliessenden Flaschengärung bereit. Etwa 80% aller Champagner werden aus Grundweinen verschiedener Jahrgänge zu einer Assemblage verschnitten und sind auf dem Markt ohne Jahrgangsangabe zu finden. Diese Assemblage ist ein zentraler Teil der Champagnerherstellung, bis zu hundert verschiedene Weine können vereinigt werden. Ein typischer jahrgangsloser Champagner besteht zu rund 70% aus dem aktuellen Jahrgang und 30% Reserveweinen älterer Jahrgänge. Diese Technik ermöglicht den Champagnerhäusern, jedes Jahr ihren Stil beizubehalten und den für ihr Haus charakteristischen Champagner zu reproduzieren. Nur in ausserordendlich guten Jahren werden Champagner pur aus Weinen desselben Jahres hergestellt. Diese werden dann Millesimes genannt.
Nach der Assemblage folgt die Flaschengärung. Dazu werden dem Wein der Liqueur de tirage, eine Mischung aus Rohr – oder Rübenzucker, Hefe und Wein zugefügt und die Flasche wird mit einem Kronkorken verschlossen. Erneut findet eine Gärung statt, die Prise de Mousse. Kohlenstoffdioxid kann nun nicht mehr entweichen, der Wein wird kohlensäurehaltig und der Alkoholgehalt steigt um bis 1.5% gegenüber dem Grundwein. Die zugefügte Hefe muss vor dem Versand wieder entfernt werden. Dazu werden die Flaschen zuerst fast waagrecht, dann immer weiter zum Kronkorken hin geneigt, in pupitres de remuage gelegt und gerüttelt, früher von Hand, heute meist durch Roboter. Wenn die Flaschen senkrecht stehen, hat sich die Hefe im Flaschenhals angesammelt und kann entfernt werden. Dieser finale Prozess wird in der Fachsprache Degorgieren genannt. Dazu werden die Flaschenhälse in ein Eisbad geführt, die Hefe gefriert zu einem Pfropfen und sobald der Kronkorken entfernt wird, schiesst dieser Hefe-Eispropfen dank dem Überdruck aus der Flasche. Dabei geht etwas Flüssigkeit verloren. Deshalb wird, bevor die Flaschen endgültig mit dem Korken, der Agraffe und dem Deckel verschlossen werden, die Versanddosage zugefügt. Dieser Liqueur d’expedition/Liqueur de dosage ist ein Geheimnis jedes Herstellers. Er gibt dem Champagner eine charakterisierende Note und bestimmt vor allem die Geschmacksrichtung von extrem trocken bis hin zu süss: Ultra Brut/Brut Nature/Brut integral (non dosé/zero dosage), extra Brut, Brut, Extra Sec/Extra Dry, Sec, Demi Sec, Doux.
Auf der Etikette, meist neben dem Strichcode, befindet sich noch eine weitere, interessante Angabe zur Herkunft des Champagners. Ein Kürzel von zwei Buchstaben weist darauf hin, wer den Champagner produziert hat. RM steht für Récoltant manipulant, dies sind kleine Winzerbetriebe, die vom Traubenanbau bis zur Vermarktung alles selber machen. Diese Champagner werden Champagne de Vigneron genannt und sind oft mit dem Vigneron Independent Logo versehen. NM ist die Abkürzung für Négociant manipulant. Damit wird ein Handelshaus bezeichnet, das aus eigenem und zugekauftem Traubenmaterial Champagner herstellt und selbst vermarktet. Alle grossen Namen wie Kruger, Moët&Chandon oder Veuve Clicquot gehören dem NM Status an. RC bezeichnet den Récoltant coopérateur: ein Weinbauer, der selber Reben anbaut aber deren Vinifizierung der Genossenschaft überlässt, am Ende seine eigenen Champagnerflaschen zurücknimmt und vermarktet. Die Coopérative de manipulation, CM hingegen vinifiziert das Traubenmaterial der Genossenschaftsmitglieder und vermarktet die Champagner unter dem Genossenschaftsnamen. In der Champagne gibt es über 60 Kooperativen. ND bezeichnet den Négociant distributeur, ein Handelshaus, das fertig ausgebauten Champagner aufkauft und unter eigener Marke vertreibt. MA, Marque dacheteur, sind Grossabnehmer, die Champagner von einem Handelshaus beziehen und mit der eigenen Marke versehen.
Öffne ich nun bei der nächsten speziellen Gelegenheit eine Flasche prickelnden Champagner, werde ich mich nicht nur in die in wunderschönen Weinreben, die im Herbstsonnenlicht in Nuancen von gelb, rot und orange leuchteten, zurückdenken. Ich werde mir auch des aufwändigen Arbeitsprozesses bewusst sein und mich mit Bewunderung an die vor Passion strahlenden Augen des Winzers, der uns all das erklärt hat, erinnern.