Fettunta. Fetta unta. Die Fettunta ist viel mehr als nur eine geröstete Brotschnitte, die mit reichlich Olivenöl beträufelt wird. Sie ist ein Ritual. Das wird klar, wenn man an der Olivenernte in der Toskana mithilft.
Giuliano, Anna und ihr Sohn Francesco Anichini besitzen in Panzano in Chianti den kleinen Landwirtschaftsbetrieb Vallone di Cecione, wo auf je vier Hektaren Trauben und Olivenbäume nach biologischen und biodynamischen Prinzipien kultiviert werden. An den frischen Novemberabenden, wenn im Kamin ein Feuer lodert, legt la mamma Anna Anichini Toskanisches Brot auf den Rost über dem Feuer. Die müden und hungrigen Erntehelfer sitzen am Tisch bei einem Glas hauseigenem Chianti Classico. Sobald die Brotscheiben auf beiden Seiten leicht angebräunt sind, werden sie grosszügig mit frisch gepresstem Olivenöl beträufelt. Dann beissen alle hungrig in die knusprigen Brotscheiben und auf den Gesichtern zeichnet sich grosse Genugtuung ab – Genugtuung über das Resultat schwerer Handarbeit. Zwei Zutaten – Brot und bestes Olio Extravergine di Oliva – bilden zusammen eine perfekte Verbindung. In den Augen der Besitzer erkennt man den Stolz über ihr grünes Gold. Auch dieses Jahr haben die gut 700 Olivenbäume der Sorten Frantoio, Moraiolo, Leccino und Pendolino ein würzig-fruchtiges, herb und leicht pikantes Öl geliefert.
Bis es jedoch so weit ist und das Öl auf einer Fettunta oder einem Teller dampfender Cannellini Bohnen genossen werden kann, steckt Fleiss und viel Arbeit dahinter.
Um mitte November werden, wenn das Wetter es zulässt, Tag für Tag von morgens bis zur Dämmerung Oliven von Hand geerntet. Dazu werden auf dem Boden grosse Netze ausgebreitet, die Oliven werden von Hand oder mit Hilfe kleiner Rechen von den Ästen gestreift und fallen auf die Netze. Sobald die Arbeit an einem Baum beendet ist, werden die im Netz liebenden Oliven in eine gut durchlüftete Erntekiste gelegt. Baum für Baum wird so geerntet, pro Baum gibt es in guten Jahren etwa 15 kg Oliven. Diese manuelle Ernte ist eine schonende Methode für Baum und Olive und garantiert hochwertiges Olivenöl.
Anna, Giuliano und Francesco lesen Tag für Tag Oliven, manchmal kommen Freunde oder Verwandte, um zu helfen. Dabei wird geredet, gesungen und immer wieder festgestellt, wie wunderschön die Oliven doch sind, und dies ohne jegliche chemischen Behandlungen. Das ist dank der idealen Lage in der Conca d’Oro und den meteorologischen Verhältnissen der Region um Panzano möglich.
Die zeitintensive Handarbeit erklärt auch, weshalb gutes Olivenöl Extra Vergine nicht günstig sein kann: 70-80% der Produktionskosten entstehen bei der Olivenernte. Die mit Oliven gefüllten Kisten werden in den Frantoio, die Presse, gebracht. Da herrscht reges Treiben: Wochen im voraus reservieren Olivenbauern der Umgebung ihre Sessionen im Frantoio, der während der Erntezeit fast 24 Stunden geöffnet ist. Die Oliven werden in kleinen Lastern, Jeeps, dreirädrigen Apes oder kleinen Fiat angeliefert, je nachdem wie gross die Ernte ist. Die Kisten werden gewogen, dann werden die Oliven in einem Wasserbad gewaschen und Ästchen, Erdklumpen oder Blätter entfernt. In einem Mahlwerk bzw. Schneidwerk werden die Oliven zusammen mit dem Kern zerkleinert. Dieser Olivenbrei wird anschliessend mit grossen Spiralen bearbeitet, vermischt und gerührt bis sich die feinen Öltröpfchen zusammenschliessen und sich von der restlichen Masse abscheiden.
Mit einer Zentrifuge (Decanter) wird diese Flüssigkeit anschliessend von der festen Masse getrennt. Das nach der Zentrifuge erhaltene Öl kann, je nach Reifegrad und Olivensorte, von giftgrün bis goldgelb variieren. Das grüne Gold wird dann in grosse Kanister gefüllt und von den Besitzern, die während dem ganzen Prozess ihre Oliven nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen haben, mit Stolz und Achtsamkeit nach Hause gefahren.
Das so erhaltene Olivenöl darf Olio Extravergine di Oliva genannt werden: dies ist die erste Güteklasse und charakterisiert sich dadurch, dass das Öl aus völlig frischen, unfermentierten und unbeschädigten Oliven durch kontinuierliche, mechanische Verfahren gewonnen wurde und einen Anteil an freien Fettsäuren (Ölsäure) von weit weniger als 0,8% aufweist. Dieses Öl ist dank hohem Anteil an einfach-ungesättigten Fettsäuren und antioxidativen Eigenschaften sehr gesund.
Zu Tisch fordert mich Giuliano immer auf, noch etwas Olivenöl über das Brot, die Pasta oder die Suppe zuzufügen. «Das ist gesund!», und mit vollem Mund genussvoll sprechend fügt er an: «Und so lecker!» Recht hat er.