„Ich mag Momente“, sagt Andi Fischer vor dem von ihm angenehm schief gezeichneten Einfamilienhaus „in denen Dinge fragil oder beschädigt wirken. Wenn der Schein bröckelt.“ Fischer kann das. Er kann auch einen spannungsvollen Himmel aus Ölkreidekritzeln malen. Diese Vermalungen wirken wie die Zeichen eines unbekannten Alphabets, dessen Buchstaben sich zu wiederholen scheinen, es aber niemals tun. Das Haus in Ansicht einer wilderei ist wiederum kein bestimmtes, es ist Ein haus, wie Kinder es malen würden: Satteldach, zwei Fenster, Tür, Baum daneben, Familie drin. Ein Idyll, in dem es knirscht. Es sei ihm außerdem wichtig, so Andi Fischer in seinem Atelier, keine identifizierbaren, in ihrer Zeit verortete Dinge zu malen, sondern solche, auf die man sich zeitübergreifend einigen kann. Visuelle Archetypen, sozusagen.

Eine Besonderheit von Andi Fischers Malweise ist es, dass Farben sich nicht vermischen und Formen einander kaum überlagern, sie stoßen allenfalls behutsam aneinander. Hier und da zischt ein Strich über einen anderen hinweg, ohne ihm wehzutun und fast immer ist genug Weißraum dazwischen, was den Arbeiten insgesamt große Offenheit und Variabilität verleiht. Wandert man an diesen neuen, in 2025 und 2024 entstandenen Bildern vorbei, dann fühlt es sich manchmal an, als könne man einzelne Bildelemente herausnehmen, mit sich herumtragen und dann wieder zurücklegen. Dabei sind sie natürlich unwiederbringlich mit dem Bildträger verschmolzen. Fischers Bilder entstehen ohne Pinsel und Palette, sein Arbeitsmaterial sind finger- bis holzfällerdaumendicke Ölkreiden, welche erst 1949 auf Wunsch von Pablo Picasso von einem französischen Hersteller entwickelt wurden. Pigmentreiche Ölfarbe lässt sich damit direkter aufbringen als mit dem Pinsel.

Andi Fischer malt mit Mut und Entschiedenheit. Korrekturen sind in seiner Arbeitsweise praktisch unmöglich und das schlägt sich in den Bildern nieder. Strauch, Gefäß, zerzauster Rabe, Wolke, Burg, Sonne, Haus, Farbfleck – Maßstäblichkeit und räumliche Plausibilität sind aufgegeben zugunsten einer auch gegenüber früheren Werken immer freier flottierenden Formen und Motiven. Auf Dürre distel stehen einzelne Häuser neben einer viel größeren Distel, während am rechten Bildrand runde Türme aufragen. Aus den blauen Vermalungen darüber regnet es graue Schnüre. Der Chiffrenhimmel wölbt sich, allerdings nicht über das gesamte Bild, so wie Andi Fischer überhaupt keine geschlossenen Welten darstellt, sondern diese aus gemalten Zeichen tentativ zusammensetzt. Das können auch farbintensive Abstraktionen sein, während die Burgtürme eher am Rande stehen und durch ihre summarische und zeichnerische Umsetzung etwas von einer Skizze behalten. Unser Blick assoziiert, springt zwischen den Formen umher. Sie erschöpfen sich nicht schnell, sondern beschäftigen das Auge länger, auch wenn man sie, und das ist die Kunst des Andi Fischer, auf einen Blick schon gut erfassen kann. Menschen gibt es in diesen neuen Bildern keine mehr. Man vermisst sie aber auch nicht, die Störenfriede. Nicht nur die Tiere untereinander, auch Gegenständliches und Ungegenständliches kommen gut miteinander aus. Der Weißraum zwischen den Formen gewährt jeder noch so kleinen Vermalung die Freiheit, ganz sie selbst zu sein, und die Ränder seiner Leinwände werden vom Maler immer freigehalten. Diese Entscheidung ist ganz wichtig. Sie hält die Gemälde und die darin sich ereignenden Gegebenheiten offen – und sorgt für halbbewussten Eindruck, die Formen drifteten von Bild zu Bild, würden sich, wie die Raben auf dem Feld, mal hier und mal dort niederlassen.

Der große Rabe in Dort hingegen geierraben steht mitten auf der Leinwand. Es gibt nur wenig, das ihn darauf situiert, ein paar Pflanzen sind vorhanden und auch ein zweiter, wohl durch die Entfernung verkleinerter Rabe. Aber ist das überhaupt Entfernung? Soll der Bildraum denn plausibel sein? Und für wen und nach welchen Kriterien? Der große Rabe wirkt wie ein stummer Denker, der im schwarzen Federmantel vor sich hinbrütet. „Enorm viele Vögel fliegen“ heißt diese Ausstellung, und tatsächlich sind Vögel ein häufiges Motiv bei Andi Fischer, nicht nur fliegende. Sie schnäbeln oder schwimmen und manchmal wirken sie wie Menschen, die in Vogelkostümen stecken. Der Blick des Künstlers spiegelt eine anthropomorphe Perspektive auf Tiere, eine, die man auf den ersten Blick auch für eine kindliche halten mag. Aber die Raben, oft als Unglücksboten verschrien, werden von Fischer eben nicht verniedlicht. Sie sind unser Gegenüber, unser Mitgeschöpf, vertraut und rätselhaft wie unsere Nachbarn, Partner, Eltern.

Ein vergleichbares Eigenleben führt die Distel in Dürre distel. Sie stammt von einem bekannten Selbstporträt Albrecht Dürers von 1493, das im Louvre hängt. Der in der Dürerstadt Nürnberg geborene Andi Fischer hat die von Dürer oft dargestellte und deshalb von Literaten und Forschern auch viel gedeutete Pflanze mit einem deskilling-Prozess in die Gegenwart hinübergerettet. Dasselbe geschah den Burganlagen, die in Albrecht Dürers Werk häufig auftauchen, meist allerdings im Hintergrund biblischer Szenen. Mit der Distel, auch Sternkraut genannt, taucht der Übervater Dürer nun in Fischers Bild auf. Aber das muss man schon wissen, denn Fischer ahmt die mimetische, auf genaue Abbildung der Natur bedachte Kunst Dürers nicht nach. Er ist ein Meister der Reduktion, ohne dass darüber die erzählerische Spannung figurativer Malerei aufgegeben werden müsste. Über die Gemälde der letzten Jahre hinweg kann man schön beobachten, wie Fischer sich immer mehr beschränken kann und dabei doch nichts einbüßt, im Gegenteil: er hat hier eine neue, freie Art zu Malen erfunden, die einen kraftvoll und heiter von der Leinwand her anweht.

(Text von Boris Pofalla)