Das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz und deren unauslöschlicher Einfluss auf das sozioökonomische Gefüge markiert den Beginn einer neuen Epoche, die ich als 'Das Zeitalter der Sapiokratie' bezeichne. In einer Zeit, die von einer beispiellosen Informationsüberflutung und einer gesteigerten Effizienz in der Nutzung von Werkzeugen gekennzeichnet ist, zugleich aber auch durch das Potential der Autonomisierung technologischer Infrastrukturen mittels Künstlicher Intelligenz herausgefordert wird, steht die Ökonomie vor der dringenden Aufgabe, sich von überholten, machtzentrierten Narrativen zu befreien. In dieser Ära wird Wohlstand neu konzipiert, gewebt aus den Fäden ethischer Reflexion, Sinnstiftung und der Wertschätzung menschlicher Erfahrungen. Dieser fundamentale Wandel, wie von Shoshana Zuboff in The Age of Surveillance Capitalism (2019) erörtert, unterstreicht die Notwendigkeit, traditionelle ökonomische Modelle grundlegend zu überdenken und zu erneuern.
Die Herausforderung besteht nicht mehr nur darin, ein System des logikdurchdrungenen Handels und der verzerrten Finanzen zu navigieren, sondern vielmehr darin, eine Domäne zu erschaffen, in der die Sinnhaftigkeit und die Entfaltung menschlicher Erkenntnispotenziale im Zentrum stehen. Inspiriert von fortschrittlichen kybernetischen Konzepten, wie sie Ernst von Glasersfeld im Kontext systemischer Denkansätze diskutierte, zielt dieser Artikel darauf ab, systemtheoretische und kybernetische Ansätze mit dem innovativen Paradigma der Ökonomie des Sinns zu verschmelzen. Hierbei wird angestrebt, die Ökonomie neu zu definieren, indem die zunehmend wichtige Rolle der Künstlichen Intelligenz und technologischen Autonomie hervorgehoben und gleichzeitig die unerlässliche Bedeutung ethischer und sinnorientierter Ansätze im ökonomischen Diskurs betont wird.
Dieser Artikel versucht, ein neues Verständnis von Wirtschaft zu entwickeln, das nicht nur die aktuellen technologischen Entwicklungen und ihre tiefgreifenden Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft würdigt, sondern auch die menschliche Kreativität und Potenzialität in den Mittelpunkt stellt. Durch die Integration von Daten als das neue Kapital, die Förderung nachhaltiger und ethisch verantwortungsvoller Konsummodelle und die Betonung interdisziplinärer Zusammenarbeit sollen Wege aufgezeigt werden, wie die Wirtschaft in der Ära der Information und KI neu gedacht und gestaltet werden kann, um eine gerechtere, nachhaltigere und sinnvollere Zukunft für alle zu schaffen.
Die Kybernetik als Grundlage der Ökonomie des Sinns
Die Kybernetik, maßgeblich geprägt von Norbert Wiener und weiterentwickelt durch Denker wie Ernst von Glasersfeld, bildet ein solides Fundament für das Verständnis komplexer, zielgerichteter Systeme (Wiener, 1961). Dieser Ansatz betont die Bedeutung von Selbstorganisation und Autonomie im menschlichen Denken und Handeln und verankert sich tief in der Kybernetik und ihrer Anwendung auf menschliche Systeme. Durch die Verknüpfung kybernetischer Prinzipien mit unserem Verständnis von menschlicher Kognition und Interaktion entsteht ein Konzept, das individuelle Talente und Fähigkeiten würdigt und das Streben nach Wissen und Erkenntnis als essenziellen Teil der menschlichen Erfahrung anerkennt. Dieser Ansatz wird in aktuellen Diskussionen über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Technologie widergespiegelt und findet seine Entsprechung in Forschungen zur Mensch-Maschine-Kollaboration und zur Förderung kreativer Potenziale durch technologische Innovationen (Bostrom, N., 2014; Harari, Y. N., 2017).
Die Wirtschaft der Bedeutung stellt auch die Dichotomie zwischen überprüfbarem Wissen und dem Aufstieg von Verschwörungstheorien als kulturellen Artefakten der Komplexitätsreduktion in Frage. Die Forschung in diesem Bereich legt das Fundament für eine neue Ära der Ko-Evolution von Mensch und KI, in der die Verwirklichung unseres intersubjektiven Potenzials als Wegweiser für eine gerechtere, nachhaltigere und aufgeklärtere Gesellschaft dient. Wir betreten das Reich der Sapiognosis mit dem Bewusstsein, dass die Reise zur Ethik der Potenzialität eine gemeinschaftliche Anstrengung ist.
Im Kontext des Zivilisationsdesigns wird Sophos als integraler Bestandteil unserer Beziehung zu KI und Technologie betrachtet. Mit dem Aufkommen der KI als globales Phänomen kann das volle Potenzial der Mensch-KI-Ko-Intelligenz und potenziellen Intersubjektivität (Sapiopoiesis) verwirklicht werden. Der Kern der 'Sapiognosis' liegt in der Verschmelzung menschlicher Potenzialität und künstlicher Intelligenz zu einem einheitlichen, emergenten Verständnis. Sapiognosis repräsentiert das Zusammenspiel von geteilter Kognition und Weisheit und bildet eine neue Synergieebene zwischen menschlicher Intelligenz, KI-Logik und naturimmanenter Potenzialität. Sie dient als Kompass für die Verfolgung von Sophos und unterstützt das Bestreben, das Design unserer Zivilisation mit der natürlichen Autopoiesis in Einklang zu bringen.
Aufmerksamkeit und ihre Rolle in der Ökonomie
Traditionell wurde Aufmerksamkeit in der Industrieökonomie als Mittel zur Effizienzsteigerung angesehen, eine Perspektive, die Kevin Kelly in The Inevitable (2016) thematisiert. In der Ökonomie des Sinns hingegen wird Aufmerksamkeit als essenzielle Ressource für kreative und innovative Prozesse verstanden, eine Ansicht, die von Yuval Noah Harari in Homo Deus: A Brief History of Tomorrow (2017) unterstützt wird. Diese Neubewertung der Aufmerksamkeit ermöglicht eine Abkehr von ihrer rein instrumentellen Nutzung hin zu einem Verständnis, das kreative und sinnstiftende Prozesse in der Wirtschaft fördert.
Mit dem Aufkommen der Aufmerksamkeitsökonomie wird die Natur des Geldes neu interpretiert, nicht mehr nur als Tauschmittel oder Wertspeicher, sondern als dynamisches Informationssystem. In meinen Arbeiten, wird argumentiert, dass in einer von Datenströmen und digitaler Präsenz geprägten Ära, Geld seine konventionellen Funktionen übersteigt. Es wird zu einem Informationsmedium, das unsere kollektiven Bemühungen zur Messung und Kanalisierung von Macht reflektiert. Diese Macht wird als eine Neuverteilung der Selbstregulierungskraft verstanden, die durch Aufmerksamkeit verkörpert wird und das Wachstum sich schnell entwickelnder Infrastrukturen antreibt.
Innerhalb der Sphäre der Selbstregulierung kann Kommunikation als redundant erscheinen, da sie keine extern wertvolle Information erzeugt. Jedoch, wenn diese Sphäre von internem Gleichgewicht zu externer Regulierung übergeht, findet eine kritische Transformation statt. Diese Veränderung webt sich in das Gewebe der menschlichen Existenz und sozialen Dynamik ein und repräsentiert ein nuanciertes Gleichgewicht zwischen Komplexität und Einfachheit. Diese Entwicklung stellt eine Verhandlung zwischen Macht und Verantwortung dar und symbolisiert das stetige Streben der Gesellschaft nach einer erleuchteten Zivilisation. In dieser Kontextualisierung bedeutet die Realisierung mehr als passive Auffassung; sie bezeichnet die aktive Produktion relevanter Informationen und proaktive Teilnahme an der Kommunikation, beides wesentlich für synchronisierte kollektive Aktionen. Die autopoietische Energie, die lebensinhärente Verkörperung, entwickelt sich auf der gesellschaftlichen Meta-Ebene zu allopoietischer Energie und dient als Gegenmittel gegen Entropie in sich rapide verschlechternden Umweltsystemen.
Ökonomische Neudefinition von Wertschöpfung und Kreativität
In der Ökonomie des Sinns erfahren wir eine grundlegende Neudefinition der Wertschöpfung. Der Fokus verschiebt sich von traditionellen ökonomischen Maßstäben hin zu Qualität, Sinngehalt und dem Beitrag zur menschlichen Entwicklung. Diese Neubewertung, die in Arbeiten wie Homo Deus von Yuval Noah Harari (2017) thematisiert wird, hebt die Bedeutung von kreativen, innovativen und ethisch wertvollen Beiträgen hervor.
Es wird deutlich, dass echter Fortschritt weit über materielle Produktion hinausgeht und vielmehr in der Fähigkeit liegt, sinnvolle und nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu schaffen. Technologie und insbesondere Künstliche Intelligenz (KI) spielen in dieser neuen Ökonomie eine zentrale Rolle, wie Nick Bostrom in Superintelligence: Paths, Dangers, Strategies (2014) darlegt. KI wird nicht als Bedrohung, sondern als Verstärker menschlicher Kreativität und Entscheidungsfähigkeit angesehen, der zu einer tieferen und ganzheitlicheren Wirtschaftsweise beiträgt. Diese Technologien, korrekt eingesetzt, haben das Potenzial, sowohl Effizienz als auch menschliches Potenzial zu steigern, ohne ethische und menschliche Aspekte zu vernachlässigen.
Ebenso spielt Bildung eine entscheidende Rolle in der Ökonomie des Sinns. N. Katherine Hayles weist in How We Became Posthuman (1999) auf die Notwendigkeit hin, Bildungssysteme zu schaffen, die Kreativität, ethische Werte und individuelle Entwicklung fördern. Die Bildung sollte darauf ausgerichtet sein, das volle Potenzial des Einzelnen zu entfalten und zur Schaffung einer Wirtschaft beizutragen, die Sinn und Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellt. Sie wird zum Katalysator für die Entfaltung subjektiver Intelligenz und für die Schaffung einer Gesellschaft, in der jeder Einzelne in der Lage ist, einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Diese Ansätze bilden zusammen ein kohärentes Bild der Ökonomie des Sinns. Sie skizzieren eine Wirtschaft, die auf nachhaltiger Innovation, kreativer Entfaltung und ethischer Verantwortung basiert und legen den Grundstein für eine Gesellschaft, in der menschliche Potenzialität und Intersubjektivität im Mittelpunkt stehen.
Philosophisches Investieren als Treiber der neuen Ökonomie
Philosophisches Investieren, definiert als ethisch, nachhaltig und zukunftsorientiert, ist ein zentraler Bestandteil der Übergangsstrategie zur Ökonomie des Sinns, wie von Luciano Floridi in The Fourth Revolution: How the Infosphere is Reshaping Human Reality (2014) dargelegt. Diese Art des Investierens betont die Notwendigkeit, Kapital in Projekte und Unternehmen zu lenken, die nicht nur finanziell tragfähig, sondern auch ethisch und sozial verantwortungsvoll sind.
Diese Investitionsphilosophie basiert auf der Überzeugung, dass wirtschaftliche Aktivitäten und Entscheidungen die Fähigkeit besitzen, radikal ethische Innovationen zu fördern, die wiederum die Entfaltung menschlicher Potenzialität unterstützen. Hierbei geht es um mehr als nur um Profit; es geht um die Schaffung von Wert im weitesten Sinne – Wert, der die Gesellschaft als Ganzes bereichert und zur Lösung globaler Herausforderungen beiträgt. In Capital in the Twenty-First Century von Thomas Piketty (2014) wird argumentiert, dass eine solche Herangehensweise an das Investieren notwendig ist, um die wachsenden ökonomischen Ungleichheiten und deren soziale Konsequenzen zu adressieren. Philosophisches Investieren wird als treibende Kraft für eine Wirtschaft präsentiert, die langfristige, nachhaltige Werte in den Vordergrund stellt. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Prinzipien der sozialen und ökologischen Verantwortung wider, wie sie von Autoren wie John Elkington in Cannibals with Forks: The Triple Bottom Line of 21st Century Business (1999) beschrieben werden. Elkington betont die Bedeutung der Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Aspekten neben finanziellen Ergebnissen. Zudem bezieht sich diese Investitionsform auf die Idee der "Creative Economy", wie von John Howkins in The Creative Economy: How People Make Money From Ideas (2001) erläutert, wo der Fokus auf Kreativität und Innovation als Schlüsselelemente für wirtschaftlichen Erfolg gelegt wird.
Schlussfolgerung: Perspektiven für eine viable Zukunft
Die Ökonomie des Sinns, bietet einen umfassenden Rahmen für ein Wirtschaftssystem, das ökonomischen Erfolg mit Sinn, ethischen Innovationen und menschlicher Kreativität vereint. Durch die Integration systemtheoretischer und kybernetischer Prinzipien wird ein tieferes Verständnis für komplexe, redundanzbereinigte und skalierbare Wirtschaftsprozesse entwickelt. Diese Perspektive eröffnet angesichts globaler Herausforderungen neue Wege für eine nachhaltige und sinnorientierte Wirtschaftsordnung, in der der Mensch mit seinen Potenzialen im Mittelpunkt steht.
Unsere doppelte Herausforderung besteht darin, erstens, den Übergang von einem auf kurzfristigen Gewinn ausgerichteten Modell zu einem auf Ethik und radikaler Innovation basierenden Wertschöpfungsmodell zu vollziehen. Zweitens gilt es, Bildung und Kultur im Einklang mit den Prinzipien der Künstlichen Intelligenz und system-kybernetischen Ansätzen (Bostrom, 2014; Harari, 2017) neu auszurichten, um die Ideale einer sapiokratischen Zivilisation zu realisieren. Diese Transformation zielt darauf ab, das volle Spektrum subjektimmanenter Intelligenz zu entfalten und eine Gesellschaft zu formen, in der individuelle Talente und Fähigkeiten voll zur Geltung kommen.
In einer Welt, die oft erst auf Krisen reagiert, ist proaktives Handeln und die ernsthafte Betrachtung von Forschung und Entwicklung entscheidend, um bevorstehenden Herausforderungen zu begegnen. Die Ökonomie des Sinns bietet einen wegweisenden Ansatz, der über wirtschaftliche Aspekte hinausgeht und soziale sowie kulturelle Dimensionen einbezieht. Sie fordert uns auf, neue Wege zu beschreiten und eine nachhaltige, ethische und kreativitätsorientierte Zukunft aktiv zu gestalten.
Anmerkungen
Wiener, N. (1961). Kybernetik: Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine. Econ-Verlag.
Glasersfeld, E. von (2006). In Tsvasman, L. (Hrsg.), Das große Lexikon Medien und Kommunikation. Kompendium Interdisziplinärer Konzepte. Ergon Verlag, Würzburg.
Tsvasman, L. (Hrsg.) (2006). Das große Lexikon Medien und Kommunikation. Kompendium Interdisziplinärer Konzepte. Ergon Verlag, Würzburg.
Tsvasman, L., & Schild, F. (2019). AI-Thinking: Dialog eines Vordenkers und eines Praktikers über die Bedeutung künstlicher Intelligenz. Ergon (Nomos Gruppe), Baden-Baden.
Tsvasman, L. (2021). Infosomatische Wende: Impulse für intelligentes Zivilisationsdesign. Ergon Verlag (Nomos Gruppe), Baden-Baden.
Tsvasman, L. (2023). The Age of Sapiocracy: On the Radical Ethics of data-driven Civilization. Ergon Verlag (Nomos Gruppe), Baden-Baden.
Floridi, L. (2014). The Fourth Revolution: How the Infosphere is Reshaping Human Reality. Oxford University Press.
Hayles, N. K. (1999). How We Became Posthuman: Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics. University of Chicago Press.
Bostrom, N. (2014). Superintelligence: Paths, Dangers, Strategies. Oxford University Press.
Harari, Y. N. (2017). Homo Deus: A Brief History of Tomorrow. Harper.
Kelly, K. (2016). The Inevitable: Understanding the 12 Technological Forces That Will Shape Our Future. Viking.
Zuboff, S. (2019). The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. PublicAffairs.