Die Bekanntheit Marcia Hafifs (1929–2018) basiert hauptsächlich auf ihrer monochromen Malerei, oftmals wurde sie mit Minimalismus und prozesshafter Kunst und der Gruppe Radical Painting in Verbindung gebracht. Nach Abschluss des Pomona Colleges 1951 reiste sie nach Italien, ließ sich in Rom nieder und lebte dort für fast zehn Jahre, in denen sie eine in sich geschlossene Serie an Malereien schuf, den sogenannten Italian Paintings. 1969 kehrte sie in die USA zurück und schloss einen MFA an der UC Irvine in Kalifornien ab, zu dieser Zeit begann sie mit Photographie, Video, Film und Sound zu experimentieren. 1971 zog sie nach New York und begann sich wieder mit dem Malen zu beschäftigen. Zu einem Zeitpunkt an dem das Medium an seine Grenzen gestoßen zu sein schien, agierte sie als Vivisektorin der Malerei und unternahm in ihrem Essay “Beginning Again“ eine Dekonstruktion des Mediums.
Marcia Hafifs Verständnis des Gemäldes als taktiles, visuelles und retinales Objekt; die Berücksichtigung der Faktoren unter denen es entsteht; das Anerkennen als historisches Statement; und als eine Form des Denkens – das philosophische Erfahrungen übermittelt – heben den konzeptuellen Aspekt ihres Werks hervor. Der Maler „bringt seinen Körper mit ein“, sagte Paul Valéry und Maurice Merleau-Ponty schrieb von einer Art aktiven Sehens, das nicht lediglich auf einen Gedankenvorgang reduziert werden kann, sondern nur im Tun zu erfahren ist. Beide dieser Beschreibungen treffen auf Marcia Hafif als Künstlerin zu – wie sie selbst schrieb, hörte der Pinsel auf „einer Intention zu dienen“ und wurde stattdessen zur „Intention selbst“. Jeder Pinselstrich steht nicht mehr in einem repräsentativen Verhältnis, sondern stellt eine Notwendigkeit der Interaktion zwischen Malerin und einer Erfahrung dar.
Nur eine kleine Zahl an Ausstellungen hat bislang den Fokus von Hafifs Malerei auf ihr restliches Œuvre gelegt. Screenings ihrer Videos/Filme in der Tate Modern (2019) und im Lenbachhaus München (2018), sowie die Ausstellung A Place Apart des Pomona College Museum of Art (2018) heben Marcia Hafif als Denkerin, Autorin, und die persönlicheren und intimeren Aspekte ihrer Papierarbeiten hervor.
Seit ihrem Umzug 1972 nach New York spielten Zeichnung und das Schreiben eine wichtige Rolle für ihren Durchbruch als Künstlerin; z.B. die 1974 in der Sonnabend Gallery gezeigten Mass Tone Paintings, 1976 in der Eröffnungsausstellung Rooms des MoMA PS1 mit ihrer Arbeit Schoolroom – bestehend aus einem pornografischen Text, auf die im Raum vorhandenen Schultafeln geschrieben, und einer Wandmalerei. „Ich war immer eine Leserin, eine Malerin, eine Schreiberin.“ – so das Selbstverständnis ihrer Arbeit mit verschiedensten Medien und ihre Zurückweisung reduktionistischer Zuschreibungen.
Das genauere Betrachten des vielfältigen Werks lässt den Einfluss von Ort und Zeit auf Hafifs künstlerische Praxis hervortreten. Jedes Medium steht in einer Relation zu einer spezifischen Umgebung. Roman Paintings, TGGT Paintings, die Fotoserie Pomona Houses, Videos wie Vienna Suite, architektonische Arbeiten wie das Lusthus Wanås oder Entwürfe für ein Museum A Place Apart, etc. sind alle durch eine Indexikalität von Zeit und Ort geprägt. Diese Auseinandersetzung spiegelt sich auch in Hafifs ausgeprägter Konzeptualisierung des Unterschieds zwischen Wiederholung und Serie wieder. Vienna Suite, eine in Wien aufgenommene Fotoserie (1998 in der Galerie Hubert Winter ausgestellt) und das Video, das daraus entstand – mit Erik Saties Musique d’ameublement unterlegt – verdeutlichen Marcia Hafifs kritische Auseinandersetzung des Umgangs mit Bildern und Narrativen und dem was sie als cinematic way bezeichnet.
Im Zentrum Marcia Hafifs künstlerischer Praxis lässt sich dadurch eine Konstante ausmachen: „[Die] Isolation eines Elements aus einem Kontext und die Fokussierung darauf, mittels einer Technik, die eine luzide Wahrnehmung einer Erfahrung ermöglicht. Eine visuelle Erfahrung jedoch, die, mittels ihrer Intensität und Aufmerksamkeit gegenüber allen Gegebenheiten des Lebens, einen bildlichen Ausdruck des ‚Bewusstseins‘ erzeugt.“ Das impliziert eine phänomenologische Qualität in Hafifs Arbeiten, die sich in der Bedeutung des Zufälligen, dem Bewusstsein der eigenen Situiertheit, der Erfahrung des Alltäglichen und dessen Verbindung mit philosophischem Denken gründet. Elemente fernöstlicher Philosophien, Husserls Phänomenologie, poststrukturalistischer Diskurse wie der Dekonstruktion, ihre umfassende Kenntnis der Kunstgeschichte und ihr analytisches Auge legen das Fundament für ihre Auseinandersetz-ung und Analyse von Präsenz und Zeitlichkeit.
Das Werk von Marcia Hafifs – sich über eine Dauer von fünf Jahrzehnten erstreckend und eine Vielzahl von Medien verwendend – muss in seiner Gesamtheit betrachtet werden, um den zugrundeliegenden konzeptuellen Zugang Marcia Hafifs zu erkennen und damit dessen Rezeption, die immer noch hauptsächlich auf ihre monochrome Malerei bezogen ist, zu erweitern. Diese Ausstellung ist die erste posthume in der Galerie Hubert Winter in Kooperation mit dem Estate.