Weder Poet, noch Sprachphilosoph – obwohl er über eine gewisse Zeit hinweg beides studierte – Lawrence Weiner (*1942) nimmt durch seinen Umgang mit Sprache und seinem Verständnis derselben eine einzigartige Position innerhalb der Kunst des 20. Jahrhunderts und weit darüber hinaus ein. Bereits 1969 formulierte er im STATEMENT OF INTENT einerseits die Grundfesten der entstehenden Konzeptkunst, reißt aber das Konzept dem Künstler aus der Hand/aus dem Kopf und wirft es in „den Strome des Lebens“.Eine Arbeit tritt durch die Ausführung des „Empfänger[s] zum Zeitpunkt des Empfangs“ in ihre Existenz – d.h. sobald sie in eine öffentliche Sphäre eintritt und rezipiert wird.
Die von Lawrence Weiner verlangte Materialangabe zu seinen Skulpturen lautet: „LANGUAGE + MATERIALS REFERRED TO“. In dieser Phrase offenbart sich Weiners Verständnis von Sprache selbst als Material und Sprache als Material, das wiederum auf Materialien verweist, oder wie er selbst von seinen Arbeiten sagt: Es geht um die „Beziehungen von Menschen zu Objekten und von Objekten zu Objekten im Verhältnis zu Menschen“.
Materialität und Referentialität, die ihr dialektisches Spiel zum Zeitpunkt der Rezeption im Gebrauch entfalten – darin schwingen sprachtheoretische Konzepte mit, man denke an Gottlob Frege (Referentialität), Ludwig Wittgenstein (Bedeutung als Gebrauch in der Sprache). Die Verweigerung einer spezifischen Bindung an einen Kontext und das Insistieren auf eine materielle Realität geben den Arbeiten eine Allgemeinheit und Objektivität, die es ihnen ermöglichen in jeglichen kulturellen Kontexten präsentiert zu werden und zu diesen auch Beziehungen aufzubauen. Hier sei an die Auseinandersetzung Weiners mit dem Linguisten Chomsky und dem kognitiven Psychologen Piaget erinnert – universale Grammatik einerseits und die Bedeutung von Umwelteinflüssen für die Sprachentwicklung andererseits – welche Weiner früh beeinflussten; keineswegs sind seine Arbeiten jedoch Implementationen dieser Theorien.
Lawrence Weiners Arbeiten bewegen sich bereits ab ihrer Entstehung im Studio in einem steten Verhältnis der Übersetzbarkeit. Diese „Überzeugung von einer grundsätzlichen Übersetzbarkeit […] gründet in der ausdrücklichen Referentialität auf die Materialien“. Die Übersetzungen referieren nicht auf einen ursprünglichen Text als Autorität, sondern auf eine extralinguistische, empirische Realität. Diese ist aber nur scheinbar ein primärer Text, da sie selbst nur mittels Sprache als Unmittelbarkeit vermittelt werden kann. „Obwohl die linguistische Manifestation als solche autorisiert ist, wird darin kein Anspruch auf Gültigkeit als etwas Originales, Authentisches, Unmittelbares erhoben“, womit sich Weiner auf erfrischende und elegante Weise der Arbitrarität des postmodernen Denkens entzieht, ohne zugleich aber in die Nostalgie eines modernen Denkens zu verfallen.
Die Ausstellung in der Galerie Hubert Winter markiert das 35. Jahr der Zusammenarbeit mit Lawrence Weiner. In einem Beitrag für die Ausstellung „Radical Attitudes to the Gallery“ (1977) schließt Weiner mit folgendem Satz:
Das Konzept (Idee) Einer Bemühung (Arbeit) Ohne (Politisches) Engagement Ist Keine Vernünftige Annahme.
Dies könnte man als Impuls nehmen, die präsentierten Skulpturen in ihrer politischen Dimension zu lesen. JUST IN TIME eröffnet uns nicht nur das Intervall der Rechtzeitigkeit, sondern vermag auch unsere gegenwärtige, soziale und politische Umgebung zu erfassen. Vom drohenden Zünden des Funkens (SPARK TO FLAME) zum orientierungslosen Ausgesetztsein (CAST ADRIFT UPON THE SURFACE OF THE WATER) spannen sich Möglichkeiten inhaltlicher Ambiguitäten auf. Verlassen wir das sinkende Schiff, gehen wir wortwörtlich alle über Bord? Die nautische Sprache ist ein wiederkehrendes Element in den Arbeiten Weiners und da diese bekanntlich mit der rechtlichen Sprache verwoben ist, können wir uns fragen, ob man nicht doch eher mit „allen über Deck“ in den Hafen einläuft, sozusagen „mit offenen Karten spielt“ und fair handelt, wie es das englische Idiom ALL ABOVE BOARD nahelegt. Es geht um die „Beziehungen von Menschen zu Objekten und von Objekten zu Objekten im Verhältnis zu Menschen“ und deshalb stellt sich am Ende die Frage, ob JUST IN TIME nicht auch einen zukünftigen (in time), gerechten (just) Horizont an Möglichkeiten auftut.
„Und wenn ich die Arbeit an einem Punkt lassen könnte, so daß es Möglichkeiten gibt, wie jemand die Arbeit sehen kann, statt wie man sie sehen soll, wäre es gelungen, Kunst zu machen, die in meiner Zeit funktionieren kann.“ Quod erat demonstrandum.