Eine dem Werk des gefeierten Konzeptkünstlers Charles Gaines gewidmete Ausstellung eröffnet in St. Moritz. Es ist Gaines’ erste Einzelausstellung in Europa, die sich ganz auf die Zeichenpraxis der wichtigen Serie Numbers and Trees konzentriert. In der Ausstellung sind zwei im Laufe der letzten sieben Jahre entstandene Werkzyklen zu sehen. Im Erdgeschoss werden die minutiös ausgeführten Tuschezeichnungen aus der berühmten Central Park Serie präsentiert, die als Vorläufer (oder ‘Vorlagen’) für Gaines’ bekannte, grössere PlexiglasArbeiten betrachtet werden können. Er verwendet ein auf selbstgesetzten Regeln basierendes Zahlensystem und malt weich begrenzte, durchgehend nummerierte Farbfelder in einem von Hand gezeichneten Raster. In jeder Zeichnung wird jeweils einer der Bäume isoliert hervorgehoben, aus denen die vollständige Serie besteht. Im Obergeschoss sind 24 neue, leuchtend farbige Aquarelle verschiedener Bäume zu sehen. Diese Einzelausstellung gestattet einen einzigartigen, tieferen Zugang zu Gaines’ künstlerischer Praxis und einen intimen Einblick in seine Denksysteme und Arbeitsweisen.
Gaines ist eine zentrale Figur in der Konzeptkunst und verwendet seit langem einen sehr spezifischen Schaffensprozess, mit dem er Werkserien in verschiedenen Medien erstellt. Gaines’ unverwechselbare Herangehensweise erzeugt Abstand zwischen einem spezifischen Symbol und dem auf seine Abbildung angewendeten System. Er ist ein entscheidendes Verbindungsglied zwischen den amerikanischen Konzeptualisten der ersten Generation wie Sol LeWitt und den später folgenden Künstlergenerationen, zu denen vor allem seine Schüler und Schülerinnen Edgar Arcenaux, Andrea Bowers, Mark Bradford und Sam Durant zählen, die heute neben anderen die Grenzen der Konzeptkunst neu definieren.
Gaines beschäftigt sich schon seit langem mit der Sichtbarmachung der Paradoxe in der menschlichen visuellen Wahrnehmung und formuliert sein Projekt so: ‘Mein System verändert sich nie, aber das Ergebnis ist jedes Mal ein anderes.’ Seit Mitte der Siebzigerjahre, als Charles Gaines mit der Serie Walnut Tree Orchard (1975 – 2014) begann, die verschiedenen Gestalten von Bäumen durch ein System nummerierter Raster zu verzeichnen, taucht das Bild des Baumes immer wieder in seinem Oeuvre auf. Seine methodischen Untersuchungen setzen sich in der Numbers and Trees-Serie fort, die 1987 ihren Anfang nahm. In seinen grossformatigen PlexiglasWerken malt Gaines selektive Schichten auf Acrylglasplatten über Schwarzweissfotografien der umgebenden Baumlandschaften. Bei diesem Prozess wird jedem Baum eine bestimmte Farbe und ein nummeriertes Raster zugewiesen, der auf den vom Baum in der ursprünglichen Fotografie eingenommenen Raum verweist. Alle Werke in der Ausstellung in St. Moritz sind auf einzelnen Papierbögen ausgeführt und demonstrieren die Essenz des nummerischen Systems, dem Zentrum seiner künstlerischen Praxis.
Auf einer einzelnen Ebene werden nie mehrere Bäume zusammengebracht; jeder Bogen zeigt einen einzelnen Baum, der kleinteilig aus winzigen, gemalten Zellen aufgebaut ist – ein künstlerischer Kodex an sich. Als eigenständiges Werk betrachtet sind in jeder Zeichnung die Vielzahl der Ebenen angelegt, aus denen die grösseren Werke seines Oeuvres bestehen.