Wir leben in einer Welt des Umbruchs. In dem dramatisch beschleunigten Prozess von Digitalisierung und Globalisierung lösen sich bekannte Strukturen auf. Polaritäten zersplittern in komplexe Diversitäten, hierarchische Ordnungen zerfallen und verschmelzen zu einem gleichberechtigten, vernetzten Nebeneinander.
Wie können wir diese neue Welt verstehen, die mit unseren alten Denkkonzepten nicht mehr zu fassen ist? Um welche Fragestellungen geht es jetzt, und welche Denkmodelle können uns helfen, Antworten zu finden? Entdecken wir sie vielleicht in der Kunst? Schließlich haben Künstlerinnen und Künstler schon immer wie Seismografen auf die Herausforderungen radikaler Umbruchszeiten reagiert und alternative Visionen entwickelt.
Eine der drängendsten Fragen der Gegenwart ist die Debatte um Diversität, Gleichheit und Gerechtigkeit. Sie beschäftigt Soziologen und Politiker ebenso wie Philosophen und Ökonomen – und natürlich auch die Künstler. Wobei in der Kunst das Denken in Polaritäten vielfach bereits überwunden und ein gleichberechtigtes Nebeneinander oft selbstverständlich ist.
Strukturen der Zukunft brauchen Offenheit und Flexibilität. Diesen Prinzipien entsprechen auch die Ausstellungen bei PRISKA PASQUER, die sich meist über einen längeren Zeitraum mit einem Thema beschäftigen. Verstanden als Prozess und nicht als Setzung, stellen sie keine Behauptungen auf, sondern stellen Fragen. Die gezeigten Kunstwerke eröffnen Denk- und Diskussionsräume. Gerade in der wiederholten Auseinandersetzung entwickelt sich dabei oft Neues.
In der neuen Ausstellungsreihe „ON EQUAL TERMS“ versammelt PRISKA PASQUER künstlerische Arbeiten und Projekte, die sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen. Dies verdeutlicht die Ausstellungsreihe bereits auf formaler Ebene durch die bewusste Zusammenschau von Werken verschiedenster Medien wie Malerei, Skulptur, Zeichnung, Performance, Fotografie oder digitaler Kunst.
„ON EQUAL TERMS“ präsentiert Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die das gleichberechtigte Nebeneinander und neue Gemeinschaftsgefühl in unserer global vernetzten Welt experimentell erkunden. Dabei gehen sie ungewöhnliche Wege wie der Querdenker Alexander von Humboldt, der mit seinen weltweiten Forschungsreisen und Kontakten bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in einer globalisierten Welt gelebt und ganzheitlich gedacht hat.
Die Ausstellung knüpft an die dreiteilige Reihe „RESET“ (2015-2017) an, in der es um die künstlerische Reflexion der weitreichenden Entwicklungen des digitalen Zeitalters ging. Unter dem Motto „Art in a Changing World“ zeigte PRISKA PASQUER aktuelle Gegenwartskunst in der Auseinandersetzung mit der Moderne, dem Bauhaus, dem italienischen Futurismus sowie virtuellen Räumen vor dem Hintergrund des digitalen Zeitalters.
Die Ausstellungsreihe „ON EQUAL TERMS“ geht nun einen Schritt weiter und untersucht, wie Künstler heute vorurteilsfrei in neuen Zusammenhängen denken, wie sie mit vernetzten Kommunikationsmodellen umgehen und Gleichberechtigung mit Diversität in Einklang bringen. Künstler können die richtigen Fragen stellen und uns mit Dingen konfrontieren, die wir vielleicht noch gar nicht verstehen, aber vielleicht irgendwann verstehen werden.
Giulia Bowinkel (geb. 1983 in Düsseldorf) und Friedemann Banz (geb. 1980 in Mainz), leben und arbeiten in Berlin.
Friedemann Banz und Giulia Bowinkel erkunden den Grenzbereich zwischen realem und virtuellem Raum. Ihr Werk basiert auf der Vorstellung, dass die virtuelle Welt nicht das Reich der simulierten Realität ist, sondern ihr Gegenstück, in dem der Computer als unbewusste Kraft die Bedeutung unserer Gesellschaft einer neuen Ordnung unterwirft. Für Banz & Bowinkel leben wir bereits in einer semivirtuellen Umgebung, in der fast alles von Computern vorberechnet und ausgeführt wird. Das Künstlerduo benutzt den Computer konsequent als Werkzeug und als interaktive Schnittstelle, an der Kunstwerke entstehen und rezipiert werden können.
Knüpften Banz & Bowinkel mit ihren Bodypaintings (2016-2019) an die Tradition der gestischen Abstraktion und des Action Painting an, rekurrieren ihre Primitives (2018) auf die Skulptur der Minimal Art. Die Serie besteht aus verschiedenen geometrischen Körpern wie Kubus, Pyramide, Zylinder, Kegel oder Torus. Sie haben makellose glänzende Oberflächen und eine tiefe, manchmal geradezu fluoreszierende Farbigkeit: Dunkelrot, Lila, Tiefblau, Bienenwachsgelb. Präsentiert werden die Objekte in perfekter Ausleuchtung auf neutralem weißem Grund.
Die Künstler der Minimal Art bedienten sich industrieller Materalien und Fertigungsweisen. Heute gehen Banz & Bowinkel einen Schritt weiter und überlassen die komplette Herstellung sowie auch die Präsentation ihrer Skulpturen dem Computer. Das Ergebnis sind Bilder plastischer Körper von ebenso eindringlicher wie nicht fassbarer Präsenz. Denn aus welchem Material bestehen sie? Wie groß sind sie? Wie schwer sind sie? „What you see is what you see.“ Mit diesem Satz brachte Frank Stella 1958 sein minimalistisches Konzept von Kunst auf den Punkt. In Anbetracht der Kunst des digitalen Zeitalters bekommt dieses Statement eine ganz neue, radikale Bedeutung.
Jane Benson, Geb. 1972 in Thornbury, England, lebt und arbeitet in London und New York.
Die Werke von Jane Benson erkunden die sozialen Auswirkungen geokultureller Spaltungen und Trennungen. Sie handeln von Zerstörung und Verlust, entdecken in der Beschädigung aber auch verborgenes (ästhetisches) Potenzial und Möglichkeiten der Heilung. Dieses Prinzip betrifft physische Materialien ebenso wie ästhetische Identitäten oder – ganz aktuell – das Erleben von Entwurzelung und Exil. Jane Benson arbeitet in verschiedenen Medien wie Installation, Skulptur, Zeichnung, Video, Musik und Literatur, die sie oftmals in sehr eigenwilliger Form miteinander verschränkt.
Ausgangspunkt ihres multimedialen Projekts Play Land (2015) ist die Lebensgeschichte zweier irakischer Brüder, die Anfang der 2000er-Jahre aus Bagdad geflohen sind und heute in Deutschland beziehungsweise Bahrain leben. Teil dieses Projekts ist die Werkgruppe Family Portrait. Benson hat verschiedene Nationalflaggen in feine Streifen zerschnitten und anschließend neu gewebt. Die gewebten Kompositionen verdecken und enthüllen Embleme aus allen Ländern, in denen die unmittelbare Familie der beiden Brüder jetzt lebt: Irak, Bahrain, Deutschland, Norwegen, Vereinigte Arabische Emirate, USA, Türkei und China.
Pauline Fabry, Geb. 1986 in Berlin, lebt und arbeitet in Karlsruhe.
Ein wichtiges Thema – nicht nur in der Kunst – sind unsere Wahrnehmung und die Möglichkeiten, diese zu verändern oder zu erweitern. Diesen erweiterten Wahrnehmungszuständen gilt das künstlerische Interesse von Pauline Fabry. Die Medienkünstlerin hat eine abgeschlossene Hypnoseausbildung und forscht seit Jahren mit erkenntnisgenerierender Hypnose. Sie hat eine eigene Technik entwickelt, die „HypnoHenKaiPan“, und kooperiert mit Wissenschaftlern, Philosophen, Künstlern, Instituten, Museen und Hochschulen.
In ihrer Arbeit Transcend (2016-2019) kombiniert Pauline Fabry Lichtinstallation, Soundkomposition und Mitschnitte von „HypnoHenKaiPan“-Sessions. Grundlage bildet die kontemplative Trance durch ihre „HypnoHenKaiPan“-Methode als Portal für erweiterte Bewusstseinszustände. Über Kopfhörer kann man Erfahrungen aus diesen Zuständen hören, während man zugleich Gongklänge vernimmt, und die hypnotisch pulsierende Lichtinstallation zu schwingen scheint. Die Installation ist als „expandierende Sphäre“ konzipiert, das heißt, sie wird beständig um weitere Trancemitschnitte erweitert.
Yutao Gao, Geb. 1988 in China, lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Yutao Gao studierte in der Klasse von Katharina Fritsch an der Kunstakademie Düsseldorf. Viele seiner Werkserien entstehen auf der Basis gescannter Bilder und Objekte: „Im Vergleich zu den aggressiven Aufnahmefunktionen der Fotografie stellte ich fest, dass das Scannen eine natürlich sanfte Eigenschaft hat. So fing ich an, einen Scanner zu benutzen, um meine Arbeit zu komponieren.“
In der buddhistischen Kosmologie gilt der heilige Berg Meru als Zentrum aller physischen und spirituellen Universen. Dazu gibt es die Metapher „Die Gipfel des Meru in einem Senfkorn“. Sie bedeutet, dass Stärke auch im Kleinsten enthalten ist, dass das Größte und das Kleinste die gleiche Daseinsberechtigung haben und beide in unserer Vorstellung denselben Raum einnehmen können. In seiner Werkserie New Landscape – Cave (2019) widmet sich Yutao Gao diesem Verhältnis von Makro- und Mikrokosmos. Materielle Basis seiner Fotoarbeiten sind kleine Splitter und Körner verschiedener Erze. Der Künstler hat sie gescannt, und am Computer wurden daraufhin winzige Details sichtbar, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Monumental vergrößert offenbaren diese Bilder eine übersehene Welt von überraschender und umfassender Schönheit.
Gegensätze vereint Yutao Gao auch in der monumentalen Fotoarbeit Zao Wou-Ki’s Cave. Die auf dunklem Grund glitzernden kristallinen Strukturen lassen ebenso die geheimnisvolle Tiefe einer Höhle erahnen wie die unendliche Weite des Weltalls. Yutao Gao schuf dieses Werk als Hommage an den chinesischen Maler Zao Wou-Ki (1921-2013). Dabei bezieht er sich speziell auf dessen großformatiges Gemälde Homage to Claude Monet (1991).
Fabian Herkenhoener, Geb. 1984 in Troisdorf, lebt und arbeitet in Amsterdam.
Fabian Herkenhoener malt Text-Bilder. Auf seinen Leinwänden stehen manchmal ganze Gedichte, manchmal auch nur einzelne Worte. Als kompakte Blöcke oder kleine Gruppen strukturieren die Buchstaben die Fläche. Nicht immer behalten sie im Bild das letzte Wort. Manche Buchstaben werden vom Künstler auch wieder übermalt. Genauer gesagt: übersprüht, denn Herkenhoener malt seine Werke mit der Sprühdose. Diese Technik entspricht seiner schnellen, unmittelbaren und direkten Arbeitsweise, die den raschen Duktus des Zeichenstifts auf die Bearbeitung großer Formate im Raum überträgt.
In diesem spontanen Prozess entsteht eine zufällige Sprache, die jede rationale oder semantische Hierarchie ablehnt, jedoch den Weg zu neuen Bedeutungshorizonten öffnet. Fabian Herkenhoener spricht in diesem Zusammenhang von „verarbeitendem Text“. Er gesteht den Worten und Sätzen auf seinen Bildern eine Eigenständigkeit zu, die über die wortwörtliche Bedeutung hinausreicht. In seinen Gemälden untersucht er, wie der geeignete visuelle Kontext geschaffen werden kann, damit diese unlogischen Worte in ihrem emotionalen und spirituellen Potenzial voll erfahren werden können.
„Ich möchte meine Schriften im Verborgenen halten, hinter den Gemälden, ich biete nur ein sich entwickelndes, fragmentiertes und kryptisches visuelles Narrativ an. Ich habe mich immer mehr für das Gebrochene interessiert, das Rohe, das Unvollendete und das Mythische und Rätselhafte,“ kommentiert Fabian Herkenhoener seine Text-Bilder.
Julia König, Geb. 1983 in Berlin, lebt und arbeitet in Köln.
Die Social Media lösen gigantische Massenbewegungen aus: 157 Millionen „folgen“ auf Instagram der Musikerin und Schauspielerin Selena Gomez. Fußballer Mesut Özil bringt es bei Facebook auf über 31 Millionen „Follower“. Diese Massen sind eigentlich unvorstellbar und doch allgegenwärtig. Julia König untersucht das Phänomen der Masse im digitalen Zeitalter: Was bedeutet Masse heute? Wo bildet sich eine Masse heraus? Wie kann man sie wahrnehmen und wie organisiert eine Masse den Raum?
Diesen Fragen widmete die Künstlerin ihr Diplomprojekt Walter Palmer Shot A Lion (2018, Diplom mit Auszeichnung an der Kunsthochschule für Medien, Köln). Mit 50 Performern spürte sie den subtilen Gesten von Zugehörigkeit und Abspaltung in großen Gruppen nach. Ihr Folgeprojekt Walter Palmer Shot A Lion: The Sequel konzentriert sich auf das Individuum innerhalb der Masse.
Karen Lofgren, Geb. 1976 in Toronto, lebt und arbeitet in Los Angeles.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit war der empirische Kanon der westlichen Welt so erfolgreich wie im digitalen Zeitalter. Wir erleben eine regelrechte Wissensexplosion ungekannter Größenordnung. Karen Lofgren steht dieser Erfolgsgeschichte kritisch gegenüber. Sie betrachtet die Wissenschaftsgeschichte von einem feministischen, dekolonialen und „hypersubjektiven“ Standpunkt aus und möchte Wissensbereiche (rück-) erschließen, die von der traditionellen Forschung ausgeschlossen oder nicht beachtet werden.
Die plastischen Arbeiten What is to Cure (2018) entstanden nach einem mehrmonatigen Aufenthalt im Amazonas-Regenwald und intensiven Studien zu indigenem Medizinwissen und seiner Unterdrückung durch die kolonialen Mächte. So bezieht sich die Werkgruppe Pulling Through (a softer index) auf ein Heilungsritual, bei dem der Kranke durch ein Objekt gezogen wird, um so eine magische Barriere um seinen Körper zu erschaffen. Zugleich verweisen die in Aluminium gegossenen Strukturen auf eine weitere Heilmethode, bei der die Krankheit auf speziell zugeschnittene und präparierte Äste übertragen wird.
Für Karen Lofgren ist das skulpturale Arbeiten zugleich politisch, sozial und persönlich. Im Schaffensprozess verbinden sich für sie die Wahrnehmung des Körpers mit Dingen, „die wir gekannt, gefühlt, gelebt und unausgesprochen gelassen haben.“ Ihre Serie Curse and the Cure (Imperial Ghost)besteht aus riesigen Blättern der Amazonas-Riesenseerose (Victoria Amazonica). Die Künstlerin hat sie in Originalgröße in Epoxidharz gegossen und dabei Materialien wie Aluminiumpulver, Wolle, Schlamm, Blut und Marmorstaub eingearbeitet. In der traditionellen Medizinpraxis werden dieser Pflanze besondere Heilkräfte zugesprochen.
Hanno Otten, Geb. 1954 in Köln, lebt und arbeitet in Köln.
In seiner Kunst stellt Hanno Otten grundsätzliche Fragen. Wie wir wahrnehmen und denken, wie wir Bilder sehen und wie Bilder funktionieren. Die Antworten sucht er nicht über die intellektuelle Analyse, sondern findet sie im künstlerischen Tun. In seiner intensiven, jahrelangen Auseinandersetzung mit einem Thema entstehen größere Werkgruppen wie die Colourblocks, die Schlachtenbilder oder Über Malerei.
Weil er die Wirkmechanismen der Bilder immer wieder hinterfragt und erkundet, hat Hanno Otten einen Blick für Übersehenes. So fand er unlängst in seinem Archiv eine Reihe von Linolschnitten, die Anfang der 60er-Jahre von Kindern angefertigt worden waren. Auf Basis dieser Arbeiten entstand die Werkserie Ohne Sorge (2019). „Sorglos“ und unvoreingenommen hat Hanno Otten die Fundstücke in neue Bilder integriert. Auf den schmalen Leinwänden kombiniert er Bild und Text, Druck und Malerei, Abstraktion und Figuration, Schwarz-Weiß und Farbe. In seinen Kompositionen entfalten die neu gesehenen Linolschnitte ihr überraschendes ästhetisches Potenzial.