EVBG und Efremidis Gallery freuen sich, eine Einzelausstellung der in Brüssel lebenden Künstlerin Laurie Charles (*1987, Belgien) zu präsentieren. Mit Film, Text, Malerei und Installation arbeitend entwirft Charles spekulative Narrative, indem sie fiktive, folkloristische, geistes- und naturwissenschaftliche Geschichten miteinander verknüpft. Für „Moon in Scorpio“, eine textile Landschaft aus handbemalten Kissen und Vorhängen, hat sich Charles mit der historischen Verbindung von Gesundheit und Gender, also sozial determinierter geschlechtlicher Identität, befasst.
In der Fensterfront der Efremidis Gallery sehen wir eine Gruppe weicher Skulpturen, groß genug um als Sitzgelegenheit zu dienen, ihre softe Beschaffenheit lädt zur Berührung ein. Diese handgenähten und -bemalten Kissen erinnern an anatomische Zeichnungen von Pflanzen, deren mikroskopisch kleines Inneres um ein vielfaches vergrößert wurde. Gleichzeitig kommen einem unweigerlich die Formen und Strukturen weiblicher Geschlechtsorgane in den Sinn. Die Kissen besiedeln einen Zwischenraum – zwischen häuslicher Gemütlichkeit und skulpturalem Charakter, innen und außen, menschlich und nichtmenschlich – und erinnern uns letztlich an die unleugbare Verwandtschaft zwischen Menschen und Pflanzen.
Charles’ Vorhänge aus der Serie „Pharmakon“ erzählen eine spekulative Geschichte der Medizin aus dezidiert weiblicher Perspektive. Bilder und Symbole in Knallfarben sind in unbestimmter Anordnung auf den Stoffbahnen verteilt, anstatt eine chronologisch oder serielle Reihenfolge zu ergeben. Sie verweisen auf und verbinden persönliche, mythologische wie auch historische Erzählungen von weiblicher Gesundheit und Heilung: Der Zyklus des Mondes ist eng mit dem weiblichen Menstruationszyklus verbunden; die Schlange ist ein jahrhundertealtes Symbol für Fruchtbarkeit, schlängelt sie sich um eine Schüssel, wird sie zum international Zeichen für Pharmazie; das Bild von großen violetten Händen mit rot lackierten Nägeln, die ein Gelenk umrahmen, erinnert an die heilende Kraft des Handauflegens; Ingwer, Löffel, Waagen und Kräuter können als generelle Verweise auf Pflanzenheilkunde gelesen werden, beziehen sich aber auch ganz konkret auf die ausgiebige theoretische und literarische Recherche der Künstlerin zur Geschichte der Hexerei, Heilkunde, (weiblichen) Gesundheit und Krankheit.
Den Ausgangspunkt der Ausstellung bilden letztlich grundlegende Überlegungen zu Vorstellungen von „Gesundheit“ und „Krankheit“ und wie diese untrennbar mit Konzepten von Geschlecht, Glück und Wertigkeit zusammenhängen. Unsere Gesellschaft misst Produktivität Wert zu, ein gesunder Körper ist daher einer der arbeitet und funktioniert, und zwar in jeglichem Sinne des Wortes. Jede_r, der/die von dieser Norm abweicht, ist per Definition krank, muss reguliert, oder vielmehr repariert werden. In ihrem Text „Sick Woman Theory“, formuliert Johanna Hedva einen Appell, der diese Logik auf den Kopf stellt: „You don’t need to be fixed my queens – it’s the world that needs the fixing.“ („Es seid nicht ihr, meine Königinnen, mit denen etwas nicht stimmt – es ist die Welt, die in Ordnung gebracht werden muss.“) Statt in direktem Gegensatz zum Gesundsein könnte Kranksein neu gedacht werden als ein Zustand, in dem unser Körper und unsere Organe gegen ihre eigene Stille „rebellieren“, wie es der Anatom und Physiologe Marie François Xavier Bichat (1771-1802) bereits vor Jahrhunderten formuliert hat. Erst wenn unser Körper nicht mehr stillschweigend „arbeitet“ werden wir seines bewusst, spüren eine Verbindung, die uns, paradoxerweise, vielleicht sogar menschlicher fühlen lässt als vorher. Und erst dann können wir fragen: Was macht uns eigentlich krank?