Efremidis Gallery freut sich, „Seoul Sazin“ zu präsentieren, eine Einzelausstellung von Kyungwoo Chun (*1969 in Seoul, Korea). Chuns fotografische Arbeit zeichnet sich durch eine poetische Sensibilität aus. „Seoul Sazin“ zeigt verschiedene Fotoserien des Künstlers, die von seinem fortwährenden Interesse an der Sichtbarmachung des Unsichtbaren zeugen.
Das Wort „Photographie“ setzt sich aus den griechischen Wörtern photos (ϕοτοσ) und graphos (γραοσ) zusammen und bedeutet soviel wie „mit Licht zeichnen“. Während der Begriff der Photographie den technischen Prozess selbst bezeichnet, steht das koreanische Wort „Sazin“ (사진) für „Transfer“ oder „Kopie der Wahrheit“ und betont somit das Ergebnis, also das Foto selbst. Dieser etymologische Unterschied, so die Kunsthistorikerin Dr. Ayelet Zohar, zeigt, dass die koreanische Gesellschaft nicht einfach das westliche Konzept der Fotografie, zusammen mit ihrer technischen Anwendung, übernommen hat. Stattdessen wurde es als Reaktion auf etablierte kulturelle und politische Diskurse umgedeutet. Das Wort „Sazin“ stammt ursprünglich aus der Goryeo Dynastie des 13. Jahrhundert, wo es eine Form sehr detaillierter Porträtmalerei bezeichnete. „Sazin“ wurde allerdings nicht als die Reproduktion einer materiellen Realität verstanden, sondern vielmehr als Austausch zwischen zwei Seelen.
Die Subjekte von Chuns Fotografien sind oft bis zur Unkenntlichkeit verschwommen. Dieser Effekt resultiert aus Chuns Versuch, Bewegungen in einem einzigen Bild mit überlangen Belichtungszeiten festzuhalten. Im Gegensatz zur Porträtfotografie des 19. Jahrhunderts entscheidet sich Chun ganz bewusst für lange Belichtungszeiten. Damit wendet er sich absichtlich von dem, im westlichen Kontext, ursprünglichen Zweck der Fotografie ab, einen Moment möglichst genau zu dokumentieren und ein Simulakrum der Realität zu präsentieren. Die längeren Belichtungszeiten erlauben Chun außerdem, den gleichen physischen und emotionalen Raum wie seine Subjekte oder Performer*innen einzunehmen.
Oft gibt Chun den Teilnehmerinnen seiner Arbeiten einen Rahmen vor, innerhalb dessen sie agieren. „Face to Face“ zeigt aufstrebende koreanische Schauspielerinnen, die gebeten wurden mit geschlossenen Augen Selbstporträts zu zeichnen. Die Schauspieler*innen sind es gewöhnt, vor und für eine Kamera zu performen, sie sind es gewöhnt, dabei beobachtet zu werden. Chun forderte sie auf, sich uns, ihrem Publikum, zu zeigen ohne sich dabei hinter einer Rolle zu verstecken. Wie sehen sie sich selbst, wenn sie keinen Charakter darstellen? Das Zeichnen der Selbstporträts, und somit auch die Aufnahme des Fotos, dauerte zwischen sieben und zehn Minuten. Die Zeichnung und das Foto wurden anschließend überlagert, face to face, von Angesicht zu Angesicht. Eine Begegnung zwischen Porträt und Selbstporträt, sich selbst sehen und gesehen werden.
Während der Aufnahmezeit ermutigt Chun die Dargestellten zu sprechen und sich zu bewegen, so dass er „auch die Aura der gegebenen Situation“ einfangen kann, wie Stephan Berg es in „Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren“ formuliert. Flüchtige Momente schichten sich übereinander und zeigen schließlich Zeitlichkeit in einer kompensierten Form. „A Day in Seoul“ ist ein Tryptichon, das von Seouler Pendlern inspiriert wurde. Büroangestellte wurden in Chuns Studio eingeladen, wo sie in ihrer typischen Arbeitskleidung einen Tag lang jeweils morgens, nachmittags und abends vor der Kamera saßen. Der Kameraverschluss öffnete sich, als die erste Person eintraf, und schloss sich, sobald die letzte den Platz verließ. So füllen sie gemeinsam das Bild, erfassen die Stunden eines (Arbeits-)Tages, und bleiben dennoch getrennt.
In „Nine Editors“ bat Chun neun Mode-Redakteurinnen, ihr Lieblingskleidungsstück in sein Studio zu bringen, wo sie dann abwechselnd die Kleider aller anderen Teilnehmerinnen trugen. Fotografie verbindet sich hier mit Performance. Denn als prozessorientierter Künstler ist Kyungwoo Chun daran interessiert, wie seine Subjekte sich selbst wahrnehmen, aber auch, wie sie Zeitlichkeit und ihr Verhältnis zu anderen erleben.