Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg (*1982, London) beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Natur und Mensch und untersucht, wie sich dieses durch den Fortschritt von Design und Technologie verändert. Basierend auf ihren Forschungsarbeiten entwickelt sie suggestive Kunstwerke, die provokativ und ironisch zugleich wirken. Eine Auswahl davon zeigt die Gallery des Vitra Design Museums vom 20. Juli bis 24. November 2019 in einer Einzelausstellung und verfolgt den Weg der Künstlerin und kritischen Designerin. Die ausgebildete Architektin und Interaktionsdesignerin interessiert sich besonders für die »Synthetische Biologie«, eine aufkommende Technowissenschaft, die sich mit dem Design lebender Materie beschäftigt. In diesem Zusammenhang ist Ginsberg schon lange von der Prämisse fasziniert, die allem Design zugrunde liegt: dem Bedürfnis nach »Verbesserung«. Aber was genau bedeutet »besser«? Besser für wen? Und wer entscheidet, was besser ist? Diese Fragen sind besonders in Zeiten von radikalem technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt entscheidend und stellen die Grundlage für »Better Nature« dar.
»Als ich als Studentin 2008 das erste Mal von der Synthetischen Biologie hörte, war ich direkt fasziniert von der dahinterstehenden Ideologie. Durch Fortschritte in der Biotechnologie begannen Wissenschaftler und insbesondere auch Ingenieure, lebende Materie zu gestalten. Ich war neugierig: Wenn Ingenieure nun auch gestaltend tätig werden, wie wird dann Natur gestaltet, wie wird Design definiert und durch wen – und welche Aufgabe haben Designer in einer solchen Zukunft? Um dieser Frage nachzugehen, habe ich in den letzten zehn Jahren Labore besucht und mit Vertretern der Synthetischen Biologie zusammengearbeitet. Dabei habe ich tiefe Einblicke in die politische, kulturelle, wirtschaftliche und technologische Bedeutung dieses Forschungsfelds gewonnen,« so Ginsberg. Ihre Auseinandersetzungen mit möglichen zukünftigen Realitäten, die mithilfe von Synthetischer Biologie erzeugt werden könnten, laden Besucher ein, den technologischen Fortschritt aus neuen Perspektiven zu betrachten.
Die Ausstellung präsentiert sechs Arbeiten Ginsbergs, von denen vier zwischen 2009 und 2015 entstanden. Sämtliche Werke entwickelte sie in enger Zusammenarbeit mit Fachleuten, von Wissenschaftlern und Ingenieuren über Künstler und Historiker bis hin zu Sozialwissenschaftlern. »E. chromi« (2009) schlägt ein neues Diagnoseverfahren vor, bei dem uns in der Nahrung aufgenommene gentechnisch veränderte Bakterien vor möglichen Krankheiten warnen können. Bessere Medizin oder innere Überwachung? In »Growth Assembly« (2009), welches in Zusammenarbeit mit dem Künstler Sascha Pohflepp entstand, präsentiert die Künstlerin eine Zukunft, in der Pflanzen gentechnisch verändert werden, um Konsumgüter oder Werkzeuge herzustellen. Eine bessere, nachhaltigere Zukunft? In »The Synthetic Kingdom« (2009) erzeugen Bakterien biologisch abbaubares Plastik, Computerchips bestehen aus Nanobakterien und Glühbirnen leuchten mit Hilfe von biolumineszierenden Enzymen. Was jedoch, wenn diese »lebenden Maschinen« auch unerwünschte Ergebnisse liefern? »Designing for the Sixth Extinction« (2013–15) beschreibt eine neue Biodiversität, in der künstliche »Begleitspezies« in die Natur eingeführt werden, um gefährdete Tiere und Pflanzen zu unterstützen.
»Better Nature« präsentiert diese Arbeiten zusammen mit zwei neuen Projekten, die eine neue Phase in Ginsbergs künstlerischer Laufbahn markieren. »Resurrecting the Sublime« (2019), eine Zusammenarbeit mit Christina Agapakis vom Biotechnologieunternehmen Ginkgo Bioworks und der Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas, ermöglicht es den Besuchern, eine ausgestorbene Blume zu riechen, deren Duft mit Hilfe von DNA-Proben aus dem Pflanzenarchiv der Harvard University rekonstruiert wurde. »The Wilding of Mars« (2019), eine digitale Arbeit, die erstmals in der Vitra Design Museum Gallery gezeigt wird, schlägt eine Alternative zur Kolonisierung fremder Planeten vor: eine, die frei von menschlicher Ausbeutung ist.
»Die Möglichkeiten, gestaltend in natürliche und biologische Prozesse eingreifen zu können, werden zunehmend auch im Design diskutiert – wenn es etwa um nachhaltigere Materialien geht, die mithilfe der Biotechnologie erzeugt werden können. In diesem Zusammenhang finden wir es besonders wichtig, eine Künstlerin wie Alexandra Daisy Ginsberg vorzustellen, denn sie betrachtet dieses neue Feld des Designs aus einer kritischen Perspektive und ermutigt die Betrachter ihrer Werke, dies ebenfalls zu tun,« so Kuratorin Viviane Stappmanns.