Erstmalig nach seiner initialen Präsentation vor 15 Jahren ist Rémy Zauggs umfassendes, aus 18 blassgrauen Textbildern bestehendes Selbstportrait „I, myself.“ (2002/03) wieder zu sehen. Der Schweizer Künstler Rémy Zaugg (1943-2005) ist für Arbeiten im Spannungsfeld von Bild und Sprache bekannt, die den Betrachter in eine vielschichtige Diskussion über Wahrnehmung und die Bedeutung modernistischer abstrakter Malerei verwickeln. Seine Bilder befassen sich dabei nicht nur mit dem Sehen, sondern mit dem Erkennen als einen ganzheitlichen Prozess der gesamten Wahrnehmung. Ausgehend von seinem Werk „27 perzeptive Skizzen eines Bildes“ (1963-68) über ein Cézanne-Gemälde entwickelte der Künstler systematisch die Beziehung von Kunstwerk, Betrachter und Kontext zum zentralen Thema seines multidiszplinären Oeuvres. "I, myself." liegt ein minutiöser Herstellungsprozess zugrunde. Die glatten Oberflächen der industriell gefertigten Bilder auf Aluminium zeigen keine Spuren der Bearbeitung. Derart perfekt und geschichtslos akzentuieren sie die Interaktion von Farbe und Text und sind frei von jeder Assoziation an die Malerei. Die Grösse eines Bildes ist jeweils durch die Anzahl der in weisser Karosseriefarbe aufgedruckten Worte bestimmt.
Die Texte von "I, myself." sind kurz, fragmentarisch, teils poetisch, aber nie simpel. Der weisse Text hebt sich dabei nur minimal vom hellgrauen Grund ab, was die Sinnesorgane überreizen und ein Flimmern der Konturen erzeugen kann und das Lesen erschwert. Ebenso verkomplizieren die leicht verschiedenen Graunuancierungen der unterschiedlichen Bilder das Sehen. Voller Widersprüche und Paradoxien erzeugen die Bilder ein grundsätzliches Bewusstsein für unsere eigene Wahrnehmung sowie deren Begrenzungen. Cézanne ist auch ein Referenzpunkt für "I, myself.". Zaugg bezieht sich in der Arbeit auf die lange Tradition des Selbstporträts von Dürer bis Lassnig, bei denen das Selbstbildnis zur Selbstbefragung und Selbstbekenntnis wird und das Ringen mit sich selbst und dem Werk zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig geht es über das Persönliche hinaus und offenbart das Verhältnis des Künstlers zur Welt. Während Cézanne einen Spiegel aufstellte, um die Konfrontation mit dem Ich zu suchen, lässt Zaugg seine Bilder zu Spiegeln werden und überantwortet dem Betrachter die existenzielle Frage "Wer bin ich".
Die Reflexion des Ichs und damit verbunden die Frage nach den formierenden Grundlagen des eigenen Blicks auf die Welt, scheinen derzeit aktueller denn je. "I, myself." bietet dem Betrachter weder Gewissheiten, noch erlaubt es ein einfaches sinnliches Pläsier. Die Welt ist für jeden eine andere, sagt Zaugg, und die Wahrnehmung immer einzigartig. "Der Künstler ist bemüht, das Lächeln von den Gesichtern derer zu wischen, die sich auskennen, die Bescheid wissen und die wissen, was sie wissen", schrieb er 1986 über die Aufgabe des Künstlers.
Mit kompromissloser Genauigkeit arbeitete Zaugg über vier Jahrzehnte in verschiedenen Disziplinen. Er ist hauptsächlich bekannt für seine Untersuchungen in und mit der Malerei, die er als Grundlagenforschung für seine weiteren Projekte in den Bereichen Museologie, Architektur, Design und Urbanistik begriff. Zauggs theoretischer Text „Das Kunstmuseum, das ich mir erträume, oder der Ort des Werkes und des Menschen“ (1987) gilt in der Museumswissenschaft wie für die Museumsarchitektur als zentral.
Rémy Zaugg wurde 1943 in Courgenay (Schweiz) geboren, und starb 2005. Er nahm an den Skulptur Projekten Münster (1987) teil, der Carnegie International, Pittsburg (1995) sowie documenta 7, Kassel (1982). Seine Werke wurden international in zahlreichen Gruppenausstellungen gezeigt. Zu seinen Einzelausstellungen zählen u.a. Reina Sofía, Madrid (2016), Museum für Gegenwartskunst, Siegen (2015), Schaulager Basel (2004), Museum für Moderne Kunst Frankfurt/Main (2002), Kunsthalle Bern (2000), Kunsthalle Basel (1999, 1989, 1980), Kröller-Möller Museum, Otterlo (1996), Museum Folkwang, Essen (1989), Musée d'art Moderne de la Ville de Paris (1991, 1988), Stedelijk Van Abbemuseum, Amsterdam (1984) und Kunstmuseum Basel (1972). Zaugg verfasste neben seiner künstlerischen Arbeit zahlreiche theoretische Texte.
Seine Zusammenarbeit mit den Architekten Herzog & de Meuron brachte diverse Publikationen und circa fünfzehn Architekturprojekte hervor, wie z.B. den Entwurf der Tate Modern in London. Die Galerie Nordenhake zeigte ihre erste Einzelausstellung mit Zaugg 1998 und weitere Ausstellungen 2000, 2003 und 2005. Im Kunstmuseum Basel werden zahlreiche Werke Zauggs in der Ausstellung der Sammlung Furer zu sehen sein (17.08.-1.12.19).