Ella Littwitz beschäftigt sich in ihrer umfassenden künstlerischen Forschung mit Archäologie, Geschichte, Botanik, Kultur und Politik. Die kritische Auseinandersetzung mit nationaler und politischer Identität sowie die Konstruktion von historischen und psychologischen Grenzen stehen im Zentrum ihrer Werke, denen oft intensive Recherchen vorausgehen. Mit häufigem Bezug auf ihr Heimatland Israel benutzt Ella Littwitz Relikte, archäologische Bezeichnungen, bestehende Narrative, politische Symbolik und andere historische und anthropologische Chiffren, um ihre Kunstwerke zu entwickeln. In der Kunst Halle Sankt Gallen richtet Littwitz ihren Fokus auf die Territorialisierung: Ihre Installationen, Skulpturen, Zeichnungen und Stickereien erzählen von beanspruchtem und erobertem Gebiet, vom Niemandsland, gemischten Territorien und nicht zuletzt von Grenzüberschreitung und Migration.
Auf das Mittelmeer als krisengeprägte Landschaft aber auch als Sehnsuchtsort verweist die raumfüllende Skulptur The Elephant in the Room (2019), mit der Ella Littwitz eine Art Unterwasserarchäologie präsentiert. Die riesige, dunkle Masse aus Autoreifen und Geozellen, die sich wie ein Geschwür im Ausstellungsraum ausbreitet, lässt sich als Negativform des Mittelmeerbeckens identifizieren und beleuchtet sowohl dessen ökologische als auch migratorische Dimension.
Für die Auseinandersetzung mit der Dualität von Sehnsuchtsorten findet die Künstlerin aber auch leisere Töne, wie mit der neu für die Ausstellung produzierten Skulptur The Promise (2019). Der Bronzeguss ist ausgehend von einem 3D-Scan eines Baumstumpfes entstanden, welcher der Überrest eines 1898 von Theodor Herzl im palästinensischen Arza gepflanzten Baumes ist. Der geistige Vater des Staates Israel und Hauptbegründer des politischen Zionismus pflanzte den Baum als Zeichen für die jüdischen Siedler, das allerdings nicht lange währte: 1915 wurde der Baum niedergebrannt. Seither erlangte der Stumpf – geschützt durch einen eisernen Käfig – den Rang eines Denkmals, von dessen Existenz allerdings kaum jemand weiss. Die Künstlerin wirft mit The Promise nicht nur Fragen zu den Auswirkungen der nationalistischen Geste Herzls und der möglichen Bedeutung dieses Denkmals auf, sondern beleuchtet insbesondere kritisch die Vereinnahmung von Gebieten – in diesem Fall durch den Einsatz von Pflanzen zur Manipulation der Landschaft – die nur vordergründig natürlich erscheint.
Littwitz’ Interesse für Pflanzen gilt insbesondere auch der Terminologie und deren gesellschaftspolitischen Parallelen, was im filigranen Bronzeguss einer sogenannten Pionier-Pflanze, die keine anderen Gewächse neben sich duldet (Muşah, 2019), genauso deutlich wird wie in der Arbeit Uproot (2014), einer Installation botanischer Zeichnungen, die der Liste von 143 Pflanzenarten aus Dr. Michael Zoharys Buch The Weeds of Palestine and Their Control (dt. Das Unkraut Palästinas und seine Bekämpfung) von 1941 folgen. Anhand der Fauna der Region zeigt die Künstlerin die Verschränkung botanischer Benennungen und politischer Konnotationen auf. Das Beleuchten von unbewussten ideologischen und repressiven Narrationen in der Wissenschaft ist besonders interessant vor dem Hintergrund der komplexen kulturellen, politischen und zivilisatorischen Krise im modernen Nahen Osten, wo es einen ständigen Kampf um Bedeutungen, Aneignungen und Ansprüche auf mehrere ‹Wahrheiten› gibt.
Für die Installation A Moon in Ramallah is a Star in Hebron (2017) stickte Ella Littwitz mit einer Gruppe arabischer Frauen die Grundrisse alter Mehlmühlen aus Wadi Amud in Galiläa, basierend auf den Techniken der traditionellen palästinensischen Stickerei und deren kartographischer Symbolik mit europäischen Einflüssen. Die Bauwerke änderten im Laufe der Jahre mehrmals ihren Zweck von palästinensischen Mehlmühlen zu jüdischen Walkmühlen und wieder zurück zu palästinensischen Mehlmühlen. Ella Littwitz’ Projekt lehnt jede Vorstellung von binären Trennungen innerhalb der hybriden und verwobenen Kultur von Israelis und Palästinensern ab. Der Titel bezieht sich auf die Klassifizierung von Symbolen in den Sticktraditionen der verschiedenen Regionen, liest sich aber als eine breitere Metapher für die Ähnlichkeiten und Unterschiede, die diesem komplexen kulturellen Schmelztiegel zugrunde liegen.
Die Ausstellung «The Promise» bietet mit bestehenden Werken und neu produzierten Arbeiteneinen umfassenden Einblick in die künstlerische Praxis von Ella Littwitz, der die Auseinandersetzung mit universellen und hochaktuellen Themen rund um Territorien, Grenzen, Identität und dem nationalen Gedanken aus unterschiedlichen Perspektiven gelingt.
Ella Littwitz (*1982 in Haifa/IL) lebt und arbeitet in Jaffa-Tel Aviv/IL. Sie studierte an der BFA, the Bezalel Academy of Arts & Design in Jerusalem/IL (2005-2009) und war Laureatin des HISK in Ghent/BE (2014-2015). Einzelausstellungen (Auswahl): Centre d’Art la Panera, Lleida/ES (2019); MWW Muzeum Współczesne Wrocław/PL; Harlan Levey projects, Brüssel/BE (2018); Petach Tikva Museum of Art, Petach Tikwa/IL; Tel Aviv University Art Gallery, Tel Aviv/IL; Copperfield Gallery, London/UK; Galería silvestre, Madrid/ES (2017); Salzburger Kunstverein/AT (2016). Gruppenausstellungen (Auswahl): Ticho House - The Israel Museum, Jerusalem/IL; The Israeli Center for Digital Art, Holon/IL (2019); Flatland Gallery, Houston/US; Tallinn Art Hall, Tallinn/EST (2018); Herzliya Museum of Contemporary Art, Herzliya/IL; Centre del Carme Cultura Contemporània, València/ES; CCA Tel Aviv/IL (2017); Marthe Donas Museum, Ittre/BE (2016).