Die Kunst Halle Sankt Gallen präsentiert mit «False Friends… and Six Bottles» eine Überblicksausstellung des amerikanischen Künstlers Mark van Yetter mit einer Auswahl von mehr als 80 Werken aus den Jahren 2005 bis 2019. Diese offenbaren eine malerische Praxis, die in viele Richtungen weist. Was zunächst nur Flüchtigkeit als verbindendes Element zu haben scheint, entpuppt sich als ein Werk, das den komplexen und emotionalen Zustand unserer Zeit wiedergibt und gleichzeitig ein Gefühl der Distanz und Angst angesichts der Weltgeschehnisse hervorruft.
Mark van Yetter (*1978, lebt und arbeitet in Pennsylvania/US) hat in den letzten fünfzehn Jahren aus einer Vielzahl von Einflüssen geschöpft. Man kann in seinem Werk eine Vorliebe zur europäischen Malerei von der Wende des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart erkennen, ebenso wie Spuren romantischer Sentimentalität, die in bestimmten Strömungen der frühen amerikanischen Moderne zu finden sind, die er mit beissendem Sarkasmus oder Slapstick-Humor untergräbt. Der umfassende Überblick über Mark van Yetters Werk in der Kunst Halle Sankt Gallen zeigt eine delikate Kombination, bei der die ehemals ‹neue Welt› gleichermassen konstruiert wie verfallen aussieht.
Die kunsthistorischen Erzählungen, die in van Yetters Werk gefiltert werden, reichen von klaren thematischen Bezügen – zum Beispiel Giorgio Morandis Stillleben oder Robert Crumbs Szenen des amerikanischen Lebens – bis hin zu einer konzeptuellen und kritischen Positionierung, die in skatologischen Bildern und mit mehrdeutigem Witz, ähnlich dem Werk von zeitgenössischen Figuren wie Mike Kelley und Rosemarie Trockel, zum Ausdruck kommt.
Van Yetters Werke, meist Öl auf Papier, bewegen sich im Grenzbereich zwischen dem Öffentlichen und dem Intimen, dem Bodenständigen und dem Fantastischen. Er greift häufig auf seine eigene Geschichte und eine intuitive Herangehensweise zurück, die direkt auf die Welt um ihn herum reagiert, und erzeugt Sichtweisen, die zwischen dem Fremden und dem Vertrauten oszillieren. Im Mittelpunkt dieser vermischen sich generelle Erfahrungen und kulturell und politisch bedingte Spannungen.
Emotionalität, die aber stets distanziert bleibt, kennzeichnet van Yetters Kunst und so erwecken seine Bilder oft den Eindruck, aus gegenwärtigen oder historischen Welten herausgelöst zu sein. Indem Alltagsgegenstände in ungewöhnliche Situationen versetzt und Umgebungen dargestellt werden, in denen Wohn- und Naturszenen offensichtlich und gleichzeitig schwer zu entschlüsseln sind, werden sowohl Affekt als auch Abgeklärtheit – die sich meist nicht vereinbaren lassen – zusammengebracht.
Der Künstler eröffnet uns mit seinen urbanen und ländlichen Szenen eine einzigartige Sichtweise auf die klischeehaften Überreste des modernen Lebens. In seinen Räumen berühren uns unbehagliche Begegnungen dort, wo wir am verwundbarsten sind, allerdings auf völlig andere Art als beim Marketing. Van Yetters Darstellungen konzentrieren sich auf die mögliche Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt. Ist es Tag oder Nacht in diesen Werken? Beides. Die Zeit hält an. Sie sagen, wie das Leben ist: schnell und unbedeutend. In diesem Kontext der Fülle von Bildern macht ihr Schnappschussaspekt sie unvergesslich.
Aufbauend auf van Yetters zugleich spielerischen und beunruhigenden Darstellungen des menschlichen Zustands ist die Ausstellung in vier Momente gegliedert. Zu Beginn: eine Gruppe von Bildern, die sich auf Beziehungen zwischen Innen und Aussen konzentrieren und welche immer wiederkehrende Themen van Yetters veranschaulichen, wie beispielsweise die liminalen und visionären Orte des Übergangs oder die simultanen Mechanismen von Komposition und Zerlegung.
Dem gegenüber: ein 27 Meter langes Panoramabild, das dramatisch im Raum schwebt. Das Werk mit dem Titel The Mere Knowledge of a Fact is Pale (dt.: Das blosse Wissen um eine Tatsache ist blass) (2016) zeigt besonders deutlich, dass van Yetters künstlerische Arbeit Grenzen verwischt und sich sowohl mit grafischer Illustration und Storytelling als auch mit traditionellen malerischen Methoden beschäftigt. Nachdem der Künstler über ein Jahrzehnt ausserhalb der Vereinigten Staaten gelebt hatte, kehrte er in der Erinnerung in seine Heimat in den Pocono Mountains zurück – wo er inzwischen auch wieder lebt – und beschwört mit einem sehr persönlichen Blick auf intime und eindringliche Art einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeitspanne hervor. Neben kunsthistorischen Einflüssen wie Edward Hoppers Szenen des amerikanischen Lebens spielte insbesondere der frühe Blues und die Volksmusik bei der Entstehung dieses monumentalen Bildes – das man wie eine filmische, ungeschnittene Aufnahme wahrnimmt –eine wichtige Rolle – Musik, die van Yetter als intelligent, aber auch emotional und ganz sicher unbeeinflusst vom Kommerz bezeichnet.
Im mittleren Ausstellungsraum folgt ein ‹Salon Americana›, in dem Mark van Yetters eigene Wahrnehmung des Landes derjenigen von Trumps düsteren Projektionen entgegenwirkt. In Cruelty à Go Go #1 (2018) beispielsweise schafft der Künstler eine Mischform aus einem Disco-Party-Poster der 70er-Jahre und einem politischen Plakat. Umrahmt von Silhouettenmotiven von Tänzer*innen befindet sich im Zentrum die Fotografie einer mit Käse überzogenen Elefanten-Skulptur, die gefälschte menschliche Zähne trägt. Die Anspielung auf den amerikanischen Präsidenten und das Parteilogo der Republikaner wird durch den Schriftzug ‹Grand Old Party› eindeutig.
Im letzten Raum schliesslich ist eine Gruppe früherer und neuer Werke zu sehen, die van Yetters Schaffen in Serien und das kontinuierliche Auftauchen von gewissen Sujets wie Hunden deutlich machen. Auf den menschlichen Körper respektive dessen Abwesenheit verweist die Skulptur Untitled (2015), bestehend aus einer Sitzschale mit Griffen, auf denen jemand seine Spuren in Form einer gelblichen Pfütze hinterlassen zu haben scheint. Nicht zum ersten Mal verwendet van Yetter hier ein modifiziertes Fundstück, um die Vergangenheit aufscheinen zu lassen, sei es als Nachhall historischer Künstler*innen und Stilrichtungen oder wie hier als vergangene menschliche Handlung.
Mark van Yetters Gemälde auf Papier beschreiben eine dürftig sensibilisierte Welt, in der Vorstellungen von Freiheit, Digitalisierung und Subjektivität Chimären sind und in der Objekte, Volumen, Architekturen, Natur, Mensch und Tier gleichermassen wichtig sind. In dieser horizontalen Welt erforschen van Yetters Bilder die Schwelle der Erzählung mehr als die Erzählung selbst und thematisieren sowohl Wahrnehmung als auch Lebensweisen von heute. Es ist klar, dass es für den Künstler kein gutes Leben ohne ein Mass an Absurdität gibt. Durch seine dystopischen Orte, an denen clevere Hunde einen nackten Aktivisten ignorieren oder ein dandyhafter falscher Freund sanft den Rücken einer weiblichen Gestalt berührt, die eine Schale ziert, macht Mark van Yetter uns zu Zeugen eines umfassenden gedanklichen Abschweifens, das letztlich mit unbeweglicher Miene damit kokettiert, nicht politisch zu sein - und es somit wird.