Saul Leiter hat parallel zu seiner Modefotografie für Harper’s Bazaar und seinen Farbabstraktionen, die seit den 1950er Jahren in den Straßen New Yorks entstanden, auch Akt im Studio inszeniert. Diese Bilder blieben zu Lebzeiten gewissermaßen unter Verschluss und nur wenige seiner Freunde kannten diese stillen und intimem Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Leiter entwickelte die Aktbilder selbst in der eigenen Dunkelkammer, während seine Farbaufnahmen von Fotolaboren in New York vergrößert wurden. Die weiblichen Modelle waren Freundinnen oder Geliebte des Künstlers, der sie in seiner New Yorker Wohnung porträtierte.
Nach seinem Tod im Jahr 2013 werden von Leiters Nachlaßverwalterin Margit Erb die unterschiedlichen Aspekte seines Werkes aufarbeitet, publiziert und teilweise auch neu editiert. So entstand 2018 im Steidl-Verlag eine Publikation zu dieser Serie unter dem Titel „In My Room“, in der New Yorker Howard Greenberg Gallery eine Ausstellung mit Neuvergößerungen ausgewählter Akt-Motive – und nun in der Helmut Newton Stiftung erstmals eine Präsentation mit etwa 100 unikatären Vintage oder Late Prints, die Saul Leiter seinerzeit selbst vergrößert hat. Wir sehen kleinformatige Akt-Porträts einer oder mehrerer Frauen, die auf Sofas liegen oder im Gegenlicht zur Silhouette werden, die gedankenverloren rauchen oder lächelnd für Leiters Kamera posieren; dabei sind nicht alle Modelle nackt. Es sind subtile, sensible, ja geradezu schüchterne Annäherungen an das Wesen und an den Körper der Frau.
Eine ähnliche Bildstimmung begegnet uns bei den Aktaufnahmen von David Lynch, die ein halbes Jahrhundert später, vor allem in Lodz und Los Angeles, entstanden sind; die meisten in Schwarz-Weiß, einige wenige in Farbe. Es sind abstrakte Körperbilder, häufig vollformatige Details, die wir erst auf den zweiten Blick mit einem menschlichen Körper in Verbindung bringen und vor unserem inneren Auge mit einem Leib abgleichen können. Lynch wählte für seine 25 Aufnahmen ein großes Bildformat; exklusiv sind sie für die Berliner Ausstellung zusammengestellt und vergrößert worden. Auch hier entstand zuerst eine Publikation, die 2016 unter dem Titel „Nudes“ im Verlag der Pariser Fondation Cartier veröffentlicht wurde. Lynchs Aktaufnahmen entstehen parallel und autonom von seinem filmischen Werk, in dem gelegentlich ebenfalls sexuelle Anspielungen und Handlungen zu sehen sind. Seine fotografischen „Nudes“, mal Beobachtung, mal Pose, wirken vergleichbar mysteriös wie seine Filme, jedoch in den seltensten Fällen wie Standbilder. Vielmehr scheinen wir in der Bildbetrachtung noch das vorsichtige, ja zarte Umkreisen und Untersuchen des weiblichen Körpers mit der Fotokamera zu spüren; solche Imaginationen sind wohl nur mit dem Medium Fotografie möglich. Die Intimität (oder die Illusion einer Intimität) entsteht hier durch die Motivik einer extrem nahansichtigen, geradezu taktilen Körperlichkeit, auch wenn wir nur einen nackten Oberschenkel oder Arm im Bildanschnitt sehen.
Helmut Newton hat mit Aktfotografie in den 1970er-Jahren begonnen, diesseits und jenseits seiner Modebildproduktion, und bis zu seinem Lebensende 2004 auch in diesem Genre gearbeitet. Seine Serie „Naked and Dressed“, die den Übergang vom Mode- zum Aktbild in seinem Werk markiert, und die „Big Nudes“ machten ihn weltberühmt und inspirierten zahlreiche Kollegen und bildende Künstler zu Nachahmungen oder Neu-Interpretationen. Die jetzige Präsentation vereint etwa 60 solcher Ikonen aus manchen seiner bekannten Ausstellungen und Projekte wie „Helmut Newton’s Illustrated: Pictures from an Exhibition“, „White Women“, „Sleepless Nights“, „Big Nudes“, „Sex and Landscapes“, „Work“ oder „Us and Them“ sowie etwa 40 bislang ungezeigte Werke aus dem Stiftungsarchiv, darunter zahlreiche Original-Polaroids. Newton schuf ein unvergleichliches Werk voll subtiler Verführung und zeitloser Eleganz – auch und besonders im Akt-Genre: Darunter finden sich Porträts nackter Menschen an Swimmingpools, raffinierte Aufnahmen unbekleideter Schaufensterpuppen und andere modebasierte Aktbilder, halbnackte Modelle mit orthopädischen Stützprothesen oder provokante Inszenierungen sexueller Obsessionen in weiblicher Besetzung, die in unserer Rezeption vielen Imaginations- und Assoziationsmöglichkeiten Platz lassen.
Es ist das erste Mal in der Geschichte der Helmut Newton Stiftung, dass eine Ausstellung ausschließlich dem Genre Akt gewidmet wird.