Welche Relevanz haben einstige Vorlagensammlungen in Zeiten der elektronischen Bilderflut für zeitgenössische Gestaltung? Die Kunstbibliothek hat den international renommierten Berliner Illustrator und Grafikdesigner Henning Wagenbreth eingeladen, sich anhand eines Streifzugs durch ihre Museumssammlungen mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Wagenbreth hat 40 Vorbilder und Inspirationsquellen aus den Sammlungen Architektur, Buchkunst, Fotografie, Grafikdesign und Buchkunst, ausgesucht, die er in der Ausstellung mit rund 80 eigenen Arbeiten zusammenbringt. Der Dialog lotet die Übergänge zwischen Gestern und Heute, Bild und Schrift, Überlieferung und Neuerfindung in diversen Facetten aus.
Giraffen im Weltraum, Skelette auf Dienstreise, wütende Wolkenkratzer – der „Tobot-Turm“ im Zentrum der Ausstellung birgt zahllose überraschende Kombinationen aus Bildern und Begriffen. 1.300 Bausteine hat Henning Wagenbreth in der drei Meter hohen Skulptur aufeinandergesetzt, jeder einzelne handbemalt mit Bildmotiven, Wörtern und Ornamenten. Wie tief dieser Zeichenkosmos auch in Bildtraditionen verwurzelt ist, zeigt sich im Zusammenspiel mit den Druckgrafiken und Büchern, die Wagenbreth aus den Beständen der Kunstbibliothek ausgewählt und dazu gruppiert hat. Sie schaffen semiotische Querverbindungen zu Totentänzen und Bilderbogen, Hieroglyphen und Computerspielen, Metropolis und dem Turmbau zu Babel. Spielerische Anmutung trifft auf präzise Analyse und historisches Bildwissen.
Henning Wagenbreth (geb. 1962) ist international bekannt für seine ausdrucksstarke Bildsprache und die Vielfalt seiner Arbeitsgebiete zwischen Grafikdesign, Illustration, Comic, Musik und experimentellen Projekten. Neben seiner Tätigkeit als freier Grafikdesigner und Illustrator ist er seit 1994 auch als Professor im Studiengang Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin tätig. 2000 zeichnete ihn die Stiftung Buchkunst für das „Schönste Buch der Welt“ aus; seine Plakatentwürfe werden regelmäßig prämiert. Er hat zahlreiche Ausstellungen realisiert, neben Berlin auch in Paris, New York, Istanbul, Luzern, Neapel und am Victoria and Albert Museum in London ausgestellt.
Die Ausstellung in der Kunstbibliothek stellt Wagenbreths Werk in rund 80 Arbeiten aus drei Dekaden vor – von Briefmarken über Entwurfszeichnungen bis zu Siebdruckplakaten im Überformat. Zwischen den grafischen Arbeiten und dem „Tobot-Turm“ vermittelt eine markante, von Wagenbreth entworfene Ausstellungsarchitektur, die mit starken Farben, Wörtern und Mustern in den Raum greift. Die Idee der titelgebenden „Transit-Zonen“, die das Aufspüren von Übergängen und Schnittstellen beinhaltet, wird räumlich spürbar.
In seiner Auseinandersetzung mit historischer Populärgrafik, Literatur und Musik berührt Wagenbreth Motivisches ebenso wie Inhaltliches, oft mit einer feinen Prise Humor. An alten Ornamentstichen faszinieren ihn Kunstfertigkeit, Kreativität in der Bildfindung und die Vielfalt im Seriellen. Auf dem Gebiet der Politik ergänzen sich Aktuelles und Geschichtliches – so in der Gegenüberstellung afrikanischer Betrügerbriefe aus der Serie „Cry for Help“ mit einer Fotografie von Afrikanern, die 1931 als Exponate für Menschenschauen in Berlin begrüßt werden. Auch die Paarung des Wagenbreth-Plakats „100 Soldiers“ mit Propagandadrucken aus den Jahren des ersten Weltkriegs hat Brisanz. Die „Transit-Zonen“ zwischen Gestern und Heute, zwischen Vorlagen und gestalterischer Praxis, leben von Spannungen.
Mit diesem Gastspiel-Format öffnet sich die Kunstbibliothek für aktuelle kreative Perspektiven – ihr Ausstellungsraum wird zur Plattform einer künstlerischen Erforschung der Sammlungen. Das Ergebnis ist ein frischer Blick auf allen Ebenen: Wagenbreths Illustrationen erfahren eine assoziative und semantische Erweiterung, während die Objekte aus der Kunstbibliothek ihre aktuelle Relevanz entfalten.