Wir freuen uns, anlässlich des Gallery Weekend Berlin 2018 eine aktuelle Werkübersicht von Fernando Bryce zu präsentieren. Erstmalig zeigt die Galerie Barbara Thumm Arbeiten einer neuen Werkgruppe von collagierten, großformatigen Zeichnungen, die thematisch zusammengehörig sind, jedoch als Einzelblätter konzipiert wurden. Diese Einzelblätter stehen einer für Bryce eher typischen großen Zeichnungsserie mit dem Titel Freedom First gegenüber, die ein kulturpolitisches Panorama der 1950er und 1960er Jahre illustriert.
Freedom First ist eine umfangreiche Zeichnungsserie von Fernando Bryce. Sie greift die komplexen Ereignisse des Kalten Krieges auf und bebildert symbolisch die Schlachten, die in dieser Zeit im Kampf um das meist umstrittene Wort und Ideal der Welt geschlagen wurden: die Freiheit. Basierend auf den Covern diverser Magazine, die von dem Kongress für kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF) von dessen Gründung in West-Berlin 1950 bis zu dessen Auflösung in den 1960er Jahren initiiert oder unterstützt wurden, kreiert Bryce mithilfe seiner ikonenhaften Verwendung und Neu-Beschriftung historischer Stoffe ein breit gefächertes Tableau fragmentarischer, weltpolitischer Szenen. Die mit neunundsiebzig Tuschezeichnungen, zu einem dichten Block arrangierte Bilderserie konfrontiert den Betrachter mit einer umfassenden Chronik der aufgeheizten kulturellen und politischen Debatten der Nachkriegszeit. Zugleich ist uns heutigen Betrachtern Freedom First auf eigentümliche Art vertraut – es richtet unseren Blick erneut auf den Kalten Krieg und seine Konflikte, die die politische Landschaft bis zum heutigen Tag beeinflussen.
Schwarze Tuschezeichnungen auf Papier sind seit den späten 1990er Jahren charakteristisch für das Werk von Bryce. Er bedient sich dieses Mediums, um nicht nur die Spannungen jener Epoche sondern auch die der grafischen Gestaltung selbst sichtbar zu machen. Die in höchstem Maße akribisch ausgeführten und zugleich kontrastierenden Linien werden zu bildhaften Mahnmalen längst vergangener Tage. Bryces kombiniert die originalen Dokumente und erschafft neue Strukturen: die klare Schwarz-Weiß-Methode filtert die Wirkung des Kopierten und haucht dem Abgebildeten zugleich erneut Kraft ein. Durch die Reduzierung nimmt Bryces Methode den Originalen das Verführerische – die Farbe – und verleiht ihnen stattdessen den dramatischen Anstrich des Film noir. Der ikonographische Stil macht das Dokument selbst zu seinem Doppelgänger – einem Abbild. Und nimmt ihm dabei jeden Anstrich zuvor behaupteter Objektivität. Als Meta-Historiker arrangiert Bryce seine Zeichnungen in großen Gruppen und lenkt den Blick des Betrachters dabei auf Zusammenhänge, Ähnlichkeiten und Gegensätze zwischen den auf den Titelbildern behandelten Ereignissen.
So skizziert Bryce das Geschehene und bereits Dokumentierte ein weiteres mal. Er selbst nennt diese Methode „mimetische Analyse“. Mit ihrer Hilfe erforscht er das Geschehene nicht nur, sondern zeigt auch die Art selbst, in der geschichtliche Ereignisse erzählt, dargestellt und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, in einem neuen Licht. Von der Warte der Praxis der konzeptuellen Kunst aus betrachtet, ist der Akt der Reproduktion nie ein Porträt des Originals, sondern vielmehr ein Abbild seiner ureigenen Zeit. Diese Film-noir-artigen Bilder werden von Bryce in neuen Arrangements zu Kompositionen zusammengeführt, die historischer Zeitportraits offenbaren. Bislang ungesehene, dunkle Seite dieser Bildnisse kommen zum Vorschein und erlauben so einen klaren, kritischen Blick auf die dramatische Brisanz der Ereignisse. Letztlich greift Bryce, ein zeitgenössischer Kopist, so in die Politik und Ästhetik des Kalten Krieges und seines Bilderkampfes ein. Und durch die NeuBeschriftung des Abgebildeten findet sich auch die Antwort auf den Diskurs zwischen westlicher Freiheit und kultureller Propaganda-Maschinerie an der Front des Kampfes um die globale Vormachtstellung.
Die Freedom First-Zeichnungen beinhalten Reproduktionen von Covern mit den zentralen Anliegen und Themen von CCF-Magazinen wie The lost illusions of Communism (Die verlorenen Illusionen des Kommunismus, 1950), The legacy of Stalin (Stalins Erbe, 1953), The lessons of Guatemala (Was wir aus Guatemala gelernt haben, 1954), The Bandung Conference (Die Konferenz von Bandung, 1955), Behind the fighting in Vietnam (Hinter den Kämpfen in Vietnam, 1955), The crisis in Indo-China (Die Indochina-Krise, 1955), The homage to the uprising in Hungary (Eine Hommage an den Aufstand in Ungarn, 1956), The anti-colonial struggles in Algiers (Algiers Kampf gegen den Kolonialismus, 1958), The debate around Pablo Neruda (Die Debatte um Pablo Neruda, 1958), The Cuban revolution (Die Kubanische Revolution, 1959), Ho Chi Minh in Vietnam (Ho-Chi-MinhStadt in Vietnam, 1959), Patrice Lumumba in Congo (Patrice Lumumba im Kongo, 1960) und sind eng verflochten mit den Veranstaltungen und Aktionen der CCF – inklusive ihrer Gründungskonferenz in West-Berlin im Jahr 1950 und der CCF-Mailand-Konferenz The Future of Freedom (Die Zukunft der Freiheit, 1955).
Gegründet in West-Berlin im Jahr 1950, wurde das CCF der erste große Zusammenschluss nicht-kommunistischer, linksorientierter Intellektueller in der Nachkriegsära. Diese waren angetreten, um sich klar zu positionieren – und machten sich vor dem gedanklichen Hintergrund eines Ost-West-Schemas für kulturelle Freiheit im Angesicht totalitärer Systeme stark. Das CCF agierte weltweit in 35 Büros, gründete und unterstützte Magazine, leitete und organisierte Konferenzen und Festivals und etablierte ein länderübergreifendes Netzwerk liberaler Intellektueller. Im Jahr 1967 wurde die Enthüllung, dass das CCF heimlich durch Gelder des US-Geheimdienstes (CIA) unterstützt wurde, zum Skandal. Die zentrale Frage „mögliche Autonomie versus Instrumentalisierung von Kultur“ belastet das Vermächtnis der CCF bis zum heutigen Tag.
Der Titel Freedom First nimmt Bezug auf das gleichnamige CCF-Magazin, das bis 1952 im indischen Mumbai ver- öffentlicht wurde. Bryces aktuelle Serie beinhaltet ikonografische Verweise auf Cover von CCF-Publikationen wie Der Monat (Deutschland), Encounter (Großbritannien), Science and Freedom (Vereinigte Staaten von Amerika), The New Leader (Vereinigte Staaten von Amerika), Preuves (Frankreich), FORVM (Österreich), Black Orpheus (Nigeria), Africa South (Südafrika), Freedom First (Indien), Quest (Indien), Sasanggye (Südkorea), Examen (Mexiko), Cuadernos (Paris), Cadernos Brasileiros (Brasilien) and Cultura y Libertad (Chile). Bryces Ausstellung zeigt neben der Arbeit Freedom First, die ursprünglich für die Ausstellung Parapolitics: Cultural Freedom and the Cold War (Parapolitica: Kulturelle Freiheit und der Kalte Krieg) im Haus der Kulturen der Welt in Berlin entwickelt wurden und dort von November 2017 bis Januar 2018 ausgestellt gewesen ist, die Serie Paradoxurus adustus sowie die Serie Auf Frischer Tat gemeinsam mit einer neuen Serie von extra für Barbara Thumms Ausstellung konzipierten einzelnen Zeichnungen.
Fernando Bryce (geboren 1965 in Lima) ist international renommiert. Zu seinen aktuellen Ausstellungsorten gehören die Kunsthalle Bremen, das Haus der Kulturen der Welt (Berlin), Museum für Naturkunde Berlin, MUAC Mexico City, Museo de Arte Lima und Mana Contemporary (New Jersey). Große Sammlungen enthalten seine Werke, wie etwa die Berezdivin Collection (Puerto Rico), Burger Collection (Zurich/ Hongkong), Kunsthalle Bremen, Museo de Arte de Lima, The Museum of Modern Art (New York) und The Tate Modern (London).