Guy Bourdin revolutionierte in den 1960er- und 1970er-Jahren die Modefotografie ähnlich wie Helmut Newton. Beide arbeiteten für die gleichen Modemagazine, beispielsweise für die französische Vogue, und direkt für Klienten aus der Modewelt und entwickelten – neben der offensichtlich zeitlosen Eleganz in ihrem Werk – unabhängig voneinander die Idee des „Radical Chic“. In der Berliner Ausstellung werden die beiden einflussreichen Modefotografen mit ausgewählten Auftragsarbeiten erstmals gemeinsam in diesem Umfang gezeigt.
Während Bourdin ab 1967 in dem französischen Designer Charles Jourdan einen Hauptauftraggeber fand, fotografierte Newton die Kollektionen unterschiedlicher Kunden wie Chanel, Yves Saint Laurent, Thierry Mugler, Mario Valentino oder Blumarine – parallel zum Zeitschriften-Editorial. Newton nannte sich selbstironisch „A Gun for Hire“ – und so hieß auch die Ausstellung seiner Auftragsarbeiten der 1990er-Jahre, die 2005 posthum in Monaco und Berlin und später in Budapest gezeigt wurde. Eine Auswahl dieses Spätwerks wird nun in der Helmut Newton Stiftung erneut ausgestellt – in Gegenüberstellung mit dem früher entstandenen Werk Guy Bourdins.
Von Guy Bourdin werden unter dem Titel „Image Maker“ exemplarisch Aufnahmen aus unterschiedlichen Veröffentlichungszusammenhängen vorgestellt; insbesondere die bekannten und einige weniger bekannte Werbebilder für Schuhe von Charles Jourdan. Bourdin zeigt uns die Damenschuhe an unüblichen Orten sowie in formal und inhaltlich überraschenden Kontexten; seine avantgardistischen Fotografien wurden für ganzseitige Anzeigen verwendet und zählen heute zu den ikonischen Bildern der 1970er-Jahre. Bourdin unterschied in seinem modebasierten Werk stilistisch und kompositorisch nicht zwischen Werbung und Editorial: Mal marginalisierte er seine weiblichen Modelle, um Jourdans Schuhe im Bild besonders zu exponieren, das andere Mal radikalisierte er das Frauenbild in makabrer Inszenierung. Er nutzte Überblendungen, Figurenanschnitte, ungewöhnliche Körperhaltungen und vermeintliche Gewaltdarstellungen. All dies erinnert uns Bildbetrachter an die experimentellen und mitunter verstörenden Darstellungsmodi der Surrealisten, die Bourdin, wenn man so will, ins Zeitgenössische transformierte. Derart verblüffende minimalistische Inszenierungen im Modebereich hat nur Guy Bourdin – ausgestattet mit einer Art Carte Blanche seines Auftraggebers – in dieser Zeit zu realisieren gewagt.
In Helmut Newtons „A Gun for Hire“ sehen wir vor allem Auftragsarbeiten für Modedesigner, die zunächst in den Modebüchern veröffentlicht wurden – und manche vom Fotografen später in sein eigenes Werk übernommen wurden. Im Mittelpunkt stand selten ein bloßer Modeentwurf, sondern meist auch eine überraschende Parallelgeschichte, die in einigen Fällen eine Spur Suspence wie von Alfred Hitchcock enthält und in anderen surreale Vorläufer zu haben scheint. Häufig ist nicht klar, wo die Wirklichkeit endet und die Inszenierung beginnt; alles wird zum verwirrenden Spiel um Macht und Verführung. Newton realisierte in den Mode- und Produktaufträgen seines Spätwerkes häufig Sequenzen, hier als Schwarz-Weiß-Bildgeschichte für Villeroy & Boch (1985), als Farbaufnahmeserie mit Monica Bellucci in unterschiedlichen Kleidern von Blumarine (1998) oder mehrere Motive mit Bikini-Modellen für einen Sportmagazin-Kalender (2002). Die jungen Frauen trugen die knappe Badekleidung allerdings nicht wie üblich am Strand, sondern in der Wüste. Ergänzt werden solche Serien oder Reihungen in der Ausstellung durch Einzelbilder, aufgenommen vor allem in und um Monte Carlo für die deutsche, amerikanische, italienische, französische und russische Ausgabe der Vogue.
In der Fotografie – auch in der Modefotografie, die den Zeitgeist beschreibt und immer wieder neu definiert – gilt es spannende und überraschende Geschichten mit Bildern zu erzählen. Bourdin und Newton beherrschten das geradezu perfekt.
Der kleine, intime „June’s Room“ der Helmut Newton Stiftung ist Freunden und Wegbegleitern vorbehalten, diesmal Helmut Newtons ehemaligem Assistenten Angelo Marino, der seit 2004 auch Newtons Witwe June (alias Alice Springs) zuarbeitet. Ergänzend zu Bourdin und Newton stellt er unter dem Titel „Another Story“ einen sehr individuellen Blick auf seine unmittelbare Umwelt vor, denn Marino fotografierte auf dem Weg von seinem Wohnort Cannes zu seinem Arbeitsort Monte Carlo schnappschussartig mit seinem iPhone Mitreisende, das Meer oder die vorbeirauschende Architektur oder Landschaft aus dem Zugfenster; es sind amüsante, skurrile und alltägliche Situationen in surrealer Farbigkeit. Chronologisch angeordnet sind fünf Bilder zu einem Tableau, die jeweils eine Arbeitswoche repräsentieren, insgesamt 52 Panels bzw. 260 Einzelbilder; jedes Einzelbild charakterisiert und symbolisiert einen Tag, und zugleich das Unterwegssein, hier manifestiert in subjektiv gewählten, flüchtigen Realitätsschnipseln. Angelo Marino ist ein stiller und genauer Beobachter seiner Umwelt. Als langjähriger Assistent von Helmut Newton, der auch in seinem Spätwerk allein analoge und nicht digitale Fotografie praktizierte, ergänzt Marino nun mit seiner aktuellen Werkgruppe aus Handybildern die aktuelle Ausstellung um einen neuen fotografisch-technischen Aspekt.