Am 30. April 2016 starb Gunter Damisch, einer der wichtigsten Vertreter zeitgenössischer Kunst in Österreich, viel zu früh in Wien. Prädikate wie charismatische Künstlerpersönlichkeit, liebenswürdiger Mensch, hervorragender Lehrer, leidenschaftlicher Gärtner, passionierter Sammler, überzeugter Humanist repräsentieren nur eine kleine, rein subjektive Auswahl von möglichen Attribuierungen, um einen nach „Komplexität“ und „Diversität“ strebenden, universellen und künstlerisch ungemein versatilen Charakter lediglich ansatzweise zu fassen.
Unsere Ausstellung versucht, die künstlerische Bandbreite, gestalterische Kraft und den stilistischen Reichtum des umfangreichen Oeuvres von Gunter Damisch durch eine hochkarätige Werkauswahl bei eindeutigem Fokus auf den um 1990 entstandenen Arbeiten quasi pars pro toto zu dokumentieren.
Gunter Damisch agierte multimedial: Ölbilder behaupten sich gleichberechtigt neben Papierarbeiten, Druckgrafiken, Collagen, Keramiken, Bronze- oder Aluminiumgüssen. Gemein ist allen Exponaten die ihnen inhärente prozessuale Komponente. So betonte Gunter Damisch in einem Interview 2008: „Das Prozesshafte ist mir wichtig. Zum einen der Prozess des Malens. […] Zum anderen interessiert mich das Prozesshafte an sich. ‚Feld‘ [ein essentieller Terminus in seinem konsequent weiterentwickelten Formenrepertoire] ist zum Beispiel ein prozesshafter Begriff, der in der Soziologie, in der Physik und in den Naturwissenschaften verwendet wird.“
Gunter Damischs individuelles, offenes, modulartiges, improvisierend inszeniertes Bildsystem basiert wesentlich auf der Vorstellung von Wandel und Metamorphose, panta rhei, alles fließt, der Blick durch das künstlerische Mikroskop oder die Kamera, seine Bewegung, das Zoomen erlauben Fern- und Nahsicht, Makro- und Mikrokosmisches gleichermaßen. Energetische Ballungen, organische Naturformen, vibrierende Bewegungsenergie, mineralogische Verdichtungen, astronomische Protuberanzen strukturieren eine durch Emphase, schöpferische Lust und impulsive Dynamik charakterisierte, sehr persönliche Bildweltordnung, für die Begriffe wie „Feld“, „Welt“, „Weg“, „Netz“, „Steher“, „Flämmler“, „Strömen“, „Fließen“ oder „Flimmern“ unabdingbar sind.
„Malen heißt Netze auswerfen im Bewussteinsmeer.“ Der zweiten Generation der österreichischen Künstlergruppierung der „Neuen Wilden“ zugehörig – zusammen mit Alfred Klinkan, Hubert Scheibl, Gerwald Rockenschaub, Otto Zitko oder Herbert Brandl, mit dem er sich für einige Jahre ein Atelier teilte – ist Gunter Damischs malerische Praxis der 1980er-Jahre durch einen pastosen, geschichteten, klumpigen, inhomogenen, dick verkrusteten, schlierenartigen, fast unmittelbar als Mal-Materie erfahrbaren Farbauftrag determiniert, der einen haptischen, manchmal nahezu „archaischen“ Bildkörper generierte. Fast monochrome Bildgestaltungen, „Felder“, wurden ab 1986-87 durch kleine, andersfarbige Inseln, „Welten“, ergänzt. Diese sind von amorphen figuralen Chiffren, „Stehern“, „Köpflern“ oder „Flämmlern“, deren Grundprinzip Antoine de Saint-Exupéry mit seinem „Kleinen Prinzen“ formulierte, bevölkert. Am Beginn sind die Figuren noch stehend ausgeführt, später zirkulieren sie in alle Richtungen. „Die frühe Form waren die mit dem Boden verankerten, schweren Steher, bei denen die Andeutung der Kopfform reicht, um als Figurenchiffre lesbar zu sein. Im nächsten Schritt entstanden die sich der Schwerkraft enthebenden Figuren, die kaum Extremitäten haben und zu schweben scheinen – Figuren, die sich in einem fließenden, strömenden System befinden. Das sind dann die Flämmler, begrifflich eher gasförmige Gestalten – die Verbinder zwischen den Welten. […] In einer letzten Arbeitsphase setzen sich jetzt auch Figuren aus Figuren zusammen – die Einzelfigur ist oft kaum mehr lesbar.“
Gunter Damischs grenzenlosen kosmischen Bildräumen sind mäandrierende, lineare Elemente eingeschrieben, Verschlingungen, Vernetzungen und Verknotungen, die auf einen kreisförmigen Habitus verweisen und den bildnerischen Ausdruck der Verfestigung in sich tragen. Diese schleifen- und schlingenartigen Pinselbewegungen rekurrieren auf tibetische oder asiatische Vorbilder wie die Unendlichkeitsschlinge (dito im Fischsymbol) ebenso wie auf den Gordischen Knoten, Ornamente der Renaissance oder Jackson Pollocks „Drippings“.
„Gitterartig erwächst aus Bewegungen und Linien und deren Berührungspunkten ein Gespinst, vernetzte Bahnen und Leitungen kreuzen und treffen sich, die Flächen liegen in kurvigen Kreislinien zueinander, verwachsen an den Berührungspunkten und bilden Innenorte und Höhlungen mit Durchblicken nach der Emmentaler-Methode, Klüfte und Nischen, die von Figuren bewachsen zu geschützten Zonen und Zellen werden. […] Den Würmern und Schlangen, Schlingen und Lianen, Bächen und mäandernden Flüssen, den Küstenlinien und Uferverläufen, Rinnsalen und Wurmfraßlöchern, den Spuren des Käferfraßes in Rinden und den Auswaschungen der Gewässer sind diese [linearen] Formen geschuldet […]“
Dem komplexen, vielgestaltigen, gleichsam archetypischen Formenrepertoire des „Maler-Poeten“ Gunter Damisch korrespondieren auf kongeniale Weise lyrische, metaphorische Bildtitel, die eine ausschließlich deskriptive Funktion erfüllen und in erster Linie der Archivierung und Identifikation der Werke dienen. Damisch präferierte in diesem Kontext eine spielerisch offene, assoziative Vorgehensweise, keine dozierende, die Betrachter seiner Bilder werden wie selbstverständlich dazu angehalten, andere Erklärungsmuster und Betitelungen für seine ständige Permutationen durchlaufenden künstlerischen Manifestationen zu finden, die „Öffnung als Öffnung erlebbar machen“.
Mitte der 1990er-Jahre unternahm Gunter Damisch den ambitionierten Versuch, die pastosen, archaisch konnotierten, in Schichten aufgebauten, geballten Farbkonglomerate der 1980er-Jahre in der von Herbert Brandl so genannten „Schwalbennest-Technik“ zu entzerren, die Farbe zu verflüssigen und durch Abschabungen, Verwischungen und eine genau kalkulierte Verwendung rinnender, tropfender Farbe auf einem in sich differenzierten Bildgrund wandlungsfähige gemalte Bewegungen in Zeit und Raum, von skripturalem Charakter, in einer ausgeklügelten ornamentalen Ordnung, zu schaffen.
Der prononcierten farblichen Vitalität seiner Leinwandbilder und Papierarbeiten spürte Gunter Damisch explizit nach. „Ich suche eher die starken Kontraste, um Spannungen zu erzeugen und die Formulierungen zu setzen“, konstatierte der Künstler 2011.
Neben der Malerei beanspruchte die Zeichnung als gleichberechtigtes Medium und bewusstes grafisches „Notat“ einen adäquaten Platz in Gunter Damischs universalem Bildkosmos. Biografisch durch sein Studium in der Meisterklasse für Grafik bei Max Melcher und seinen über 20 Jahre währenden Lehrauftrag als Professor für Grafik und druckgrafische Techniken an der Wiener Akademie der bildenden Künste fundiert, konstituierten rhizomatische Strukturen, lavaartige, fließende Farbströme, rhythmische Schlangenlinien, Wirbel, Schlingen und Monaden eine allgemein zugängliche Emblematik und Morphologie der Zeichen.
Komplementär zur Malerei und Grafik entstanden seit den 1980er-Jahren Skulpturen, die ersten Totems ähnlich, farbig, expressiv, vergleichsweise roh bearbeitet, in der Tradition von Ernst Ludwig Kirchners Holzobjekten stehend. Diese bunten, geschnitzten Hölzer wurden abgelöst von dunklen, durchlöcherten und ausgehöhlten Holzbrettern mit Stehern, Flämmlern, Schlingen und Welten. Parallel dazu schuf Gunter Damisch zackige, spitze, raue, zum Teil kugelähnliche Bronzeskulpturen in der alten Gusstechnik der verlorenen Form. Die von Otto Breicha als „stachelige Modelle fürs Weltganze“ apostrophierten, oft unter bewusster Einbeziehung von Hohlräumen konzipierten Bronzen verweisen auf des Künstlers lebhaftes Interesse für Mineralogie und Geologie. An Damischs „Innenorten“ tummeln sich genauso wie an den Rändern Lebewesen, die zu zeichenhafter Winzigkeit geschrumpft sind. Gerüste und filigrane, überlebensgroße, netzartige Türme mit abgegossenen Fundstücken von Zapfen, vertrockneten Sonnenblumen, Teilen von Zierkürbissen, Stängeln von Nachtkerzen oder Schneckenhäusern, um nur einige wenige Möglichkeiten zu nennen, und einer probaten Steherpopulation komplettierten schließlich Damischs skulpturales Formenvokabular. Peter Weiermair unterstrich in diesem Zusammenhang Gunter Damischs „Dialog mit der Natur“ und verglich seine „in die Luft geschriebenen Bronzen“ mit „Versteinerungen aus der grauen Vorzeit unserer heutigen Flora“. Seit 2002 verwendete Damisch vermehrt Aluminiumgüsse für seine räumlichen Arbeiten. Farblich akzentuierte er seine Skulpturen sowohl durch Säureeinsatz als auch durch Lack.
Der „Maler-Poet“ Gunter Damisch, der einige Semester Medizin, Germanistik und Geschichte studiert hatte, schloss in einem später publizierten Gespräch: „Es ist eine schöne Vorstellung, dass [Kunst] so was wie die Massage der Nervenzellen sein kann, ein Anlass, im Sehen in die unstatische Situation [in das Gegenteil des statischen Weltbildes von Gut und Böse zu kommen, ein tanzartiges Wahrnehmen von sich selbst als Wahrnehmenden.“