Zwei Künstler, zwei Medien: In einer klar inszenierten Doppelausstellung präsentiert Priska Pasquer Malerei von Hanno Otten und Glasskulpturen von Tristano di Robilant. Eine spannende Gegenüberstellung, in der es um den künstlerischen Umgang mit Materialien, Techniken, Farben und Formen geht.
Seit 2004 arbeitet Hanno Otten an seiner Werkserie „Über Malerei“. Aus diesem noch nie ausgestellten Werkkomplex werden jetzt erstmals acht großformatige Studien auf Leinwand sowie 150 kleinformatige, zu einem dichten Tableau gehängte Werke auf Papier, Karton und Leinwand gezeigt. Unter dem Titel La maison de pommes de terre potato print dla Europy entstehen 55 Unikatdrucke von Hanno Otten als Edition speziell für die Ausstellung. Mit fünfzehn Glasobjekten aus den Jahren 2007-2016 präsentiert PRISKA PASQUER einen Überblick über das skulpturale Œuvre von Tristano di Robilant. Ergänzend werden einzelne Plastiken aus Bronze und Keramik gezeigt.
Hanno Otten (* 1954) ist ein Künstler, dessen Werke aus der intensiven, jahrelangen Auseinandersetzung mit einem Thema entstehen. So hat er sich mit fast wissenschaftlicher Systematik über mehrere Jahre mit Farbe beschäftigt. Ein weiteres Thema seiner Kunst ist Krieg. Seit 2004 erkundet Hanno Otten systematisch die Wirkmechanismen von Malerei, indem er ganz grundsätzlich fragt: Was ist Malerei? Wie funktioniert Malerei? Die Antworten sucht er nicht über die intellektuelle Analyse, sondern findet sie im künstlerischen, handwerklichen Tun. Denn es geht ihm darum, die Funktionsweisen von Malerei mit dem Auge zu begreifen, sie unmittelbar sehend zu verstehen. In der Auseinandersetzung mit dem Thema sind verschiedene Werkgruppen entstanden, die Hanno Otten unter dem Titel „ÜBER MALEREI“ subsumiert.
Woraus ist Malerei gemacht, welche Effekte erzielen unterschiedliche Techniken, wie spielen Farben zusammen, wie verändern Motive die Wirkung der Farben? Solche Fragestellungen erkundet Otten in immer neuen Anläufen. Seine Materialien: Graphit und Glimmerpaste, Öl und Acryl, Spray, Lack und Ölkreide, aufgebracht auf Papier, Leinwand oder auch Holz. Seine Vorgehensweise: experimentell, offen, provisorisch – auch was die Technik anbetrifft. So benutzt er zwar auch „klassische“ Arbeitsmittel wie Pinsel, Stift und Rakel, arbeitet aber ebenso mit gefundenen und selbst hergestellten Malwerkzeugen. Er verwendet Deckel von Farbdosen als Stempel oder Prilflaschen für dosierte Farbschüttungen.
Ottens Erkundungen „Über Malerei“ entstehen in fokussierten Serien. Weil auch das Format die Wirkung des Mediums beeinflusst, experimentiert Otten ebenso mit kleinen Papieren wie mit großen Leinwänden. Das Spektrum der Motive reicht von monochrom gespachtelten Farbflächen über Punkte, Streifen und Linien bis zu Spiralen, Quadraten, Mäandern oder gesprühten Formationen. Mal positioniert er geschlossene Farbblöcke auf nicht grundierter Leinwand, mal setzt er mehrfarbige „Dots“ auf weißen Grund. Und immer geht es darum zu beobachten, wie Malerei funktioniert: Wie stehen die Farben auf der Fläche? Wie beeinflusst die gewebte, flexible Struktur der Leinwand den malerischen Farbauftrag? Wie verhalten sich die Farben zueinander? Welche Rolle spielen Begrenzungen, Abschlüsse?
In der Zusammenschau der Studien wird deutlich, dass kleine Variationen große Veränderungen in der Wirkung erzeugen. Dabei formieren sich die Skizzen zu einer visuellen Grammatik des Mediums. Zugleich steht aber jede als eigenständige Arbeit für sich. Malerei ist eine Sprache, die wir über die Augen verstehen. Hanno Ottens Werkserie „Über Malerei“ geht der Grammatik dieser Sprache auf den Grund.
Hanno Otten, geb. 1954 in Köln, arbeitet medienübergreifend mit Malerei, Zeichnung, Fotogramm, Skulptur, Installation, Film. Zwischen 1973 und 1985 studierte er Kunst in Höhr-Grenzhausen, Köln und Kassel. Er lebt und arbeitet in Köln. Priska Pasquer widmete ihm bereits 2014 und 2016 Einzelausstellungen. Seine Werke sind in wichtigen privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten – u.a. im LACMA, im Houston Museum of Fine Art, Busch-Reisinger Museum/Harvard Art Museum und in der Microsoft Art Collection.
1964 in London geboren, wuchs Tristano di Robilant in Italien und England auf. Nach einem Studium in Kalifornien lebt und arbeitet der Bildhauer mit italienisch-amerikanischen Wurzeln heute in Rom. Außerdem unterhält er eine Atelier-Werkstatt in Umbrien. Tristano di Robilant entwickelte sein skulpturales Œuvre zunächst in klassischen Materialien: Ton, Bronze oder auch Aluminium waren die Werkstoffe seiner Wahl. Seit 2005 arbeitet der Künstler jedoch vor allem mit Glas. Seitdem ist in Zusammenarbeit mit hochspezialisierten Glashandwerkern auf Murano ein unverwechselbarer Werkkomplex entstanden.
Mit seiner transluzenten Materialität und brillanten Oberfläche interagiert Glas mit dem wechselnden Tageslicht. Fasziniert von diesem Aspekt, entwickelt DI ROBILANT in der Auseinandersetzung mit dem Werkstoff höchst eigenwillige Objekte. Aus biomorphen Formen schafft er fragil wirkende Kompositionen: Weich modellierte Kegel, auf denen durchsichtige Schneebälle zu balancieren scheinen, aufgetürmte Pilzhüte, von gerundeten Zylindern umschlossene Blasen, gläserne Gewächse und Gebilde aus geschichteten Formen. Die meisten Objekte sind monochrom, manche sind aus zwei Farben komponiert. Wobei die Palette auf wenige Farbtöne konzentriert ist: Neben farblosem Glas dominieren Grün- und Goldtöne.
Di Robilants Glasskulpturen entfalten ein spannendes Spiel von Gegensätzen: Die zerbrechliche Anmutung und optische Leichtigkeit der mundgeblasenen Objekte widerspricht ihrer tatsächlichen Materialschwere, ihre weich modellierten Formen sind von kristalliner Härte, ihre fassbare Körperlichkeit löst sich auf in Transparenz. Immer wieder geht es um das Verhältnis von Innen und Außen, von Hülle und Kern. In einigen Arbeiten kombiniert Tristano di Robilant auch Glas mit polierter Bronze. Dabei umgeben Hüllen aus zartfarbigem, transparentem Glas spiegelblanke, reflektierende Elemente aus Metall.
Aufgewachsen in einem intellektuellen Umfeld, kam Tristano di Robilant schon in frühester Kindheit in Kontakt mit Kunst und Künstlern. Hier sind vor allem zwei große Namen zu nennen: Er begegnete Sol Lewitt, mit dem er eine inspirierende Freundschaft schloß. Als guter Freund seiner Mutter wurde Cy Twombly sein Patenonkel, in dessen Atelier er sich oft aufhielt. Twomblys sensibler Umgang mit mythologischen Themen und historischen Topoi hat ihn tief beeindruckt. Literatur, Philosophie und Geschichte sind auch der geistige Nährboden seines eigenen Œuvres. Alle seine Werktitel haben einen entsprechenden Bezug. So ist „Jacob’s Dream“ eine Anspielung auf die biblische Erzählung von der Himmelsleiter: An den Innenwänden eines honigfarbenen Glaskörpers sind fünf rote Streben eingelassen. Darunter liegen zwei rote Glasstücke – vielleicht die zerbrochene unterste Stufe? Die Skulptur „Sisifo Doppio“ erzählt die Geschichte des Sisyphos, der dazu verdammt war, auf ewig einen Felsblock einen Berg hinauf zu wälzen. Als Referenz auf die unendliche Wiederholung hat DI ROBILANT Berg und Stein aus farblosem Glas gleich zweimal geformt und übereinandergesetzt.
Eine andere Skulptur heißt schlicht „1600“. Sie besteht aus drei unregelmäßig geformten konischen Gefäßen. Ein kleines grünes wird überfangen von einem farblosen, das wiederum unter einem noch größeren grünen Glas steht. Die Arbeit ist das Ergebnis von Tristano di Robilants Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk von Giordano Bruno. Der italienische Priester, Dichter, Philosoph und Astronom wurde im Jahr 1600 in Rom als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er sein Weltmodell von einem unendlich belebten Universum nicht aufgeben wollte. Mit den drei übereinander gestellten Formen spielt di Robilant an auf Brunos Vision einer Vielzahl von Welten.
Im Zeitalter der zunehmen Digitalisierung und Entmaterialisierung bekommt Kunst einen ganz neuen Stellenwert. Denn in ihrer haptischen Materialität und konkreten Singularität fordern Kunstwerke unsere ganze Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt. Ganz besonders gilt dies für die Glasobjekte von Tristano di Robilant, die mit dem einfallenden Tageslicht interagieren und dabei immer wieder anders aussehen. In den letzten zwölf Jahren hat Tristano di Robilant, der auch Gedichte schreibt, ein beachtliches skulpturales Œuvre mit einer unverwechselbaren poetischen Formensprache erarbeitet, das wir hier erstmals in Deutschland vorstellen.
Tristano di Robilant, geb. 1964 in London, studierte an der University of California in Santa Cruz. Er lebt und arbeitet in Rom und in Ripabianca in Umbrien. Seine Werke wurden in zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, zuletzt im Museum of Contemporary Art in San Diego. Er ist in den Sammlungen des Maxxi Museum in Rom ebenso vertreten wie im Museo del Vetro, Murano, in der Albright–Knox Art Gallery, Buffalo oder in der Sol Lewitt Collection, Hartford, Connecticut.