Mit der aktuellen Show in der Galerie Droste endet für Christoph Häßler, bekannt als Stohead, ein ereignisreiches Jahr, in dem er unter anderem auf Einzelausstellungen in Berlin und Paris zurückblicken kann sowie auf die Teilnahme an dem kollaborativen Kunstprojekt The House; die Umgestaltung eines McLaren 675LT war daneben nur eines von vielen Seitenprojekten. Es ist nicht der erste Besuch Stoheads in Wuppertal. Bereits 2007 war er hier in der Von der Heydt-Kunsthalle in der Gruppenausstellung still on and non the wiser zu sehen. Seitdem hat sich in seiner künstlerischen Entwicklung einiges bewegt, auch wenn gewisse Elemente nach wie vor auftauchen und stilprägend sind. Genau darum geht es in der Show roots and reality, die keine frühzeitige Retrospektive bieten soll, sondern einen Einblick in Stoheads Formenfundus gewährt, aus dem immer wieder Neues entsteht. Es ist eine Momentaufnahme des bisherigen Schaffens angewandt auf den Geist der Zeit.
Seitdem Stohead, 1973 in Schwäbisch Hall geboren, mit 14 Jahren die Entdeckung eines Tags machte, ist seine Faszination für Graffiti ungebrochen. Ohne der Lesbarkeit dieses Schriftzuges große Bedeutung beigemessen zu haben, begeisterte er sich für den Schwung und die Bewegung, die darin zum Ausdruck kamen. Erste eigene Entwürfe bestanden dementsprechend eher aus Kreisformen denn aus Buchstaben. Auch figürliche Darstellungen spielten anfangs noch eine wichtige Rolle in seinen Arbeiten, so ging aus der Vorliebe für Schädeldarstellungen sein Alias Stohead hervor, der einen Teil seines Vornamens mit dem Verweis eben darauf kombiniert. Dennoch war die Schrift für Stohead immer wichtig und ist bis heute Ausgang und Bestandteil seiner Arbeiten. Den Begriff Calligraffiti erwähnte er in diesem Zusammenhang bereits bevor der Amsterdamer Niels Shoe Meulman daraus eine Marke machte.
Den Inhalt seiner bildnerisch gestalteten Schriften entnimmt Stohead zumeist Liedtexten, mit denen er aufgewachsen ist. Die ursprünglichste Form des Graffiti, das Tag, hat er also um Schlagworte und Phrasen aus Songtexten erweitert und sie im Rhythmus dicht gedrängter Buchstabenfolgen miteinander verwoben. Mit sicherer Hand geführt folgen die Farben einer dynamischen Choreografie, deren Zufälligkeit allein in Rinnsalen herunterlaufender Farbe besteht, die den durchtränkten Malwerkzeugen entspringen. Die Werke entstehen in einem Akt hoher Konzentration, der Präzision und Geschwindigkeit in sich vereint. Um einen einheitlichen Gesamteindruck zu schaffen, bedarf es allerdings akribischer Vorbereitung; Stohead nimmt Kürzungen an den Texten vor, streicht zusammen und bringt die verbleibenden Buchstaben in Form. Dieser technisch ordnende Akt führt zu einer eigenartigen Poesie, die den Werken ihren anklagenden Charakter raubt und dennoch die bedrückende Aktualität der betagten Texte hinsichtlich der aktuellen gesellschaftlichen Situation heraufbeschwört. Die Verwurzelung in diesen Liedtexten, die heute durchaus noch dazu taugen das politische Weltgeschehen zu reflektieren, ist auch Teil von Stoheads Vergangenheit als DJ. Erst während seiner Zeit in Hamburg ab 1998 fiel die Entscheidung zwischen Musik und bildender Kunst für letztere aus.
In Hamburg feierte er gemeinsam mit Daddy Cool, Tasek und Daim in der Gruppe Getting-Up erste Ausstellungserfolge, wirkte mit an großflächigen Wandarbeiten und eroberte immer mehr den klassischen Ausstellungsraum. Der gestalterische Wandlungsprozess, der begünstigt durch die Arbeitsbedingungen im Atelier auch experimentelle Herangehensweisen zulässt, setzt sich seit 2006 in Berlin fort. Anknüpfend an sein bestehendes Formenvokabular entwickelt er nicht nur eigene Schrifttypen, sondern auch Werkzeuge, um jene möglichst effizient auf diverse Untergründe zu übertragen. Für sein in dicken Linien gezogenes Font Classic Round Tip verwendet er beispielsweise auf Haltevorrichtungen montierte Rundschwämme. Damit die Farbe wie vorgesehen fließt, experimentiert Stohead wie ein Chemiker mit unterschiedlichen Farbzusammensetzungen und Oberflächen, was immer wieder auch zu neuen Effekten und Ausdrucksweisen führt. Die Serie Liquid Smoke beispielsweise hüllt die einstige Ordnung in wabernde Nebelschwaden, bis sich die Schrift, immer noch Keimzelle seiner Werke, in Rauch aufzulösen scheint oder erst daraus entsteht. Während sich die Struktur der Schrift hier insgesamt aufzulösen scheint, geht in dem Font Northern Cholo jeder einzelne Buchstabe in einer dynamischen Verästelung auf.
Entgegen der Auflösung auf Makro- oder Mikroebene geht Stohead mit seinen Recompositions den umgekehrten Weg und führt die Schrift wieder zurück auf einfache Grundformen, technische Bewegungen, die hier in aller Klarheit wiedergegeben werden. Die kalligraphische Ästhetik nimmt Überhand und drängt die Semantik der scheinbaren Letter in den Hintergrund. Diese Ergebnisse aus dem Herumexperimentieren mit Farben und Techniken vergleicht Stohead mit Darwin’schen Mutationen, in denen Jonathan Roze von der Pariser Galerie Le Feuvre wiederum Parallelen zu den kinetischen Automaten Jean Tinguelys erkennt. Sowohl die Automaten als auch die Recompositions erfüllen vordergründig keinen produktiven oder semantischen Zweck, sondern erwecken alleine durch ihre bewegte Gestalt Assoziationen und Emotionen. Gleichwohl können sie auch hierin ihren Ursprung haben, was das größte Bild der Ausstellung anschaulich belegt: Im Bewusstsein dessen, welche Freiheiten und Möglichkeiten Stohead als moderner Europäer genießt, verarbeitet er hier seinen persönlichen Europagedanken in einer ausdrucksstarken Komposition aus ebenjenen Formen und Stilen, die im Laufe seiner Karriere entstanden sind und die er fortlaufend weiterentwickelt.
Roots and reality bietet somit ein Panoptikum von Stoheads Schaffensvielfalt, in dem nicht im Sinne einer chronologischen Aufreihung einzelner Werksphasen, sondern in der dynamischen Verschmelzung und Weiterentwicklung einzelner Stile ein vorübergehender Gesamteindruck seiner künstlerischen Leistungen dargeboten wird.