„Gesichter Chinas“ ist die erste Ausstellung in Europa, die sich explizit der chinesischen Porträtmalerei widmet. Mit einer Auswahl von mehr als 100, zum größten Teil noch nie in Europa gezeigten Werken aus den Sammlungen des Palastmuseums in Peking und des Royal Ontario Museums in Toronto umfasst die Schau einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren. Der Schwerpunkt liegt auf den einzigartigen Porträts der Qing-Dynastie (1644–1912), die mit Bildnissen von Mitgliedern des kaiserlichen Hofes und Ahnen-, Militär- sowie informellen Porträts von Künstlern und berühmten Frauen eine vormals nicht gekannte Blüte erfuhr.
Porträtmalerei hat in China eine zweitausendjährige Tradition. Gerade die Zeit der späten Ming-Dynastie ab Mitte des 16. Jahrhunderts mit ihrem wirtschaftlichen Aufschwung und ihrer großen intellektuellen Offenheit gilt dabei als besondere Blütezeit. In diese Zeit fällt auch die Ankunft italienischer Jesuiten-Maler wie Matteo Ricci, die 1583 neue Techniken der europäischen Porträtmalerei in China einführten. Nachdem 1644 das Volk der Mandschu China eroberte und die Qing-Dynastie etablierte, fand am Kaiserhof in Peking ein lebhafter Kulturaustausch zwischen China und Europa statt, die sich exemplarisch auch in der Porträtmalerei verfolgen lässt. Der Jesuiten-Maler Giuseppe Castiglione (Chinesisch: Lang Shining, Mailand 1688 – Peking 1766) ist dabei eine Schlüsselfigur.
Die chinesische Porträtmalerei ist maßgeblich von zwei Darstellungstraditionen geprägt: den Bildnissen von Ahnen sowie von lebenden Personen. Ahnenporträts entstanden zu Ehren verstorbener Familienmitglieder, derer bei religiösen Andachten im Familienkreis gedacht wurde. Meist sind sie von professionellen, doch anonymen Künstlern angefertigt und sind nicht signiert. Dem gegenüber stehen die oftmals signierten, von bekannten Künstlern gestalteten Porträts lebender Personen, darunter bekannte Persönlichkeiten wie hohe Beamte, Künstler, Dichter oder Militärs, aber auch normale Bürger, die in Einzel- und Familienporträts abgebildet sind.
Wurde bislang stets die eine oder andere Darstellungsform in Ausstellungen thematisiert, widmet sich „Gesichter Chinas“ in den zwei Sonderausstellungshallen des Kulturforums bewusst beiden Porträttraditionen, da sie in fortwährendem Austausch miteinander standen. Während die obere Halle den Porträts fürstlicher Personen, Personen in offiziellen Ämtern sowie Künstlern gewidmet ist, liegt der Fokus in der unteren Sonderausstellungshalle auf Privatpersonen, Familien und Ahnenporträts.
In pointierten Gegenüberstellungen werden die Porträts in Bezug zu ihrem ursprünglichen gesellschaftlichen und religiösem Kontext sowie ihrer Herstellung gesetzt. So sind die großformatigen Kaiserporträts von seidenen Hofgewändern umgeben, die die Kaiser einst trugen – beide Objektgruppen sind Leihgaben des Palastmuseums Peking. Den Ahnenbildnissen – Leihgaben des Royal Ontario Museums in Toronto – wird ein Altartisch mit Weihrauchfass, Kerzenleuchter und Blumenvasen für Ahnenopfer gegenübergestellt. Weitere Objekte stammen aus den reichhaltigen China-Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin.
Einblick in die damalige Werkstattpraxis gibt ein Konvolut von 365 bisher noch nie ausgestellten Vorstudien zu Ahnenporträts sowie eine Serie von Porträts, die den Kunden einst wie ein Musterbuch von den Künstlern vorgelegt wurden. Dazu werden Handbücher zur Porträtmalerei mit Holzschnittillustrationen wie die „Geheime Werkstatttradition der Porträtmalerei“ von Ding Gao ausgestellt, in denen technische und auch wissenschaftliche Aspekte etwa der Physiognomie erläutert werden.
Zudem stellt die Ausstellung bewusst transkulturelle Bezüge zur europäischen Porträtmalerei her, indem sie den chinesischen Porträts europäische Bildnisse aus dem gleichen Zeitraum gegenübergestellt. So trifft etwa Anthonis van Dycks „Genueser Dame“ (um 1623) aus der Sammlung der Gemäldegalerie auf ein ähnlich großes männliches Ahnenporträt derselben Zeit aus China.