Im Zentrum der diesjährigen Neupräsentation der Sammlung Scharf-Gerstenberg stehen die Nachfolger des Surrealismus, allen voran Jean Dubuffet.
1901 in Le Havre geboren, arbeitete Dubuffet zunächst als Weinhändler, bevor er sich Anfang der 1940er-Jahre ganz der Kunst zuwandte. Weitestgehend Autodidakt, interessierte sich Dubuffet insbesondere für all dasjenige, was nicht an den Akademien und Schulen gelehrt wurde: Das, was seinerzeit als „naiv“ oder „primitiv“ abgetan wurde und allenfalls als Randerscheinung des kulturellen Lebens galt. Ein wichtiges Vorbild war ihm in dieser Hinsicht der Surrealismus, der bereits in den 1920er-Jahren die Werke von Kindern oder Geisteskranken als wertvolle Äußerungen einer Kunst jenseits des Kanons ebenso schätzte wie die außereuropäische Kunst.
Hatten die Surrealisten mit ihrer Lust am Irrationalen auf den Ersten Weltkrieg noch mit feinsinniger Eleganz und Ironie reagiert, antwortete Dubuffet zwei Jahrzehnte später auf die Grauen des Zweiten Weltkriegs mit einem Plädoyer für eine „rohe, ungeschlachte Kunst“ („Art brut“). Auf der Suche nach einer neuen „Ursprünglichkeit“, frei von abendländischen Raffinements, schuf und sammelte er Werke, die die gängigen Schönheitsvorstellungen bewusst unterliefen, um zu einer neuen Sensibilität zu gelangen.
Heute zählt Jean Dubuffet zu den Hauptvertretern der französischen Nachkriegskunst und es wird deutlich, dass nicht nur er, sondern auch andere Künstler seiner Generation sich mit ähnlichen Themen beschäftigt haben, auch wenn sie nicht in direktem Austausch miteinander standen. So lassen sich in der Ausstellung interessante Bezüge zwischen Dubuffets Frauen- und Tierleibern zu den voluminösen Figuren des Bildhauers Henri Laurens entdecken, der ursprünglich vom Kubismus kam. Ähnlich ist sein Interesse für alles Erdige, Schlammige oder Schrundige in den Figuren eines Alberto Giacometti ebenso zu erkennen, wie in den Werken von Willi Baumeister, Hans Bellmer, Zoltan Kemény oder Antoni Tàpies.