"It’s not what you are that counts,
it’s what they think you are."
Andy Warhol
"Es ist schwer, Kunst in Worte zu fassen. Worte greifen immer zu kurz. Sie erscheinen mir falsch, wenn ich sie später wiederlese. Aber nicht ganz falsch. Kurz und gut: Entweder man sieht’s oder man sieht’s nicht." (Roy Lichtenstein)
Der Begriff POP ART wird dem englischen Kritiker Lawrence Alloway zugeschrieben. Als er diesen Begriff um 1954/55 prägte, benutzte er ihn (wie z.B. Pop Culture), um die Produkte der Massenmedien, die Eingang in die Kunst fanden, zu kennzeichnen und nicht die Kunstwerke.
Der zunächst zur Benennung der Inspirationsquellen − der Werbemittel und Massenmedien, der Bildformen der Konsumgesellschaft − verwandte Terminus wurde schließlich zum Markenzeichen einer neuen Kunstrichtung.
Obwohl sich die Pop Art während ihrer Entwicklung in den 50er und 60er Jahren durch provozierende Themenstellungen, Bildmotive und unkonventionelle Fertigungstechniken radikal von den etablierten Kunstrichtungen absetzte, steht auch sie in einer Tradition und knüpft in Motiv und Machart bei älteren Vorformen an.
In einem Brief an den Malerkollegen Anton von Rappard schrieb van Gogh 1883: "Heute habe ich dem Platz einen Besuch abgestattet, wo die Aschenmänner den Müll jetzt hinbringen. Mein Gott, war das schön! Ich bekomme morgen einige interessante Gegenstände ... zur Ansicht – oder als Modelle, wenn Du willst. Es war etwas für ein Märchen von Andersen, diese Sammlung abgedankter Eimer, Körbe, Kessel, Essnäpfe, Ölkannen, Eisendraht, Straßenlaternen, Tonpfeifen ... Ich werde heute Nacht wohl im Traum damit zu schaffen haben ..." (Arman, Ausstellungskatalog Museum Haus Lange, Krefeld 1965, S. 4)
1924 formulierte Fernand Léger: "Den Gegenstand oder das Fragment eines Gegenstandes isolieren und auf der Leinwand in Großaufnahme im größtmöglichen Format darstellen. Enorme Vergrößerung verleiht einem Objekt oder Fragment eine Persönlichkeit, wie es sie niemals vorher besessen hat, und auf diese Weise kann es zum Träger einer völlig neuen lyrischen und plastischen Kraft werden." (Lucy R. Lippard, Pop Art. Mit Beiträgen von Lawrence Alloway, Nancy Marmer, Nicolas Calas, München, Zürich 1968, S. 16)
In den frühen 20er Jahren nutzte der Amerikaner Stuart Davis (1894-1964) bereits Elemente, die die Pop Art in den 60er Jahren auszeichnete, indem er auf Gemälde Namen und Verpackungen von Konsumprodukten in den Mittelpunkt stellte (z.B. Lucky Strike, Odol).
Mit Constantin Brancusi und Fernand Léger besuchte Marcel Duchamp im Herbst des Jahres 1912 die Luftfahrtschau im Pariser Grand Palais. Duchamp bemerkte angesichts der technischen Innovationen: "Die Malerei ist am Ende. Wer kann etwas Besseres machen als diese Propeller?" Angesichts der perfekten industriellen Formen hatte der Besuch auf die Gruppe eine ähnliche Wirkung wie etwas früher die der afrikanischen Masken auf Pablo Picasso.
Duchamps Ansichten stellten den gängigen Kunstbegriff radikal in Frage. 1914 kaufte er in einem Pariser Warenhaus einen Flaschentrockner aus Eisen und signierte ihn. Er vertrat öffentlich die Meinung, dass bereits die Auswahl eines Gegenstandes ein künstlerisches Werk sei, was zu einem Kunstskandal führte. (Viele Jahre später sollte Andy Warhol es ihm gleichtun.)
Wie groß der Einfluss der Dadaisten und Surrealisten und der zur Emigration gezwungenen Künstler speziell auf die New Yorker Kunstszene gewesen sein wird, ist nicht zu unterschätzen.
"Populär, massenproduziert, verbrauchbar, billig, witzig, sexy, spielerisch, auffallend, verführerisch …" (Richard Hamilton erstellte eine Liste mit Schlagwörter, die ihm als charakteristische Phänomene der Alltagswelt galten und den Zeitgeist treffend beschrieben.)
Die Entwicklung der Pop Art zu einer eigenständigen Kunstrichtung vollzog sich zunächst unabhängig voneinander in England und den USA.
Als eigenständige Kunstform hat sich die englische Pop Art früher etabliert als die Pop Art in den USA. Rund um die Künstler der "Independent Group" begann bereits 1952 das, was in den 60er Jahren in den USA perfektioniert werden sollte. Es war eine kleine Gruppe von jungen Malern, Bildhauern, Architekten, Autoren und Kritikern. Zu den Hauptprotagonisten der frühen Phase der englischen POP Art gehören Eduardo Paolozzi und Richard Hamilton. 1956 entwarf Hamilton das Plakat zur legendären Ausstellung "This is tomorrow". Die Hamilton Collage "Just what is it that makes home so different, so appealing? " (Was ist es nur, was heute das Zuhause so anders, so anziehend macht) gehört zu den Inkunabeln der frühen englischen Pop Art. Das Pin-up-Girl, der kraftstrotzende Muskelmann posieren in einem mit modernen Möbeln und anderen Wohlstandsattributen ausstaffierten Raum. Peter Blake und Richard Smith leiteten die zweite Entwicklungsphase ein (1958-61); die dritte (1961-65) mit Künstlern wie David Hockney, Allen Jones, Ronald B. Kitaj bedeutete den Durchbruch.
In den USA gaben die Künstler Robert Rauschenberg und Jasper Johns den entscheidenden Anstoß. Zu Pop Stars wurden Robert Indiana, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Mel Ramos, James Rosenquist, Andy Warhol und Tom Wesselmann. Andy Warhols Suppendosen und Porträts, Roy Lichtensteins Comic-Gemälde, Robert Indianas Love Skulpturen, Tom Wesselmanns "Nudes" gehören zu den Ikonen der Modernen.
Kunsthistorisch interpretierte man die Pop Art als Abwendung vom abstrakten Expressionismus, den die Pop Art-Anhänger als intellektuell und elitär kritisierten und dessen alleinigen Geltungsanspruch als internationale Avantgarde sie ablehnten.
Coca Cola, Pepsi Cola, Marlboro, Brillo, Kellogg’s Cornflakes, Heinz Tomato Ketchup, Ford – die Warenwelt von damals ist uns immer noch vertraut. "Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg auch die Kaufkraft der Amerikaner, und die Werbebranche entwickelte sich zu einer finanzstarken Industrie. Dabei wurden nicht nur Produkte beworben, sondern auch der damit verbundene Lifestyle. Man vermarktete Emotionen und Wunschbilder. Wer dazu gehören wollte, musste konsumieren." (Nicole Hartje-Grave, K.West, Das Kulturmagazin des Westens)
Da viele der späteren Pop Art-Künstler vor ihrem Durchbruch bezeichnenderweise als Werbegrafiker, Reklamemaler oder Schaufenstergestalter arbeiteten, wussten sie um die Qualitäten populärer Sujets und die Möglichkeiten ihrer visuellen Darstellung. Konsequent verbanden sie Alltag und Kunst, durchschauten die Sehnsüchte und den Konsumtrieb der Menschen und die Macht der Medien.
Einerseits griffen Sie triviale Motive auf, banale Alltagsformen, Bildformen der Konsumgesellschaft, kommerzielle Typographie, andererseits spiegeln die Arbeiten die kritische und ironische Auseinandersetzung mit der Konsumkultur, der Verwundbarkeit dieser scheinbar, perfekten, kalkulierten Wohlstandsgesellschaft, verweisen auf Probleme wie Kriege, Rassentrennung, Vereinsamung in den Großstädten, steigenden Drogenkonsum, mangelnde Individualität IN der Massengesellschaft, den Starkult des Hollywoodkinos.
Dem zunehmenden Hype um Produkte und Design, dem zunehmenden Warenfetischischmus setzten sie ihre Auseinandersetzung mit den Chiffren und Symbolen ihrer Zeit entgegen. Es ging nicht um ästhetische Spielerei. Es ging um gesellschaftliche, kulturelle, politische Belange – also um existenzielle Dinge, die Künstler der jüngeren Generation auf vielfältigste Weise in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten rückten.
Pop Art spiegelte das Lebensgefühl einer Epoche. Sie verbreitete sich über den gesamten Globus und stellte das konservative Kunstverständnis erneut auf den Kopf. Wie schon Marcel Duchamp "spaltete Andy Warhol die Kunstproduktion auf in die Fremdherstellung eines nicht künstlerischen Objekts, das er, ohne es zu verändern, in ein Kunstwerk transformierte. Indem das Signieren die Suppendose defunktionalisierte und indem umgekehrt der Genuss der Suppe ‚Kunstzerstörung’ bedeutet hätte, wurde deutlich, dass Warenproduktion und Kunstproduktion sich gegenseitig aufhoben. Warhols Transformation betraf also weniger das Ding als vielmehr das Denken – über Kunst, Institutionen, Autorschaft usw.". (Michael Lüthy. Pop Art Konsum high and low Konzeptkunst, Michael Lüthy-Archiv, www.michaelluethy.de/scripts/pop-art-konsum-high-und low)
Im Mittelpunkt der Herstellung stand ein Druckverfahren, dass sich als frühes Massenmedium in der Werbung durchgesetzt hatte: der Siebdruck. Die Druckherstellung wurde für die Künstler zur essentiellen Ausdrucksform, zur entscheidenden Neudefinition des künstlerischen Produzierens, die das traditionelle Handwerk integrierte. Die graphischen Techniken boten ihnen eine hervorragende Ausdrucksform und waren Grundlage, um seriell zu arbeiten. Durch die serielle Reproduktion stellten die Künstler nebenbei selbst Autorschaft und Originalität in Frage.
Gemeinsam sind den Arbeiten die Reduktion auf das Wesentliche, die Zeichenhaftigkeit. Es ist die Form, die dem Inhalt seine Bedeutung gibt. Alles ist einfach und lesbar geordnet und steckt voller komplexer Wechselwirkung zwischen Realität und Illusion. Die Bilder begreifen das Wesen der Dinge und Figuren in ihrer einfachsten Form und eignen sich dennoch nicht, einfache Aussagen zu machen. Die Bedeutung der Motive wird durch den Kontext, der sie umgibt, immer wieder neu bestimmt. Die so einfach dargestellten Dinge, Räume und Personen sind voller Anspielungen und Andeutungen. Und immer wieder bleibt es dem Betrachter vorbehalten, das im Werk Angelegte zu ergänzen und zu vollenden. Es ist ein Wechselspiel von Wahrgenommenem und eigener Erinnerung und auch Aufforderung, das Vorgefundene um das Dazu-Gedachte zu erweitern. "So gehört zum Genuss des Sehens und Denkens auch das Wissen." (Liam Gillick)
"Alles Gemalte ist Tatsache, und das genügt; die Bilder sind erfüllt von ihrer ureigenen Präsenz." (Tom Wesselmann)
Mona Fossen, Köln, April 2015