Das tier in uns oder die frucht fällt nicht weit vom stamm.

(Florian Waldvogel)

Sarah Bogner bietet mit ihrer Malerei eine dekonstruktive Perspektive auf hybride Wesen – jene, die sich zwischen Mensch und Tier bewegen – sowie auf eines der ältesten Themen der Kunstgeschichte: das Früchtestillleben. Ihre Kunst basiert auf der Instabilität von Bedeutungen und der Infragestellung von Identitätsgrenzen, wodurch sie den Betrachter dazu einlädt, fest etablierte Konzepte des Denkens und der Wahrnehmung zu hinterfragen. In ihren Bildern begegnen wir Wesen, die weder eindeutig Tier noch Mensch sind. Ihre Existenz provoziert eine Neubewertung der traditionellen metaphysischen Unterscheidung zwischen beiden Kategorien und verweist auf die Fragilität der Konzepte, mit denen wir die Welt ordnen.

Die philosophische Reflexion über diese Hybride führt unweigerlich zu Martin Heidegger, der in Sein und Zeit eine fundamentale Differenz zwischen dem menschlichen Dasein und allen anderen Seienden postuliert. Während der Mensch seine Existenz bewusst entwirft und gestaltet, verbleiben Tiere in einem Zustand der „Weltarmut“ – eine Bezeichnung, mit der Heidegger ihre eingeschränkte Beziehung zur Welt beschreibt. Diese Unterscheidung, die dem Menschen eine einzigartige Stellung zuschreibt, wird in Bogners Werk hinterfragt. Ihre Bilder problematisieren die klassische Dichotomie von Mensch und Tier und werfen die Frage auf, wo genau die Grenze zwischen beiden verläuft. Indem sie Pferden menschliche Züge, Gesten und Mimik verleiht, destabilisiert sie die anthropozentrische Perspektive, die den Menschen als das vernunftbegabte Subjekt und das Tier als das instinktgetriebene Wesen definiert.

Das Nachdenken und Schreiben über Bogners hybride Wesen offenbart schnell die Unzulänglichkeit unserer sprachlichen und konzeptuellen Kategorien. Ihre Malerei dekonstruiert diese Strukturen und zeigt auf, dass unsere Vorstellungen von Mensch und Tier nicht naturgegeben, sondern historisch und kulturell bedingt sind. Sie resultieren aus einem Netz von Verweisen und Differenzen, das sich fortwährend verschiebt. Diese Einsicht steht im Einklang mit der Kritik des französischen Philosophen Jacques Derrida an der anthropozentrischen Ethik. In Das Tier, das ich also bin argumentiert Derrida, dass die traditionelle Philosophie das Tier als das „ganz Andere“ konstruiert hat, um die Überlegenheit des Menschen zu rechtfertigen. Er fordert stattdessen eine Ethik, die offen bleibt für das Andere, für das, was sich einer vollständigen Begriffsbildung entzieht. Eine Ethik, die das Tier ausschließt, so Derrida, bleibt unvollständig.

Ihre Fabelwesen rufen auch Derridas Konzept der „Hauntologie“ in Erinnerung, dass er in Marx’ Gespenster entwickelte. Diese Theorie beschreibt, wie Konzepte und Ideen aus der Vergangenheit in der Gegenwart weiterwirken, ohne je vollständig präsent oder abwesend zu sein. In diesem Sinne erscheinen Bogners hybride Figuren als Gespenster, die die alten Grenzen zwischen Mensch und Tier heimsuchen und uns mit der Unbeständigkeit unserer Konzepte konfrontieren. Doch könnte die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften an Tiere nicht auch als eine Projektion unseres eigenen „In-der-Welt-Seins“ verstanden werden? Vielleicht eröffnet sie die Möglichkeit, das menschliche Dasein besser zu begreifen. Was macht den Menschen zum Menschen, und was trennt ihn vom Tier? Sind Bogners hybride Wesen eine Bedrohung für die menschliche Identität, oder sind sie vielmehr eine Erinnerung daran, dass der Mensch immer schon auch ein Tier war?

Auch in Bezug auf die „Fallenden Früchte“ eröffnet sich eine Reflexion über die Natur der Realität und unsere Wahrnehmung derselben. Fallen diese Früchte tatsächlich, oder schweben sie? Ihre Darstellung in Bogners Malerei widersetzt sich der Schwerkraft und stellt damit unsere gewohnten Vorstellungen von physikalischen Gesetzen infrage. Man könnte argumentieren, dass sie die Arbitrarität unserer Begriffe von „normal“ und „natürlich“ entlarven. Sie zeigen, dass diese Begriffe auf impliziten Annahmen und kulturellen Hierarchien beruhen, die keineswegs universell gültig sind. Unsere Wahrnehmung der Realität wird durch sprachliche und kulturelle Strukturen vermittelt, und Bogners Malerei erinnert uns daran, dass das, was wir als „Realität“ begreifen, immer schon durch konzeptuelle Rahmen gefiltert ist.

Die Früchtestillleben in ihrer Schwebe entziehen sich der üblichen Logik von Ursache und Wirkung. Sie sind eine Spur des Wunderbaren im Alltäglichen. In Heideggers Philosophie tritt ein Ding in den Modus der „Vorhandenheit“, sobald es seine gewohnte Funktionalität verliert oder aus seinem praktischen Kontext herausgerissen wird. Erst in diesem Zustand wird es zum Gegenstand theoretischer Betrachtung. Schwebende Orangen könnten somit als Symbol für die Überwindung der Schwerkraft und damit metaphorisch für die Überwindung der Sterblichkeit gelesen werden. Letztlich fallen sie doch – in eine Welt, die sie nicht gewählt haben.