Die Galerie Eva Presenhuber freut sich, mit A corridor, a room, and four dens ihre erste Einzelausstellung der in Wien lebenden Künstlerin Liesl Raff zu präsentieren. Aus diesem Anlass wird die Galeriewand vor der verborgenen Fensterfront des Galeriegebäudes entfernt, um durch das Einfallen des natürlichen Tageslichts einen Dialog mit den ausgestellten Skulpturen anzuregen.
Raffs Werk ist nicht spirituell, sondern tief in der Materialität und im Prozess verwurzelt. Als Malerin und Bildhauerin erforscht sie die Spannung zwischen weichen, flexiblen Materialien und starren Trägerstrukturen. Der künstlich stechende Geruch von Latex wird durch die manuelle Bearbeitung zum architektonischen Element ihrer Skulpturen. In stundenlanger Arbeit schichtet Raff flüssiges Latex auf den Boden ihres Ateliers und drückt es in die Konturen eines rechteckigen, asymmetrischen Rahmens, den sie aus ungebranntem Ton formt. Ist der Latex erstarrt und der starke Ammoniakgeruch verflogen, bleiben nur noch die natürlichen Pigmente und Materialien zurück. Die fertigen, halbtransparenten Latexplanen, die an weiche Häute erinnern, bestäubt sie mit Talkumpuder und hängt sie dann in ihre jeweiligen Metallrahmen.
Durch die Montage finden die Latextücher einen Zustand des Gleichgewichts – einige werden durch straffe Klammern angeheftet, andere lose herabfallend drapiert. Mit Sandsäcken und L-förmige Stützen sind die Strukturen in einer geschickten Balance stabilisiert. Obschon Raffs Installationen als monolithische Skulpturen im Raum stehen können, liegt ihre eigentliche Kraft in der Reziprozität. Wer sie betritt, beginnt einen Dialog – mit dem Raum, mit dem Material und letztlich mit sich selbst.
Die Künstlerin präsentiert eine lange, korridorartige Skulptur, welche den hinteren Teil der Galerie in einen neuen Raum unterteilt und sich so in die Struktur des Raums eingliedert. Die Werke bestehen aus einer Reihe von Stahlrahmen, bei denen jeder Abschnitt von selbst gefertigten Latexplanen umhüllt ist, die an den Rändern mit speziell angefertigten Klammern zusammengepresst werden. Diese beiden länglichen Formen überschneiden sich in einem L-förmigen Umriss und laden die Besucher ein, zunächst den ersten Korridor hinunterzugehen, bevor sie dahinter und in den neuen Raum verschwinden. Sie erleben ein haptisches Zusammenspiel aus Farben, Düften und wechselndem Licht. Diese Sinneseindrücke entwickeln sich schnell zu nahezu körperlichen Empfindungen, die zu erhöhtem Bewusstsein und emotionaler Introspektion führen. Beim Durchschreiten von Raffs Korridor stellt sich den Besucher:innen ein Gefühl der Ruhe ein, das einen Raum für neue Begegnungen schafft – mit sich selbst und mit anderen. Dies setzt eine kollektive Intimität und Momente des zufälligen Entdeckens in Gang, in dem sich der Fokus vom Ich zum Wir und vom Ego zur Demut verlagert.
Raffs Installationen können sodann als soziale Strukturen angesehen werden. Sie sind transformative Schwellenräume, in die Personen auf eine Weise eintreten und auf eine subtil veränderte Weise wieder austreten.
Am Ende der korridorartigen Räume wird der bühnenartige Charakter der Gesamtinstallation deutlicher. Die Ähnlichkeit mit Theaterrequisiten verstärkt hier die Metapher des Umkehrens oder Umstülpens, was gleichzeitig Verspieltheit und Konzentration hervorruft. Raff bezeichnet diese Strukturen als Konzentrationsräume, die als Zufluchtsorte für Selbstperformances oder Transformationen im Umgang mit anderen gesehen werden können. Es sind Räume des Rückzugs und der Reflexion, aber auch der Verbindung und des Wachstums, sowohl individuell als auch kollektiv.
Nach dieser Reise der Introspektion – egal ob flüchtig oder tiefgründig – kommen die Besucher:innen zum Eingang der Galerie zurück, wo sie vier Dens (wieder)auffinden, die in einer Gruppe von der Decke hängen. Man erblickt diese Strukturen nun aus einer anderen Perspektive, denn die Besucher:innen erkennen spätestens nun, dass ihre Präsenz Teil der Performance auf Raffs Bühne ist. Ihre Bewegungen und ihr Stillstehen werden Teil des Werks, was sich immer wieder entlang des Pfades in der Ausstellung widerspiegelt. Wenn man die übrigen Besucher:innen beim Begehen derselben Route beobachtet, erkennt man die Wechselwirkung des Erlebens gemeinsamer Erfahrungen und deren individueller Nuancen. So erkennt man dann auch die vier Dens mit all ihrem Umfang und Volumen von der Decke hängend als Akteure in Raffs Spiel, welche im leisen Dialog mit dem Publikum ihre Präsenz markieren.
(Text von Samuel Leuenberger, Gründer und Kurator bei Salts)
Liesl Raff wurde 1979 in Stuttgart, DE, geboren und lebt und arbeitet in Wien, AT. In den letzten Jahren war sie mit Einzelausstellungen im Kunstraum Remise, Bludenz, AT (2023), im FJK3 - Kunstraum Franz-Josefs-Kai 3, Wien, AT (2023) und im Kunstfenster Gnas, Gnas (2022) vertreten.Raffs Werk wurde auf der 15. Gwangju Biennale, Gwangju, KR (2024), und der 17. Lyon Contemporary art Biennale, Lyon, FR (2024), ausgestellt.Im Jahr 2021 präsentierte sie eine Installation mit Aluminiumabgüssen und Latexarbeiten auf der Biennale für Freiburg in Freiburg, DE.Sie nahm an Gruppenausstellungen in Institutionen wie der Galerie Eva Presenhuber, Zürich, CH (2023); Neuer Kunstverein Wien, Wien, AT (2023); Kunsthalle Exnergasse, Wien, AT (2022) teil;Belvedere 21, Wien, AT (2021); mumok, Wien, AT (2021; 2012); Forum Kunst Rottweil, Rottweil, DE (2020); Westwerk, Hamburg, DE (2018); Shangrila, Joshua Tree, CA, US (2015); und Kunstraum NÖ, Wien, AT (2014).