Klimawandel, Migration, Kriege und das Wiedererstarken ideologischen Denkens schaffen in der Gesellschaft eine Atmosphäre der Unsicherheit. Als Fotograf versucht Göran Gnaudschun seit 2024 mit seiner als fortlaufendes Projekt angelegten Serie Gegenwarten, das Lebensgefühl und die Verfasstheit der Gesellschaft abzubilden. Die Galerie Poll stellt seine neue Arbeit im Rahmen des 11. European Month of Photography Berlin 2025 erstmals vor.
Gnaudschun verknüpft in Gegenwarten Menschen und Sinnbilder gesellschaftspolitischer Themen und Konflikte mit seinem persönlichen Umfeld. Porträts von Menschen verschiedener Generationen und unterschiedlicher Herkunft werden mit Landschaften, situativen Momenten und vorgefundenen Arrangements in Beziehung gesetzt. In den Galerieräumen sind die Farbfotografien zu einem komplexen Geflecht verwoben. Porträts zeigen Zeitzeugen einer Gegenwart, die sich unablässig weiterbewegt und Mögliches in Gewesenes verwandelt. Denn laut der Hirnforschung dauert die Gegenwart nur 3 Sekunden, danach ist sie bereits Vergangenheit.
Eine dunkle Wolke zieht als Symbol düsterer Vorahnungen durch die Kronen hoher Eichen, mit einem farbigen Abdruck seiner kleinen Hände trauert ein Kind im Wald der Erinnerung der Bundeswehr in Geltow um seinen bei einem Auslandseinsatz gefallenen Vater, eine israelische Erkennungsmarke mit dem Datum 7.10.2023 erinnert an den brutalen Überfall der Hamas mit über tausend Toten und mehr als einhundert Geiseln. Aber auch kleine Glücksmomente und überraschende Augenblicke im Alltag, die die Leichtigkeit des Lebens ausmachen können, sind Teil der Serie. Der Blick des Fotografen fällt auf den Tanz von Mücken im Sonnenlicht, auf drei weiße Schmetterlinge, die gegen alle Gesetze der Physik vier schwarze Schatten über den Erdboden flattern lassen oder auf die flauschige Feder in einer Kinderhand. Großaufnahmen von Datenkabeln, Plastikfolie, Bartstoppeln oder Gräsern werden Panoramen der Lieberoser Wüste oder des Hochwassers an der Oder gegenübergestellt.
Ausgangspunkt der neuen Serie von Göran Gnaudschun ist die Idee, das Hier und Jetzt zu fotografieren. Göran Gnaudschun: „Die Gegenwart wird von jedem unterschiedlich empfunden. Ich habe das Gefühl, dass so viele Themen und so viele Probleme in der Luft liegen, dass sich die Welt gerade rasant verändert, und ich versuche, dafür meine Bilder zu finden.“
Göran Gnaudschun, geboren 1971 in Potsdam, studierte von 1994-2003 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Timm Rautert künstlerische Fotografie (Diplom) und Bildende Kunst (Meisterschüler). Er erhielt mehrere Stipendien und Auszeichnungen für seine Arbeiten, darunter 2013 das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn und 2018 den Brandenburgischen Kunstpreis. 2016-2017 war er Stipendiat der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Seit 2018 lehrt Gnaudschun an der Ostkreuzschule für Fotografie Berlin, seit 2022 ist er Dozent an der Fachhochschule Potsdam. Seine Fotografien wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Institutionen und Museen in Berlin, Hannover, Frankfurt, München, Paris, Riga, Rom, Salzburg und San Francisco gezeigt und befinden sich in verschiedenen öffentlichen Sammlungen, u.a. in der Art Collection Deutsche Börse, Frankfurt am Main, in der Berlinischen Galerie – Museum für Moderne Kunst, im Folkwang Museum Essen, im Potsdam Museum und der Kunststiftung Poll, Berlin. Göran Gnaudschun lebt und arbeitet in Potsdam.