Ryan Trecartin ist weithin bekannt für seine Filme, Skulpturen und Installationen. Sein Werk untersucht die Wandelbarkeit von Sprache und den Einfluss neuer Technologien und sozialer Medien auf die Subjektbildung.
Die aktuelle Ausstellung Re’Search Wait’S basiert auf dem mehrteiligen Filmprojekt Any Ever. Mit seinen poetischen, formalen und strukturellen Darstellungen von Medien, Sprachnarrativen und Identität entwirft Trecartin eine Welt, in der die existentiellen Dramen unserer eigenen Lebensrealität zugespitzt repräsentiert werden.
In Ready wird die von Trecartin verkörperte Figur des Wait als für die Serie namensgebende Figur eingeführt. Dieser gibt seine bisherige Karriere auf, um einem Job nachzugehen, den er als bloße 'work performance' bezeichnet. Ein Grundthema des Videos ist der von Trecartin sogenannte 'transumerism', eine Art erfahrungsgesteuerter Konsumismus, der letztlich JJ – eine andere Figur, die ebenfalls von Trecartin gespielt wird – in ein Dilemma bringt. In Roamie View: History Enhancement entpuppt sich JJ als Hülle seines einstigen Selbst. Er beauftragt eine von dem Charakter Roamie Hood (Alison Powell) geleitete Firma damit, seine Vergangenheit nach einem alternativen Handlungsstrang zu durchkämmen, um seine Gegenwart zu verändern. In Roamie View: History Enhancement durchqueren die Charaktere Zeiten und mögliche Realitäten, als handle es sich um reale Orte. Dabei wissen sie nur wo, aber nicht mehr wer sie sind.
Wie der Titel Temp Stop bereits vermuten lässt, fügt sich der Film nicht eindeutig in die Kontinuität von Re’Search Wait’S ein. Als würden sie dem Unterbewusstsein von Any Ever entspringen, wirkt jede Szene wie ein verborgener Epilog, der die Figuren surreal anmuten lässt – zum Teil, weil sie oftmals sehr gewöhnlich sind.
The Re’Search ist ein von 'Tweenagern' bewohnter Mikrokosmos, der in den Werkkomplex Any Ever eingebettet ist. Der Film erfüllt eine Doppelfunktion: Er ist eine von Wait im Auftrag der Figur Y-Ready ausgeführte Marktstudie und gleichzeitig Waits Urlaubsort. Szenen aus anderen Filmen werden hier in abgewandelter Form wiederholt, indem in The Re’Search die Figuren entweder in ihrer ursprünglichen Gestalt oder in Form junger Mädchen erneut in Erscheinung treten. Sie greifen wechselweise in das Geschehen ein oder entziehen sich diesem. So lassen sie die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.
Die Handlungsstränge von Re’Search Wait’S sind insofern repräsentativ für die Struktur des Internets, als dass sie eher polyphon und fragmentarisch als ineinander verschachtelt sind. Textebenen, Archivmaterial und überblendete Filmaufnahmen, deren Zusammenschnitt unterschiedlichen Rhythmen folgt, konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Betrachterinnen. Die Filme eröffnen zu jedem Zeitpunkt neue Erzählperspektiven. Es ist den Betrachterinnen überlassen, die einzelnen Elemente zusammenzufügen.
Wenn in ungewissen Zeiten eine Handvoll Menschen die Macht ergreift, um die Realität zu ihrem Vorteil umzugestalten, dann wird diese Realität anderen oftmals zum Gefängnis. Trecartin verdeutlicht, auf welcher Seite der Gitterstäbe sich seine Figuren befinden, indem er diese in einer Welt nach Handlungsmacht streben lässt, in der die Menschen nur auf den eigenen Erfolg versessen sind. In seinen Filmen werden bestehende Realitäten zu gänzlich neuen Gebilden verwoben. Durch die Verschmelzung von Sprache, Bild und Dramaturgie wirken diese Strukturen zugänglich und fremdartig zugleich und beleuchten die Höhen und Tiefen menschlicher Ambitionen.
Ryan Trecartins (*1981, Webster, Texas) Arbeiten und seine in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Lizzie Fitch entstandenen Werke wurden in bedeutenden amerikanischen und internationalen Museumsausstellungen präsentiert. Darunter: Lizzie Fitch/Ryan Trecartin: Whether Line, Fondazione Prada, Mailand (2019); Lizzie Fitch/Ryan Trecartin, Astrup Fearnly Museet, Oslo (2018); Ryan Trecartin: Site Visit, KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2014); Lizzie Fitch/Ryan Trecartin: Priority Innfield, Zabludowicz Collection, London (2014); Lizzie Fitch/Ryan Trecartin, Musée d’art moderne de la Ville de Paris (2011–12) und Ryan Trecartin: Any Ever, in verschiedenen Versionen im MoMA PS1, New York, im Museum of Contemporary Art, North Miami, Florida, bei Istanbul Modern, im Fabric Workshop and Museum in Philadelphia, im Museum of Contemporary Art, Los Angeles und im The Power Plant, Toronto (2009–10).